Am Ende standen sie am Netz und plauderten. Man wird den Inhalt nicht erfahren, es war ein privates Gespräch, wie Andy Murray später sagte. Aber der Austausch ging, für alle im weiten Rund des Pariser Centre Courts ersichtlich, über die üblichen gegenseitigen Komplimente hinaus, als setzten sie jetzt, nach dem Matchball, eine anregende Unterhaltung fort. Und tatsächlich hatte die Konversation dieser beiden hochdekorierten Tennisspieler schon lange vor diesem Abend begonnen – vor zwei Jahrzehnten ungefähr.
Den Schotten Andy Murray, 37, und den Schweizer Stan Wawrinka, 39, schweißt mehr zusammen als ihre 23 Duelle seit 2005 rund um den Planeten, von denen Wawrinka nun zehn gewonnen hat, das letzte Sonntagnacht in Paris, 6:4, 6:4, 6:2. Mehr auch als der Umstand, dass ihre Zeit auf dem Tennisplatz langsam zur Neige geht. In der Ära der drei Tenniskometen– Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic – waren sie die Einzigen, die die Vormacht des Dreigestirns durchbrechen konnten. Beide, Murray und Wawrinka, haben den Großen Drei jeweils drei Grand-Slam-Trophäen abgerungen. Sie sind eine Klasse für sich.

Rafael Nadal:Ein letztes Mal im roten Reich
14 Titel und 112 gewonnene Matches: Rafael Nadal war über fast zwei Jahrzehnte der Dominator der French Open. Nun kommt es auf seiner Abschiedstournee in Paris gleich zu einem Duell von besonderer Größenordnung: gegen Alexander Zverev.
Womöglich hätte ihr eigener Stern heller geleuchtet, wären sie nicht in diese einzigartige Planetenkonstellation hineingeboren worden. Doch es gab keine Möglichkeit, den Abräumern Federer (20 Grand-Slam-Siege), Nadal (22) und Djokovic (24) aus dem Weg zu gehen, hat Wawrinka kürzlich der Londoner Times erläutert. „Die einzige Wahl, nicht gegen sie zu spielen, wäre gewesen, überhaupt nicht Tennis zu spielen.“ Ihre eigene Rivalität allerdings stand ebenfalls unter besonderen Vorzeichen.
Dreimal hat Andy Murray seit 2017 bei den French Open nun ausgerechnet gegen Wawrinka antreten müssen, dreimal wurde er von dem Kumpan aus dem Turnier geworfen. Die Begegnung vor sieben Jahren trug Züge eines Schwergewichtskampfs im Boxen, sie ging über die volle Distanz, beide laborierten an Dauerblessuren, und als der Fight beendet war (6:7, 6:3, 5:7, 7:6, 6:1 für Wawrinka), gelangte Murray allmählich zur Einsicht, dass seine Karriere nur durch eine künstliche Hüfte zu retten war. Er unterzog sich dem Eingriff 18 Monate später. Bei Wawrinka waren zwei Operationen am linken Knie nötig; auch für ihn war dieser Kampf eine Zäsur.
„Alles, was man im Tennis erreichen kann, hat er erreicht“, sagt Wawrinka über Murray
Das Erstrundenmatch am Sonntag hatte nichts von dieser Dramatik. Wawrinka, der French-Open-Sieger von 2015, war seinem britischen Kontrahenten von Beginn an überlegen. „Stan hat auf diesem Platz all die Jahre brillantes Tennis gespielt, so auch heute“, befand Murray, „er hat mir nur wenig Chancen gelassen.“ Aber so wie Wawrinka seine Sandplatzstärken ausspielte, hat Murray im Allgemeinen ihre Vergleiche auf Hardcourt und Rasen dominiert. Ohnehin ist der bescheidene Schweizer der Meinung, dass von ihnen beiden der Schotte der bedeutendere Spieler sei, weil es ihm gelang, die Großen Drei eine Zeit lang durch seine Konstanz, sein Arbeitsethos, seine sture Beharrlichkeit zu den Großen Vier zu erweitern. Murray mag nur drei der wichtigsten Pokale seines Sports erobert haben (Wimbledon 2013, 2016; US Open 2012), dazu, wie Wawrinka, Olympiagold. Aber er stand insgesamt elfmal in einem Grand-Slam-Finale, erreichte zehn weitere Halbfinals und stieg zur Nummer eins der Weltrangliste auf: „Alles, was man im Tennis erreichen kann, hat er erreicht“, sagt Wawrinka in Paris.
Vielleicht war es schon der letzte Tanz der beiden Tennis-Schwergewichte. Andy Murray hat angedeutet, dass er die Karriere über den Sommer hinaus womöglich nicht verlängern mag. Andererseits hat er eben erst seine alte Tennisschlägermarke nach zwanzig Jahren gegen ein Konkurrenzmodell getauscht. Er will nichts unversucht lassen, um sich noch einmal zu großer Höhe aufzuschwingen. Auch der zwei Jahre ältere Wawrinka, der in seiner Glanzzeit sowohl Nadal im Finale von Melbourne (2014) als auch Djokovic in Paris und New York (2015, 2016) schlagen konnte, stellte sich jüngst die Sinnfrage: Er hatte bis Sonntagnacht im gesamten Jahr 2024 nur drei Matches gewonnen. Aber er sagt, er liebe seinen Beruf und er wolle ihn ausüben, solange es geht.
Auch über solche Themen haben die beiden unlängst geredet. Nicht am Netz, sondern auf einem Flug von Bordeaux nach Genf, als sie zufällig nebeneinandersaßen. In der Maschine einer Billigflug-Airline übrigens.