Gruppengegner Holland:Frostiges Verhältnis im Höllenloch

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Nach den jüngsten Niederlagen gegen Irland und Belgien stellt Dick Advocaat wieder auf das gewohnte 4-3-3-System um und muss sich dafür scharf kritisieren lassen. Die Systemdebatte führt dazu, dass der Bondscoach die Trainer-Vereinigung der Niederlande verlässt.

Von Raphael Honigstein

Sehr schön ist es an der Algarve, weiß und sanft mündet Portugal ins Meer. Die Küstenregion ist bekannt für ihre Luxusanlagen und Golfplätze, verunstaltet wird sie nur hin und wieder durch Städtchen wie Albufeira. Hier beziehen leicht bekleidete, hummerrote Männer aus Mittel- und Nordeuropa ihr Quartier.

Die Hotels sehen so aus, wie man sich die Hölle vorstellt, der Bierfluss ist ununterbrochen, und es kann schon mal passieren, dass einem ein Engländer mitten auf der Straße, zwischen chinesischen Restaurants, die "Alibaba" heißen, und Buffets, die nach Gewicht auf dem Teller verrechnet werden, freundlich ins Gesicht rülpst.

Solche Szenen bekommt die holländische Mannschaft nur durch die getönten Scheiben ihres orangefarbenen Busses zu sehen, der sie zum täglichen Training im kleinen Municipal Stadion fährt. Man wohnt, 20 Minuten entfernt, in einem Fünf-Sterne-Haus, in einer anderen Welt. "Wie im Gefängnis", komme er sich dort vor, hat sich einer der Spieler bei einem Schreiber aus Madrid auf spanisch beklagt, damit ihn die niederländischen Journalisten nicht verstehen.

Auch die zwei Übungseinheiten werden streng überwacht. Fans müssen sich gesonderte Eintrittskarten besorgen, eine portugiesische Militäreinheit ist zwischen Rasen und Tribüne positioniert. Bei all den Sicherheitsvorkehrungen ist der Betrieb aber nicht frei von Ironie: Kurz vor dem Tag X, dem Spiel gegen die Deutschen, scheint es, dass die Oranjes wieder einmal selbst ihr größter Feind sind. Das Klischee von den übermäßig begabten, aber hoffnungslos zerstrittenen Holländer, lebt wieder.

Schuld daran sind nicht nur die großen Egos der Starspieler, sondern auch eine öffentlich geführte Auseinandersetzung um das beste Spielsystem. Nach den Niederlagen gegen Belgien (0:1) und Irland (0:1) hat Nationaltrainer Dick Advocaat das 4-4-2 der Vorbereitung wieder in das gewohnte 4-3-3 mit einem Mittelstürmer und zwei offensiven Außenspielern umgewandelt.

Das hat zwar den Vorteil, dass (der momentan ohnehin verletzte) Clarence Seedorf nicht mehr länger mit dem jungen Rafael van der Vaart um die Position der "Schattenspitze" streiten muss, doch der Trainer hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Besonders seine Entscheidung, nur eine ausgewählte Gruppe über die Gründe des Taktikwechsels zu unterrichten, ist nicht gut angekommen. "Es war keine Diskussion, sondern ein Monolog", hat Advocaat eitel berichtet.

Roy Makaay (FC Bayern), zuletzt einer der Besten, war nicht eingeladen, neben Ruud van Nistelrooy (Manchester United) ist im Angriff kein Platz für ihn. Erst später informierte Advocaat den Stürmer, ein Gespräch, mit dessen Verlauf Makaay nicht zufrieden war: "Ich habe ihm meine Meinung gesagt. Ich stimme nicht mit ihm überein."

Und die Zahl der Anwälte, die nicht verstehen wollen, dass Makaay ausgerechnet gegen Deutschland fehlt, wird immer größer: "Makaay muss spielen. So wie er in der Bundesliga spielt, geht kein Weg an ihm vorbei", forderte Youri Mulder, früher Stürmer bei Schalke 04 und jetzt gefragter Experte im niederländischen Fernsehen.

"Makaay sollte unbedingt in der Startformation stehen", sagte der frühere Nationaltrainer Louis van Gaal, mittlerweile Sportdirektor bei Ajax Amsterdam. Auch wenn Makaays Bilanz für die Oranjes nicht Furcht einflößend ist (vier Tore bei 29 Einsätzen) verweisen die Medien des Landes auf den psychologischen Effekt, den ein Einsatz des Stürmers bringen könnte.

Wollen sie doch eine Schwäche der deutschen Innenverteidigung erkannt haben: Christian Wörns und Jens Nowotny seien zu alt und zu langsam, heißt es, um eine Doppelspitze van Nistelrooy/Makaay aufhalten zu können. Ein großer Verlierer der Debatte über Sturm und Drang steht auch schon fest: Patrick Kluivert (FC Barcelona), lange Zeit Advocaats Liebling, sitzt nur auf der Bank - er geht in Albufeira meist kommentarlos an den Journalisten vorbei in den Bus.

Die anderen reden und lächeln viel - meist aber nur demonstrativ und oft auch ein bisschen zu viel. Zwischen den Zeilen wurde über mangelnde Kommunikation und zu hartes Training geklagt, zwei Einheiten pro Tag sind nicht jedermanns Sache, zudem ist ihnen "die Turniermannschaft Deutschland", wie Reservestürmer Pierre van Hooijdonk (Feyenoord Rotterdam) sagt, nicht geheuer.

"Bis sie gegen die Deutschen verlieren"

Van Nistelrooy, der Gewinner der Umstellung, wollte von Unstimmigkeiten nichts wissen: "Ach, das sind so alte Geschichten. 1996 gab es Probleme, das ist acht Jahre her. Die Stimmung in der Truppe ist fantastisch, das kann jeder sehen." Wirklich? "Ja klar, sonst würde ich das doch nicht sagen."

"Das sagt er immer. Bis sie dann gegen die Deutschen verlieren", erzählte ein holländischer Journalist. Seit van Nistelrooy den kapriziösen Kluivert in der Gunst Advocaats abgehängt hat, ist er plötzlich erklärter Fan des klassischen Systems. Das frostige Verhältnis der Angreifer wirkt sich auch auf das Mannschaftsgefüge aus: beide haben ihre Fürsprecher im Team, an beiden lässt sich ziemlich genau der ständig schwelende Konflikt zwischen Alten und Jungen, Ajax und Nicht-Ajax, Schwarz und Weiß festmachen.

Neben van Nistelrooy sollen auf den Flügeln Marc Overmars (FC Barcelona) und Andy van der Meyde (Inter Mailand) stürmen. Weil diese Umstellung so viel Kritik hervorgerufen hat, ist Advocaat jetzt aus der holländischen Trainer-Vereinigung ausgetreten.

Kompliziert sind sie, die Holländer, die Therapie aber ist relativ einfach: Sieg gegen Deutschland plus gute Stimmung, ergibt: Turnierfavorit. Dafür würden die paar hundert mitgereisten Fans gerne länger in einem Höllenloch wie Albufeira ausharren.

(Süddeutsche Zeitung vom 11.6.2004)

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