Gomez beim VfB Stuttgart:Sankt Mario, der Eigentorjäger

VfB Stuttgart - Hertha BSC

Durte gleich wieder jubeln: Mario Gomez (Mitte).

(Foto: Marijan Murat/dpa)
  • "Sankt Mario" Gomez kehrt zum VfB Stuttgart zurück und zieht sofort die Aufmerksamkeit auf sich.
  • Er verändert auch das Angriffsspiel der Stuttgarter - und muss gar kein Tor schießen, um eins zu erzielen.
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Von Christof Kneer

StuttgartSchwaben sind rechtschaffene Leute, Stuttgart ist eine anständige Stadt, und deshalb ist eine amtliche Bekanntmachung auch eine ernste Sache. In Schwaben sind solche Verlautbarungen eigentlich dem Wochenblättle zu entnehmen, neuerdings gibt es aber auch ungewöhnlichere Veröffentlichungswege. Es kann in Ausnahmefällen mal sein, dass ein Mann ein Mikrofon in die Hand nimmt und so laut brüllt, dass er normalerweise ein kurzes "Spinnsch du?" zur Antwort bekäme.

Aber was ist schon normal, wenn Sankt Mario in die heilige Stadt zurückkehrt?

"Mario hat dieses Tor erzwungen"

"Unsere Nummer 27: Mariooo ..." brüllte der Mann am Mikrofon also, und obwohl über 50 000 Menschen "Gomez!" zurückbrüllten, fragte der Mann sicherheitshalber noch mal nach: "Mariooo ...?" Aber die Leute waren sich offenbar sehr sicher, sie blieben bei ihrer Antwort: "Gomez!"

Man muss nach dem 1:0 des VfB gegen Hertha BSC nun also ernsthaft festhalten, dass die schwäbische Rechtschaffenheit auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Jene Bekanntmachung, die in der 78. Minute zur Ausrufung kam, war eine kleine Schwindelei. Zur Ehrenrettung aller im Stadion vorhandenen Schwaben inklusive des Mannes am Mikrofon darf aber hinzugefügt werden, dass die Nachrichtenlage auch nicht leicht zu durchschauen war. Niemand hatte wirklich gesehen, wie der Ball ins Hertha-Tor gelangt war. Zwar warfen die Spieler des VfB parallel zum Flug des Balles ihre Arme in die Luft, aber nur, um zu protestieren: Hey, Schiri, Elfmeter! sollte das heißen. Umständehalber benutzten sie ihre Arme aber gleich zum Jubeln, als der stets souveräne Schiedsrichter Felix Brych auf "Vorteil" und "Tor" entschied.

Den wahren Torschützen sagte dann niemand durch. Das Tor für Stuttgart erzielte Niklas Stark, Verteidiger von Hertha BSC.

Gerade mal 90 Minuten hat Mario Gomez jetzt wieder für den VfB bestritten, und doch haben sie in Stuttgart schon was gelernt. Zum Beispiel, dass man im Spiel gar kein Tor schießen muss, um nach dem Spiel ein Tor geschossen zu haben.

"Meine erste Reaktion war: Elfmeter und rote Karte wegen Notbremse", sagte Gomez später, "aber als der Hertha-Spieler den Ball dann gnädigerweise ins Tor gelenkt hat, habe ich das Tor gerne genommen." Bei Statistikern wird er mit dieser Theorie tendenziell nicht durchkommen, sie werden ihm diesen Treffer mit der sehr humorlosen Begründung verweigern, er habe den Ball in dieser Szene gar nicht berührt. Im Sinne einer höheren Wahrheit war Gomez aber eine Art Doppeltorschütze. Emotional, weil das ganze Stadion diese wunderbar kitschige Comeback-Story haben wollte; aber eben auch fachlich, weil dieses 1:0 ohne Gomez nicht gefallen wäre.

Wird Gomez nun den VfB retten?

"Mario hat dieses Tor erzwungen", sagte Trainer Hannes Wolf, "es war die Schlüsselszene des Spiels, sie hat uns drei Punkte beschert." Und Sportchef Michael Reschke, auf dessen Konto die Gomez-Nummer geht, erkannte dem Eigentorjäger noch einen weiteren Treffer zu, den die Erbsenzähler ebenfalls kaum geben werden. "Auch sein Abseitstor war für mich eine Schlüsselszene", sagte Reschke und meinte das nicht statistisch, sondern eher inhaltlich. Steilpass Özcan, Gomez entwischt der Abwehr und lupft den Ball im Spreizschritt über den Torwart: Ja, er stand ein paar Millimeter im Abseits, aber es war einer jener klassischen Mittelstürmer-Momente, die sie zuletzt so vermisst haben beim VfB.

"Mario war eine echte Erscheinung, er war präsent und hat die Bälle gut abgelegt", sagt Reschke, "schon im Trainingslager hat er von der ersten Minute an gezeigt, dass er unser Angriffsspiel auf eine neue Ebene hebt."

Mit Gomez gibt es jetzt Szenen, die es ohne Gomez nicht gegeben hätte. Am Ende war es ein recht opportunistisches Spiel, das die Zuschauer in Stuttgart zu sehen bekamen: Das Spiel legte sich nicht fest und gab allen Recht. Es gab jenen Recht, die behaupten, dass Gomez den VfB retten wird, weil erst jetzt diese schmutzigen Mittelstürmersiege möglich sind, die man - weil Hertha ein paar großformatige Konterchance vergab - nur mit einigem Wohlwollen als verdient bezeichnen kann. Gleichzeitig bestätigte es aber auch jene, die davor warnen, alle Hoffnungen auf Gomez zu setzen. Zumindest gegen Hertha fremdelte der VfB noch mit dem offensiveren, auf Gomez zugeschnittenen Spielsystem, vor allem die als Unterstützer vorgesehenen Chadrac Akolo und Anastasios Donis verbargen ihre hohe Veranlagung beim Gomez-Debüt auf rätselhafte Weise. Anstatt lustvoll in jene Lücken zu stoßen, die Gomez ihnen freiräumte, schauten sie den Lücken wieder beim Schließen zu.

Er sei jetzt 32 und seit 14 Jahren Bundesligaspieler, hat Gomez später gesagt, und er habe selbst "zwei-, drei Mal schmunzeln" müssen, als er sich vor dem Spiel bei verschärfter Nervosität ertappte. "Das hier ist das Stadion, in dem alles angefangen hat", sagte er, "ich habe mich an mein erstes Spiel erinnert, und wie außerirdisch sich das angefühlt hat. Heute war das ähnlich."

Jetzt muss er nur noch ein richtiges Tor schießen in seinem Stadion, aber der Mann mit dem Mikrofon wird den Mariooo-Schrei bestimmt aufheben. Bei rechtschaffenen Schwaben kommt nix weg.

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