2. LigaUnd jetzt: Freuen auf den HSV

Lesezeit: 4 Min.

Großer Bruder zum Anlehnen: Interimstrainer Thomas Kleine (Zweiter v. re.) soll Zuversicht ausstrahlen – und die SpVgg Greuther Fürth in der zweiten Liga halten.
Großer Bruder zum Anlehnen: Interimstrainer Thomas Kleine (Zweiter v. re.) soll Zuversicht ausstrahlen – und die SpVgg Greuther Fürth in der zweiten Liga halten. (Foto: Wolfgang Zink/Imago)

Für die SpVgg Greuther Fürth steht am Sonntag gegen den feststehenden Aufsteiger Hamburg eine Menge auf dem Spiel. Eindrücke von einem Klub, für den es kein Zurück mehr gibt.

Von Sebastian Leisgang

Ein Nachmittag in dieser Woche, die Sonne scheint über Fürth, aber sie brennt noch nicht. Es ist ja erst Mitte Mai, und wenn sie sich hier auf dem Trainingsgelände der SpVgg Greuther Fürth entscheiden müssten, ob die Mannschaft vor dem letzten Saisonspiel oder die Sonne über den Trainingsplätzen brennen soll – es wäre wohl schwer, jemanden zu finden, der sich für die Sonne entscheiden würde.

Thomas Kleine, 47, betritt die Terrasse im ersten Stock des Trainingszentrums. Von hier aus liegen ihm die Rasenplätze zu Füßen. Fürths Interimstrainer ist das, was man früher einen Hünen genannt hätte. Oder Schlaks. Als er sich setzen will, fällt er beinahe in den Sessel hinein, so tief ist er. Kleine stützt sich aber gerade noch rechtzeitig ab und gleitet dann in den Sitz. Ein gutes Zeichen für das Spiel, das am Sonntag ansteht?

Fußball und Aberglaube, das geht Hand in Hand, und Kleine, Fürths letzter Hoffnungsträger, ist nicht gestürzt. Er lacht. Ganz schön weit unten sitze man in diesen Sesseln, sagt Kleine und spricht dann erst einmal über seinen Einstand. Vergangene Woche, beim 1:1 in Hannover, hat Fürth bis zur 87. Minute geführt, jetzt beteuert Kleine auf der Terrasse: „Es war ein Punktgewinn. Wir haben nicht zwei Punkte verloren. So muss man das sehen.“ Kleine schreit nicht, als er den letzten Satz ausspricht. Er hat nicht einmal etwas Hartes in seiner Stimme, aber er verfügt das jetzt trotzdem: So muss man das sehen! Punkt. Es klingt ein bisschen wie: Ende der Durchsage. Und so ist es auch gemeint.

Kleine muss sich nicht bestimmend anhören, um bestimmend zu sein. Man muss auch kein Schimpfwort in den Mund nehmen, um jemanden zu beleidigen. Und Kleines Gebot dient ja bloß der guten Sache – schließlich steht gerade eine Menge auf dem Spiel für Fürth. In ein paar Tagen kommt der Hamburger SV hierher, rüber in den Ronhof, nur ein paar Straßen entfernt vom Trainingszentrum. In den 90 Minuten geht es um nicht weniger als den Klassenerhalt. Ende Januar, nach einem 2:4 gegen den 1. FC Kaiserslautern, stand Fürth mal an 15. Stelle der Tabelle, schlechter war das Kleeblatt in dieser Saison nie platziert. Doch gerade jetzt, am letzten Spieltag, könnte die Mannschaft auf den Relegationsplatz stürzen.

Die Verantwortlichen wollen auf gar keinen Fall nervös wirken, dem Trainer kann man das abnehmen

Das ist die Realität, das ist das Risiko, das besteht, aber Kleines Ansatz ist ein anderer. Es ist nicht so, dass er die Augen vor der Realität verschließen würde, aber das Risiko ist trotzdem nicht sein Thema. Er sagt: „34. Spieltag, es geht um alles, wir haben es aber selbst in der Hand und spielen zu Hause mit unseren Fans im Rücken. Darauf müssen wir uns freuen.“

34. Spieltag. Heimspiel. Also bitte: Freuen! Jetzt! Kleines Aufruf ist das Kommando zum Glücklichsein.

Er ist aber auch Ausdruck der Bemühungen, auf gar keinen Fall nervös zu wirken. Und es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig in Fürth. Deshalb nimmt Kleine im Laufe des Gesprächs ein Wort immer wieder in den Mund: positiv. Es kommt ihm schon in einem seiner ersten Sätze über die Lippen, und er bemüht es auch später wieder und wieder. Positiv, positiv, positiv. Fast könnte man meinen, Kleine folge einem Skript, doch es wirkt nicht aufgesetzt, was Fürths Trainer sagt, nicht zwanghaft, auch nicht angestrengt.

