Großer Preis von Österreich:Zurück im Grenzbereich

Formel 1 - Vor dem Großen Preis von Österreich

Valtteri Bottas aus Finnland vom Team Mercedes hat sich beim Qualifying und im Rennen beim Großen Preis von Österreich in Spielberg durchgesetzt.

(Foto: Darko Bandic/dpa)

Auch in Pandemie-Zeiten greifen in der Formel 1 alte Reflexe.

Von Elmar Brümmer, Spielberg/München

Die Angst vor der neuen Normalität war am Samstagmorgen, 0.30 Uhr Ortszeit Steiermark, endgültig gewichen. Nach knapp sechs Stunden Beratung war über den ersten Protest vor dem Neustart der mit reichlich Verspätung begonnenen Formel-1-Saison entschieden. Red Bull Racing hatte das automatische Steuersystem (DAS) der neuerdings in schwarz antretenden Silberpfeile von Mercedes angezweifelt, der Protest wurde abgeschmettert. Die Lenkvorrichtung erlaubt es den Fahrern, ähnlich wie bei Jetpiloten das Lenkrad auf Geraden nach hinten zu ziehen und so eine Spurverstellung bis zur nächsten Kurve vornehmen zu können. Das verleiht dem Auto zusätzliche Stabilität. Die Idee der Branchenführer ist revolutionär. Kein Wunder, dass da der Neid ausbricht.

Bis dahin hatten sich die regelmäßigen Betrachter der Motorsportszene schon Sorgen gemacht, ob die Zwangspause wegen Covid-19 nicht plötzlich übermäßig viel Vernunft und Gelassenheit in die Königsklasse gespült hätte. Denn es gab das Budget cap, frühe Rennabsagen in als für die Gesundheit bedenklich geltenden Ländern, eine klare gemeinschaftliche Positionierung gegen Rassismus ("We race as one") sowie ein übervorsichtiges Öffnungskonzept für den Großen Preis von Österreich.

Aber nach acht Monaten ohne Rennen haben sie wieder schnell gegriffen, die bekannten Mechanismen. Red Bull Racing, das seine Herausforderer-Chancen durch die Fahrerleichterung der Mercedes-Piloten geschmälert sieht, wäscht sich nach der klaren Entscheidung der Rennkommissare rein von jeder Boshaftigkeit: Man habe nur möglichst früh klarstellen wollen, was erlaubt sei und was nicht - um nicht erst mit einem Einspruch nach dem Rennen das offizielle Resultat lange hinauszuzögern. Ja, die Frage der Ehre. Fürs erste ist sie beantwortet. Aber da wäre auch noch der Deal zwischen Ferrari und dem Automobilweltverband Fia aufzuarbeiten, der eine offensichtlich unlautere Motorensteigerung bei den roten Rennwagen im letzten Herbst unter dem Tisch halten soll.

Versucht Red Bull, das System von Mercedes zu kopieren?

Hat nicht zum Auftakt in Spielberg auch Sebastian Vettel vorbildlich kundgetan, dass ehrlich am längsten fährt, und klargestellt, wie er in Maranello kalt gestellt wurde? Wer weiß, was es da noch so alles aufzuarbeiten gibt: den Racing-Point-Rennwagen, der eine Kopie des Vorjahres-Mercedes sein soll. Oder die frappierenden Parallelen der Haas-Boliden zum Ferrari? Ach, wie gut, dass eine Pandemie diesem Sport scheinbar doch nichts anhaben kann. RTL frohlockt im letzten Jahr seiner Formel-1-Übertragungshoheit noch einmal mit einem Begleitwortschatz, der die Vokabeln "verraten, verkauft, hintergangen, scheinheilig, falsch spielend" umfasst. Alles im Wissen, dass die alten Konflikte neue hervorbringen werden. Red-Bull-Chef Christian Horner unkt nach dem nächtlichen Entscheid gegen seine Sichtweise: "Dieser Fall ist erledigt. Aber es ist auch ein Stich ins Wespennest..." Angeblich sind seine Ingenieure schon mit einem Nachbau des Systems beschäftigt. Business as usual.

Die Formel 1 ist die erste Meisterschaft, die wieder den internationalen Sportbetrieb aufnimmt und das von der Fußball-EM und von Olympia hinterlassene Sommerloch füllt. Jean Todt, der Präsident des Automobilweltverbandes Fia, schickt regelmäßig für seine Verhältnisse frenetisch anmutende Aufmunterungen per Twitter ins beschauliche Murtal: "Der Motorsport ist zurück!" oder "Wir verspüren Stolz und Verantwortung, und werden alles dafür tun, dass es ein Erfolg wird."

4032 Menschen sind negativ auf Covid-19 getestet worden

Dazu gehört eine enorme Blasenbildung, die bislang im Motorsport nur bei den Reifen bekannt war. 57 große Gruppen, die für sich bleiben müssen, plus 100 Untergruppen gibt es auf dem hermetisch abgeriegelten Streckenareal. 4032 Menschen sind in der Woche vor dem Grand Prix getestet worden, alle bislang negativ. In der kommenden Woche, in der dann der Große Preis der Steiermark am gleichen Ort ausgetragen wird, soll es 7000 weitere Tests geben.

Den Maskenzwang kennt zwar alle Welt aus dem Alltag. Im Fahrerlager, bei den Talkrunden und den Boxengaragen mutet es allerdings noch ein bisschen seltsamer an. Aber die strikten Beschränkungen, auch beim Begleittross der Formel 1, sollen die ersten acht Rennen Bestand haben, obwohl Optimisten für Ende August in Spa-Francorchamps die Zulassung eines bestimmten Zuschauerkontingentes erwarten. Dabei ist noch nicht einmal sicher, wann und wo es mit der zweiten Saisonhälfte weitergeht - vielleicht in Mugello, Portimao oder gar Hockenheim. Toto Wolff ärgert sich zwar, dass in seinem Heimatland keine besonders großen Schutzmaßnahmen mehr herrschen, nur der Red-Bull-Ring hermetisch abgeschirmt wird. "Aber wenn es die einzige Chance ist, damit wir wieder Sport treiben können, dann ist es okay." Für manchen ist es vielleicht auch ganz praktisch, denn mit Maske ist der Gesichtsverlust nicht so offensichtlich.

An sich sollten auch Rennfahrer angesichts der Motorengeräusche die Parteinahme auf den Tribünen nicht wirklich vermissen. Trotzdem sieht Weltmeister Lewis Hamilton, der gern die Energie aus dem Umfeld aufsaugt, seine ursprünglichen Befürchtungen ("Ich fühle mich leer, aber es ist besser als nichts") im hübsch grünen alpenländischen Panorama von Spielberg bestätigt. Er schrieb seinen Fans über die sozialen Medien: "Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich euch alle vermisse. Es ist ein großer Unterschied, euch nicht hier zu haben."

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