Guardiolas Plan gegen Barcelona:Wie das 14-Minuten-Experiment scheiterte

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Wagte eine neue Taktik und scheiterte damit: Pep Guardiola

(Foto: Josep Lago/AFP)
  • Gegen seinen alten Verein versucht Pep Guardiola eine sehr ungewöhnliche Taktik mit Dreierkette und schiefer Ausrichtung.
  • Nach 14 Minuten beendet er das Experiment, das mehrfach zum Rückstand hätte führen können.
  • Trotz guter Phasen kommt Bayern nie mit dem Pressing der Katalanen zurecht - und nicht mit Lionel Messi.

Von Martin Schneider

Möglicherweise hatte Pep Guardiola vor dem Spiel seinen Archimedes-Moment - nur, dass ein Katalane eben nicht "Heureka" jubiliert. Die spanische Zeitung El País will durch ihren Reporter am Bayern-Trainingsgelände gehört haben, wie der Bayern-Trainer vor der Abreise nach Barcelona ausgerufen haben soll: "Ich hab's!" Das erinnerte natürlich an jenen griechischen Mathematiker, als er die Massenverdrängung entdeckte.

Er soll dann noch gesagt haben: "Vielleicht kriegen wir sieben." (Guardiola, nicht Archimedes). Und wahrscheinlich hätte der 44-Jährige damit recht behalten, wenn er seine ursprüngliche Taktik durchgezogen hätte. Am Ende bekam Bayern in Barcelona drei. Aber das hatte andere Gründe. Weil das ZDF das Spiel wieder in voller Länge in seiner Mediathek hat, kann man die einzelnen taktischen Situationen anhand der Spielzeit schön nachvollziehen.

Guardiola wollte sich gegen Barça nicht verstecken

Guardiolas Idee: Ein schiefes System mit Dreierkette. Auf der linken Seite begannen Juan Bernat und Rafinha gleichzeitig. Warum links? Weil dort Lionel Messi spielt, von dem Guardiola vorher gesagt hat: "Keiner kann Messi stoppen." Er versuchte es zunächst mit seinen beiden kleinsten und flinksten Verteidigern, die dem Argentinier phänotypisch am nächsten sind. Thiago rückte aus dem Zentrum hinaus und sollte das Ungleichgewicht alleine ausbalancieren.

Gleichzeitig gab Guardiola an, sich gegen Barcelona nicht zu verstecken. Er verteilte seine Spieler über die ganze Breite des riesigen Platzes im Camp Nou und schickte sie in Eins-gegen-eins-Situationen. Schon nach 42 Sekunden standen erstmals Boateng, Benatia und Rafinha dem Barça-Sturmtrio Neymar, Messi und Luis Suarez allein gegenüber - und das sah verheerend aus.

Ter Stegen erkennt die Schwäche im System

Guardiola wählte die Taktik der offenen Feldschlacht und wollte Barcelona offenbar Mann gegen Mann schlagen, er wollte: den Ball. Ein Blick auf den Moment vor der ersten Riesenchance durch Suárez: Da hat Barça-Torhüter Marc-André ter Stegen (bei 11:03 Minuten im Video) den Ball und jeder Bayern-Spieler ist einem Gegner zugeordnet. Manndeckung in Reinform. Ter Stegen erkennt die Situation und schlägt den Ball auf den Spieler, der weltweit wahrscheinlich am besten im Eins-gegen-Eins ist: Messi. Der verlängert auf Suárez und Manuel Neuer muss bereits da alles aufbieten, um den Rückstand zu verhindern.

Nach 14 Minuten erkannte Guardiola wohl den Wahnsinn, den er da versucht hatte, hielt vier Finger hoch und stellte auf eine Viererkette um, und beorderte vor diese Kette das Trio Xabi Alonso, Lahm und Thiago. Etwas überraschend blieb ausgerechnet Schweinsteiger der offensivere Part im Mittelfeld und hatte über das ganze Spiel die Aufgabe, sich um Sergio Busquets zu kümmern. Guardiola wusste natürlich, welchen enormen Einfluss der oft unterschätzte Busquets auf das Spiel der Katalanen hat.

Lahm bekommt keinen Zugriff auf Iniesta

Das funktionierte besser, wenn auch nicht perfekt. München büßte offensive Stärke ein und durch das intensive Pressing der Katalanen produzierten die Bayern ungewohnte Fehlpässe, beispielsweise Thiago (bei 20:07 Minuten). Durch die neue Kompaktheit wurden sie in der Folge nicht direkt überrannt, allerdings zeigte sich dann (bei Minute 20:43), dass auch eine perfekte taktische Staffelung gegen einen Lionel Messi in dieser Form wenig bringt: Er dribbelt einfach durch vier Gegenspieler hindurch.

