Guardiola will Thiago Alcántara:Revolution mit lauter "super, super Spielern"

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Auf einmal könnte sich doch noch Großes tun: Josep Guardiola wollte beim FC Bayern eigentlich nicht viel verändern. Nun wünscht er sich plötzlich mit erstaunlicher Offenheit Thiago Alcántara vom FC Barcelona. Für das Spielsystem dürfte der anstehende Transfer weitreichende Folgen haben.

Von Philipp Schneider, Riva

Pep Guardiola hat nun mehrfach die Geschichte vorgetragen, wie er in New York gesessen hat, in seinem bestimmt sehr schönen Appartement, ein ganzes Jahr lang, und dort hat er sich alle Fußballspiele des FC Bayern angesehen. Er hat das so fein erzählt, dass man sich das richtig gut vorstellen konnte: Wie Señor Pep auf einer bestimmt sehr gemütlichen Couch sitzt, in der Hand die Fernbedienung, nur schaltet er niemals um, und vor ihm im Fernseher die ganzen Trophäen: Meisterschaft, Champions League, dann noch der Pokal, der immer in Berlin überreicht wird. Das Triple eben.

Doch Guardiola hat in New York noch etwas gesehen, das außer ihm nicht viele erkannten, also nicht nur Siege, feine Spielzüge, Ribérys und Robbens Dribblings über die Flügel und Müllers Tore. Guardiola sah: ein Mittelfeld, das dringend verbessert werden muss. Deshalb ist er irgendwann zu Karl-Heinz Rummenigge und Matthias Sammer gegangen, und dann, ja dann "habe ich gesagt, Mario Götze ist ein super, super Spieler. Aber ich brauche Thiago. Thiago oder nix!"

Thiago Alcántara, 22, stammt aus La Masia, der schier unerschöpflichen Talentschule des FC Barcelona. Ein "super, super Spieler", das versprach Guardiola nun, einer, "der auf drei, vier, fünf Positionen" im Mittelfeld spielen könne. Und: "auch als Stürmer". Thiago hatte am Donnerstag, als Guardiola sprach, noch nicht unterschrieben, was die Verkündung bemerkenswert machte, doch Guardiola war sicher: "Ich brauche diese Qualitäten von Thiago im Mittelfeld. Ich glaube, er ist gut für uns und nicht nur für mich."

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Von Philipp Schneider, Riva

Schon der Transfer von Götze aus Dortmund hatte die Bundesliga über Wochen erregt, die Dominanz der Bayern könnte unerträglich werden, das befürchten ja nicht nur die Dortmunder. Und jetzt kommt wohl noch Thiago. Weil Götze nicht genügt?

Der Kapitän der spanischen U21-Europameistermannschaft ist jüngst zum besten Spieler des Turniers gewählt worden, in Barcelona ist er noch bis 2015 gebunden, würde aber wohl für die festgelegte Ablöse von 18 Millionen wechseln. Sonst hätte Guardiola ja nicht geplaudert.

Seit Donnerstag gibt es ohnehin keinerlei Zweifel mehr daran, was sich eine Woche lang angedeutet hatte im Trainingslager der Bayern am Gardasee: Der erfolgreichste Trainer der Welt hat die beste Mannschaft des Planeten übernommen, nun wird er sie so gewaltig ummontieren, dass sie sich wandelt in Guardiolas Mannschaft und aufhört dies hier zu sein: Heynckes' Elf. Was der Spanier plant, ist eine Revolution, auch wenn er sie natürlich herunterspielt: "Mein System ist sehr, sehr einfach: Rennen, rennen, rennen. Mit dem Ball greifen alle elf Spieler an. Und ohne den Ball verteidigen alle."

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Am Dienstag haben die Bayern einen Test gegen den italienischen Zweitligisten Calcio Brescia 3:0 gewonnen. Das Spiel war halbwegs in Ordnung, bedeutender aber war es gewesen, dass der Trainer dabei in einem 4-1-4-1-Korsett hatte spielen lassen. Ein System, in dem, so könnte man meinen, nur Platz ist für Bastian Schweinsteiger ODER Javi Martínez. Doch Pep Guardiola schließt den großen Umsturz ja nicht mehr aus - die vielleicht beste und ganz sicher effizienteste Doppelsechs der Welt wird womöglich abgeschafft. Wohin sonst mit den ganzen Spielern?

Ribéry, Robben, Kroos, Shaqiri, Götze, Mandzukic und Pizarro balgen sich schon ohne Thiago um die Plätze in der Offensive. "Ja, er kann spielen Innenverteidigung", sagte Guardiola also über Javi Martínez, der im vergangenen Sommer für die Rekordablöse von 40 Millionen Euro zu den Bayern gewechselt war und fortan mit Ruhe und Übersicht das Mittelfeld einer Mannschaft stabilisierte, die zuvor zwei Champions-League-Finals verloren hatte, dann aber zum Triple schwebte.

Guardiola probt derzeit das Spiel mit zwei Gestaltern, gegen Brescia waren es Kroos und Müller, die im offensiven Mittelfeld rochierten. Dazu lässt er die Außenverteidiger weit nach vorne marschieren, was bei Anriffsspielzügen Überzahlzahlsituation in Ballnähe verspricht.

Die Spieler müssen sich an Guardiolas Plan noch gewöhnen, von Ribéry und Müller gab es in Riva leises Gemaule zu vernehmen. Die Laufwege sind ja nun ganz anders. Und Kroos und Müller, sie müssen aufpassen, dass sie sich nicht auf den Füßen stehen. Wenn etwa Linksverteidiger Alaba nach vorne rauscht, muss sich Flügelspieler Ribéry weiter nach innen orientieren, dort verlagern sich dann Kroos und Müller. Die Verschiebung nur eines Spielers setzt im Fußball die Welt in Bewegung. Und alle neuen Laufwege müssen sitzen, wenn schon bald die Liga wieder startet. Allein, weshalb das gewagte Experiment?

Guardiola hat hier in Riva den Ansatz einer Antwort geliefert, er hat sehr lange über seine letzten Monate in Barcelona berichtet. Er wurde nach dieser Zeit nicht gefragt, aber sie ist ihm wichtig. Er wollte von jenem Moment erzählen, als ihn, einen Fußballbesessenen, die Langeweile übermannte. "Meine erste Periode bei Barcelona war wie jetzt hier bei den Bayern: mit Drang!" Okay, und dann? "Dann war dieser Drang weg. Ich kann mich nicht beklagen, das passiert", sagte Guardiola.

Er habe nur noch "die gleichen Spieler, die gleichen Journalisten, die gleichen Situationen, die gleichen Gegner" erlebt. Jeden Tag. Woche für Woche. Und das muss ja wirklich ganz fürchterlich gewesen sein. "Jetzt ist alles neu. Das ist gut für meine Erfahrung", findet er. Also schraubt der Spanier nun am System einer berauschenden Mannschaft. Einfach so. Weil es ihm niemand verbieten darf. Der alte Drang, er kann nicht anders.

© SZ vom 12.07.2013/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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