Man nimmt ihm all das ab, was er an diesem Nachmittag auf der Terrasse sagt, aber vor dem Hintergrund dieser vermaledeiten Saison stellt sich nun mal trotzdem die Frage, ob dieser Plan aufgehen kann. Geht das? Auf Knopfdruck positiv denken, wenn monatelang so vieles negativ, negativ, negativ war?

Es ist eine chaotische Saison, die nun allmählich endet. Nicht nur, dass die Ära des Sport-Geschäftsführers Rachid Azzouzi im Oktober aus heiterem Himmel zu Ende gegangen ist – nach Alexander Zorniger, Leo Haas und Jan Siewert ist Kleine auch schon der vierte Trainer, der in dieser Saison auf der Fürther Bank sitzt. Allein das dokumentiert, welch verkorkstes Jahr hinter dem Verein liegt, aber darüber wollen sie in Fürth nicht reden. Es gibt kein Zurück mehr. Nicht jetzt, nicht vor dem Spiel gegen den HSV, der letzten Chance, der Relegation noch von der Schippe zu springen.

Nur mit Scheuklappen können sie in diesem Dreikampf bestehen, den sie sich am Sonntag mit Eintracht Braunschweig und Preußen Münster liefern. Fürth hat zwar einen Punkt mehr als die beiden Konkurrenten, am letzten Spieltag aber auch die anspruchsvollste Aufgabe. Der HSV kommt, während Münster beim Tabellenvorletzten in Ulm zu Gast ist und Braunschweig den 1. FC Nürnberg empfängt, der nur eines der vergangenen sieben Spiele gewonnen hat. Eine Durststrecke, wie sie auch Fürth gerade durchmacht. Nur dass das Kleeblatt noch in Abstiegsgefahr schwebt.

Schon als Spieler war Kleine der Ruhepol in der Mannschaft, er ist wohl der Beste für diesen Job

Jahrelang konnten sie aus Fürth ins daueraufgeregte Nürnberg hinüberschielen und schadenfroh grinsen, wenn es beim Nachbarn mal wieder drunter und drüber ging. Nun sind es aber die Fürther, die derart durch die Saison irren, dass man kaum noch erkennt, wo sie eigentlich hinwollen und wie sie vorhaben, an ihrem Ziel anzukommen. Der Klub ist längst von seinem Pfad abgekommen. Seit Azzouzi nicht mehr da ist, hat die Spielvereinigung kein Gesicht mehr, die Mannschaft ist jederzeit für einen Totalausfall gut, und im Umfeld gärt es schon lange.

Im Verein aber haben sie sich auferlegt, all das tunlichst auszublenden. Das lebt Kleine vor. Gemeinsam mit Milorad Pekovic, mit dem er ein Gespann bildet, hat er seinen Fokus ausschließlich auf Sonntag ausgerichtet. Und, auch das wird im Gespräch deutlich: Er ist ein Ruhepol, wie damals, 2012, als er Fürth an Pekovics Seite als Mannschaftskapitän zum ersten Mal überhaupt in die Bundesliga führte.

„Wir waren zwei Spieler, an die sich die Jungen anlehnen konnten“, erinnert sich Kleine, „das wollen wir jetzt auch ausstrahlen. Die Mannschaft weiß, dass da draußen zwei stehen, die für sie da sind.“ Großer Bruder Kleine, diesen Anstrich hat das. Und vermutlich ist das tatsächlich das Beste, was Fürth passieren konnte, als es nach acht Spielen ohne Sieg nicht mehr mit Siewert weiterging. Jetzt bleiben der Mannschaft nur noch 90 Minuten, um die Relegation zu umgehen. Aber so denkt ihr Trainer natürlich nicht. Thomas Kleine würde eher sagen: Fürth kann am Sonntag den großen HSV schlagen. Und darauf muss man sich doch freuen!

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

2. Bundesliga
:Es war einmal die beständige SpVgg Greuther Fürth

Zwei Trainerwechsel und das Aus von Geschäftsführer Azzouzi: Zweitligist  Fürth steckt in einer Krise, nicht nur auf dem Platz. Droht der Verein, der lange ein klares Profil hatte, ins Chaos zu stürzen?

Von Sebastian Leisgang

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: