Man musste sich schon bis zum Ende des Spiels gedulden, um zweifelsfrei auszumachen, wer die beiden Mannschaften eigentlich sind, die sich da unten auf dem Rasen gegenüberstehen. Die in den weißen Hemden, das waren eindeutig Fürther, da konnte es keine Zweifel geben. Die Fürther spielten so, wie man das von ihnen gewohnt war, sie kamen ziemlich ballgewandt daher, sie waren gut strukturiert, und sie kombinierten sich derart flott nach vorne, dass sie Erinnerungen an die guten Tage in der zweiten Liga wach werden ließen. Nur: Wer waren dann die anderen? Vielleicht Sandhausen? Spielen die nicht immer in Schwarz?
Als Schiedsrichter Daniel Siebert das Spiel beendete, da hatte alles wieder seine Ordnung - es war ja nur eine kleine Zeitreise, die die Zuschauer am Sonntagabend im Fürther Stadion unternommen hatten. Nach 45 Minuten war diese Zeitreise schon wieder vorbei, dann entpuppte sich der SV Sandhausen plötzlich als Eintracht Frankfurt, und am Ende war es so, wie es in dieser Saison eigentlich immer ist: Die SpVgg Greuther Fürth hatte verloren, dieses Mal 1:2.
Nach nun elf Spielen steht der Aufsteiger mit nur einem Punkt da, und weil das ein neuer Tiefpunkt ist in mehr als 58 Jahren Bundesliga, ist dieser Tage schon wieder die Rede von Tasmania Berlin. Bald dürften also nochmal die Wählscheibentelefone der ehemaligen Spieler klingeln, Journalisten wollen dann immer wissen, wie das so ist, wenn man Woche für Woche leer ausgeht und kein Bein auf den Boden bekommt.
Wie sehr es einen zermürbt, wieder und wieder zu verlieren, das war auch den Fürthern am Sonntagabend anzumerken. Als Stefan Leitl, 44, nach dem Spiel im Medienraum saß, machte er einen ziemlich geschafften und niedergeschlagenen Eindruck. Zwar nicht wie ein Trainer, der kurz davor steht, nicht mehr Trainer zu sein - sehr wohl aber wie ein Trainer, der mit seinem Latein allmählich am Ende ist. Was sollte er jetzt zu diesem Spiel sagen? Hatte er überhaupt etwas zu sagen? "Für mich ist das Ganze sehr schwer zu erklären, ich habe da auch nicht viele Worte", meinte Leitl und formulierte dann einen Satz, der eher beiläufig daherkam, aber eine Menge aussagte. Fürths Trainer erklärte: "Wir wollten natürlich hoch anlaufen."
Da spielte also eine Mannschaft, die in den vergangenen acht Bundesliga-Spielen exakt null Punkte geholt hatte - und diese Mannschaft wollte, natürlich, hoch anlaufen?
Es war kalt und düster am Sonntagabend, doch Fürths Mannschaft glühte
Es war tatsächlich sehr aufschlussreich, wie Fürth das Spiel gegen Frankfurt anging. Als die Fans frenetisch jubelten, weil Max Christiansen den Ball bei einem Befreiungsschlag sauber getroffen hatte, als Leitls Elf über den Platz wetzte, um einen Frankfurter Zwei-Mann-Konter abzufangen, als Jamie Leweling als Außenstürmer nicht davor zurückschreckte, bis an die Grundlinie der eigenen Hälfte zu sprinten und es dort mit Filip Kostic aufzunehmen, da hatte das Spiel der Fürther etwas von Abstiegskampf. Aber, und das war das Groteske an diesem Tabellenletzten: Er gab sich einfach nicht als Tabellenletzter zu erkennen.
Es war kalt und düster am Sonntagabend, doch das Flutlicht und eine glühende Fürther Mannschaft ließen den Platz leuchten. Wer auf der Tribüne des Ronhofs saß und sah, mit welcher Selbstverständlichkeit die Fürther Fußball spielten, wer sah, wie Hans Nunoo Sarpei als letzter Mann ins Dribbling ging, wer sah, wie liebevoll Jetro Willems den Ball streichelte, der dachte keine Sekunde daran, einen ehemaligen Spieler von Tasmania Berlin anzurufen. In den ersten 45 Minuten hatte Fürths Torwart Marius Funk ja sogar derart wenig zu tun, dass er vor der zweiten Hälfte etwas früher aus der Kabine kam, um sich noch ein paar Bälle um die Ohren schießen zu lassen. Als das Spiel dann aber offener wurde, weil sich die Frankfurter auf einmal erinnerten, dass sie ja gar nicht Sandhausen sind, da zog Fürth den Kürzeren.

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Hinterher nannte es Leitl "nicht nachvollziehbar, warum es uns so erwischt". Irgendwas, das war es, was Fürths Trainer sagen wollte, irgendwas muss sich doch gegen seine Mannschaft verschworen haben. Vielleicht das Schicksal, vielleicht der Fußballgott oder wenigstens der DFB. Wahrscheinlicher ist, und das war die eigentliche Erkenntnis des Frankfurt-Spiels: Die Werte aus der guten alten Hipp-Hipp-Hurra-Zeit reichen nicht, um im unerbittlichen Abstiegskampf der Bundesliga zu bestehen.
Vor der Saison haben sie in Fürth ja beschlossen, sich nicht den Mechanismen des Geschäfts hinzugeben. Die Rückkehr in die Bundesliga hat die Taschen ebenso gefüllt wie Anton Stachs Wechsel nach Mainz, doch Geschäftsführer Rachid Azzouzi hat sich dagegen entschieden, alles zu riskieren und den Kader mit dem Erlös bedeutend aufzuwerten. Als Leistungsträger wie Stach, David Raum, Paul Jaeckel und Sebastian Ernst gegangen waren, verpflichteten die Fürther zwar schon ein paar Spieler, sie wussten ja, dass es eher keine gute Idee wäre, zu acht oder zu neunt gegen Mannschaften wie Bayern München oder Borussia Dortmund anzutreten - doch die Fürther Kernbotschaft nach dem Aderlass war: Zamrüggn.

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Kleinwagen gegen Sportflitzer: Das Bild überholt sich
Ein kurzer Schwenk in die Geschäftsstelle in der Kronacher Straße, dorthin, wo im Sommer die strategischen Entscheidungen gefallen sind. Erster Stock, Azzouzis Büro. Zu Zeiten, als es noch gegen Sandhausen ging, da hat Fürths Geschäftsführer mal ein Interview gegeben und die Kräfteverhältnisse in der zweiten Liga mit einer Metapher veranschaulicht - jetzt hängt hinter seinem Schreibtisch eine Zeichnung davon, die einen Kleinwagen zeigt, der einem Sportwagen davonrast. Das Geschenk einer Künstlerin.
Als Azzouzi, 50, vor vier Jahren nach Fürth zurückkehrte, fand er einen Klub vor, der nicht mehr allzu viel mit dem aus seiner ersten Amtszeit zu tun hatte. Die Spielvereinigung hatte ihren Jugendstil aus den Augen verloren, und auch der Fußball, den die Leute im Ronhof zu sehen bekamen, war ein anderer, doch Azzouzi brachte den Verein wieder auf den rechten Weg.
Im vergangenen Jahr war der Fürther Kleinwagen wieder soweit, alle anderen abzuhängen, aber jetzt, nach elf Bundesligaspielen, da steht er schon so lange auf dem Standstreifen, dass bald wieder die Wählscheibentelefone klingeln.