Golf:Von unten nach oben gekämpft

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Hoch das Ding! Marcus Armitage mit dem Pokal des Siegers. (Foto: Christof Koepsel/Getty)

Der Engländer Marcus Armitage gewinnt die European Open in Winsen an der Luhe und denkt nach seinem größten Erfolg zurück an den tragischen Verlauf seiner Karriere.

Von Felix Haselsteiner, Winsen an der Luhe/München

Wie so viele Geschichten im Golf ist auch die von Marcus Armitage wesentlich geprägt von einer Runde, die sein Leben verändert hat. 2019 spielte der Engländer auf der Challenge Tour, der zweiten Liga im europäischen Golf - und er spielte nicht gut. Bei acht von 15 Turnieren verpasste er damals den Cut, die Qualifikation für die Runden drei und vier, insgesamt verdiente Armitage im Saisonverlauf nur 15000 Euro. Zu wenig, um das Haus abzubezahlen, in dem er und seine Verlobte wohnten, zu wenig auch, um die Kreditkartenschulden zu begleichen, die sich angehäuft hatten. Dann jedoch kam das Qualifikationsturnier für die European Tour im Herbst 2019, Armitages letzte Chance auf die Rettung - die er nutzte. Drei Schläge trennten ihn am Ende vom möglichen finanziellen Ruin, vom sportlichen Absturz und davon, jemals an den Punkt zu kommen, an dem er schließlich am Montagnachmittag in Winsen an der Luhe bei Hamburg ankam.

Mit einer beeindruckenden Runde von sieben Schlägen unter Par gewann Armitage die Porsche European Open, die als verkürztes Turnier über drei Tage ausgetragen wurde. Schier unglaublich deshalb, weil der Kurs in den vergangenen Tagen so schwierig war, dass ein Favorit nach dem anderen die Nerven verlor: Martin Kaymer spielte am Sonntag eine 77, fünf Schläge über Par. Henrik Stenson, immerhin einstiger Major-Sieger, kam nach zwei Tagen auf ein Ergebnis von zehn Schlägen über Par und verpasste wie Kaymer deutlich den Cut. Armitage hingegen überlebte das Wochenende und lag in einer eher unscheinbaren Lauerposition, eine so tiefe Runde am Schlusstag hatte man niemandem im Feld zutrauen können.

"Tief drinnen ist dieser Sieg für mich"

Vielleicht hieß der Sieger auch gerade deshalb Marcus Armitage. Sein ganzes Leben lang hatte man dem 33-Jährigen aus Lancashire wenig zugetraut, in einem Blogartikel beschrieb er einst die Einsamkeit, die ihn durch seine Karriere begleitet - das erklärte seine bitteren Worte, die er nach seinem ersten Sieg auf der European Tour emotional ins Mikrofon sprach: "Ich habe mein Team, das mir hilft, aber tief drinnen ist dieser Sieg für mich. Für all diese harten und einsamen Tage, die ich alleine daran gearbeitet habe, dass ich meinen Traum erreiche."

Beeindruckende Schlussrunde: Marcus Armitage spielte am Montag sieben unter Par und zog an allen vorbei an die Spitze. (Foto: Christof Koepsel/Getty)

Die Karriere von Marcus Armitage mag beim Blick auf einzelne Runden vielen anderen gleichen, die auch einmal kurz vor dem Scheitern die Wende schafften. Und doch ist sie zumindest im Golfsport nahezu einzigartig und wenn, dann überhaupt nur vergleichbar mit dem US-Amerikaner Bubba Watson, der aus ärmlichen Verhältnissen kommend zum Masters-Sieger wurde, ohne jemals mit einem Trainer zusammengearbeitet zu haben.

Armitage verlor im Alter von 13 Jahren seine Mutter, und weil er danach nicht mehr in der Schule sitzen konnte, ohne an sie zu denken, ging er einfach nicht mehr hin: "Ich bin mit 13 aus der Schule weggegangen und nie wiedergekommen". Stattdessen verbrachte er seine Jugend auf einem Golfplatz, ohne Trainer, einfach nur tagein, tagaus Bälle schlagend, bis sein Vater, ein Teppichhändler, ihn nach der Arbeit abholte. "Golf war für mich ein Ausweg", sagt Armitage im Rückblick. Ein Einzelkämpfer blieb er immer, gezwungenermaßen: Während andere sich verschiedene Trainer leisten konnten und Manager, manche gar eine College-Karriere in den USA, arbeitete Armitage mit einfachen Mitteln. Immer im Wissen, dass nur sportlicher Erfolg seine Situation verändern würde: Als sich nach der überraschenden Qualifikation Ende 2019 zwei Sponsoren fanden, die Armitage unterstützen wollten, hatte er zum ersten Mal keine finanziellen Sorgen mehr.

Armitage ist nun automatisch qualifiziert für alle wichtigen Turniere der European Tour, die Tourkarte gilt für zwei Jahre, mit dem Preisgeld sind Sorgen über Häuserdarlehen und Kreditkartenschulden beglichen, das schwere Leben gehört etwas mehr der Vergangenheit an. Das alles aber haben Golfspieler vor ihm erlebt, für Armitage zählte viel mehr der Gedanke an das, was er nicht mehr erleben kann: "Seit dem Tag, an dem meine Mutter starb, habe ich mir erträumt, irgendwann einmal ein Turnier zu gewinnen", sagte er in seiner unverkennbaren, hohen Stimme: "Heute ist ein großartiger Tag. Ich bin sicher, sie wäre stolz."

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