Ein weiteres Problem: Philipp Lahm bekam Andrés Iniesta nicht unter Kontrolle, der (wie zum Beispiel bei 38:45 Minuten) keinen halben Zentimeter Platz haben darf, sonst spielt er einen genialen Pass. Der FC Bayern ging unbeschadet in die Pause, mit Glück und Manuel Neuer, der verhinderte, dass Guardiolas 14-Minuten-Experiment nicht schon für einen sehr frühen Rückstand gesorgt hatte.

Das Pressing ist das Problem, Messi die Konsequenz

Die ersten zehn Minuten nach der Pause waren die überzeugendsten im Spiel der Bayern. Barcelona hatte die Intensität des Pressings heruntergefahren und wartete meistens im 4-1-4-1 auf die Spielzüge des Gegners, der wiederum relativ kompakt die Spielzüge Barças abwartete. So ergab sich in dieser aufregenden Partie erstmals der Eindruck eines halbwegs normalen Fußballspiels. Bayern versuchte nun auch wie gewöhnliche Teams, Lionel Messi nicht zu doppeln oder zu triplen, sonden stand in einer Situation gleich mit sieben (!) Gegenspielern gegen den Argentinier (bei 56:25 Minuten).

Es ist nun müßig zu spekulieren, ob es eine Anweisung von Barcelonas Trainer Luis Enrique gab, das Pressing ab Minute 75 wieder zu erhöhen. Aber auffällig war schon, dass Ivan Rakitic genau dann (genauer: ab 75:33 Minuten) wieder anfing, Jérôme Boateng tief in der gegnerischen Hälfte anzulaufen. Benatia musste den Ball am eigenen Fünfer annehmen, Bayern geriet nach einer Phase des Durchschnaufens wieder in Bedrängnis.

Vor dem 2:0 arbeitet Rakitic besser gegen den Ball

Das Gegentor erfolgte dann konsequenterweise nach einem Ballverlust von Juan Bernat gegen den ebenfalls sehr weit aufgerückten Dani Alves. Das Interessante an dieser Szene? Dass es 20 Minuten zuvor (bei 56:51 Minuten) nach einem Ballverlust von Thiago und Alonso eine taktisch fast identische Szene gab. Mit dem Unterschied, dass Messi da noch unplatziert in die Arme von Neuer geschossen hatte.

Auch vor dem 2:0 war es Rakitic, der intensiv gegen den Ball arbeitete und sich die Kugel holte (ab 79:30 Minuten). Nur Sekunden vorher hatte Jérôme Boateng eine vergleichbare Eins-zu-eins-Situation gegen Messi übrigens noch gut gelöst, aber alle Zweikämpfe sind gegen den Floh aus Argentinien eben nicht zu gewinnen. Die Folge des Gegentores war der verzweifelte Versuch der Bayern, noch das Auswärtstor zu erzielen und die Abwehr aufzulösen. Das ging schief. Am Ende lief ein Konter über Messi, den Schweinsteiger vergeblich zu tackeln versuchte, und Neymar erzielte alleine vor Neuer das 3:0.

Messi ist taktisch nicht aufzuhalten

Fazit: Gegen dieses Barcelona ist die Mourinho-Taktik (am besten 13 Mann auf die Torlinie) wohl die effektivste Methode - die aber kam für Pep Guardiola nicht in Frage. Er würde es als Hochverrat an sich selbst betrachten und sagte entsprechend nach dem Spiel: "Wir wollten den Ball kontrollieren, um unser Spiel durchzuziehen. Man kann gegen Barça aus der Tiefe verteidigen oder selbst auf Kontrolle spielen." Und er erklärte: "Die einzige Möglichkeit sie zu kontrollieren, ist, sie so wenig wie möglich am Spiel teilhaben zu lassen. Und dafür brauchst du den Ball."

Nachdem der Bayern-Coach sein Experiment beendet hatte, schlug sich seine Elf ganz gut, hatte aber immer dann große Probleme, wenn die Katalanen auf intensives Pressing umstellten. "Bis zum ersten Gegentor haben wir es ziemlich gut gemacht. Danach ist uns das Spiel aus den Händen geglitten", meinte Guardiola. Die enorme Anzahl an erzwungenen Ballverlusten war dabei das größte Problem der Bayern: Ihnen blieb schlicht keine Luft zum Atmen.

Was bleibt, ist aber die Erkenntnis, dass Taktik eben nur ein Aspekt von vielen beim Fußball ist. Individuelle, technische Klasse ist mindestens ebenso entscheidend - und ein Lionel Messi in dieser Form ist wahrscheinlich von keinem denkbaren System ganz auszuschalten.

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