Süddeutsche Zeitung

Golf:Er erinnert an Hulk

Die Golfszene staunt bei der US Tour über Bryson DeChambeau, der in kurzer Zeit etliche Kilo an Muskeln zugelegt hat - er könnte seinen Sport verändern.

Von Gerald Kleffmann

Mitte März hatte Bryson DeChambeau seinen letzten Auftritt vor der Pause. Schon damals sah man: ja, kräftig geworden. Dann fielen alle Turniere aus, wegen der Pandemie. Mitte Juni der Neustart, in Fort Worth, Texas. Und DeChambeau? Sah richtig verändert aus. "Yeah, also", sagte er, "ich habe zehn Kilo zugenommen" - aber nicht aufgrund von Frustfressen. Sondern absichtlich. "Aber das heißt ja nicht", meinte er da noch, "dass ich den Ball weiter schlage."

War für eine Untertreibung das war.

343 Meter. 323 Meter. 318 Meter. So weit gingen reihenweise seine Abschläge auch am vergangenen Donnerstag, bei seiner ersten Runde in Detroit, dem vierten PGA-Turnier seit dem Neustart. Ob seiner neuen Weiten, 30, 40 Meter länger als zuvor, staunen die Kollegen schon. Webb Simpson sprach: "Ich legte meine Hand auf seine Schulter letzte Woche, einfach, weil er wie eine andere Person aussieht." Als der Nordire Rory McIlroy auf der Driving Range sah, wohin DeChambeaus Bälle flogen, dachte er: "Heilige Scheiße!" Dabei ist McIlroy selbst einer der Longhitter.

Verständlich, dass diskutiert wird in der Branche, ob sich das Golfspiel nun verändert - DeChambeau ist ja erfolgreich mit der neuen Figur, auch wenn er nicht gewann. Dritter, Achter, Sechster war er bei den letzten drei Turnieren, stets mit Siegchancen. Und er war Bester in kumulierten Statistiken, etwa: Gesamtergebnis unter Par (-46), erreichte Grüns (78,8 Prozent), Abschläge über 300 Yards (90).

"Es geht jetzt um rohe Gewalt und ein Sandwedge", ordnete der frühere Spitzenspieler Colin Montgomerie bei der BBC ein. Sandwedges benützen Profis für Schläge aus Bunkern und kurzen Distanzen. "Brysons mittlere und lange Eisen tauchen nun im landesweiten Arbeitslosenbericht auf", meinte der Engländer Eddie Pepperell. So ironisch das war: DeChambeau spielt tatsächlich die Golfplätze teils nicht so wie von Architekten konzipiert. Kürzlich schlug er an einem 363 Meter langen Par-4 nicht geradeaus und dann das "Dogleg" nach rechts, wie die Bahn vorgab - sondern Luftlinie direkt Richtung Loch. Bäume? Keine Sicht? Egal.

Nun wäre es falsch, ihn für eine Reinkarnation von John Daly zu halten. Der Skandal-Golfer praktizierte in den Neunzigern schlagtechnisch das Motto "grip it and rip it" - pack die Keule und drauf! Verglichen mit diesem Ansatz ist DeChambeau Albert Einstein, bislang wurde er daher oft "Wissenschaftler" genannt. Jetzt ist er der "Unglaubliche Hulk" - in den Comic-Abenteuern mutiert ein Mensch zu einem gigantischen Wesen, nach einer Gammabestrahlung. Bei DeChambeau sei es normale Nahrung, die ihn verändert habe. Sagt er: "Ich esse alles, was ich will und wann."

Dass er aber auch Protein-Shakes literweise trinkt, hat sich längst herumgesprochen. Ob alles überdies mit rechten Dingen zugeht? Die Frage hat bislang noch keiner wirklich aufgeworfen, zumindest nicht öffentlich auf der Tour. Offiziell hält sich die PGA Tour ja auch an Anti-Doping-Richtlinien, wenngleich das Golfsystem nicht immer durch größte Transparenz aufgefallen ist.

Er hat schon immer versucht, Grenzen auszuloten

DeChambeau hat, wie er erklärt, binnen eines Jahres sogar 20 Kilo zugelegt. Das Magazin Golfweek hatte zuletzt beobachtet, wie diszipliniert der 26-Jährige ist. Komme er auf eine Anlage, verschwinde er gleich in den Fitnessraum. Nach den Golf-Runden trainiere er noch mal für 90 Minuten. Auf Youtube sind auch Filme abrufbar, die zeigen, an welchen Foltermaschinen er sich trimmt. Die Übungen, die ihm sein Fitnesscoach Greg Roskopf verordnet, haben den hochtrabenden Namen "Muscle Activation Techniques" und sind geschützt als Marke.

DeChambeau hat schon immer versucht, die Grenzen des Möglichen auszuloten. Als Amateur bemalte er einst den Ball mit zwei Linien und nicht wie andere mit nur einer, um den Ball nicht nur horizontal, sondern auch vertikal auszutarieren vor dem Putten auf dem Grün. Im Jahr 2015 war er US-Amateur-Champion. 2016 wurde der Kalifornier aus Modesto, der in Dallas lebt, Profi. Ein Sprichwort heißt: drive for show, putt for dough. Lange Schläge sehen toll aus, mit Putts macht man Geld. So steigerte er sich in die Welt des Puttens, bis aus dem mäßigen Putter ein guter wurde. Dass er sich steif wie ein Cricketspieler bei diesem Schlag bewegt? Um Schönheit geht es nicht. Das Ergebnis zählt.

Schließlich widmete er sich der Biomechanik, studierte Rotationsgesetze, Winkeleffekte, Hebelwirkungen, wagte Revolutionäres: Er verwendete für alle Schläger die selben Schaftlängen. Lange Eisen haben ja in der Regel etwas längere Schäfte als kürzere Eisen. Fünf PGA-Siege errang der Mann mit der Schiebermütze seitdem. 2018 nahm er am Ryder Cup teil, enttäuschte aber beim US-Debakel in Paris gegen Europa wie kein anderer. Teamsport ist nicht ganz sein Ding. Dafür lebt er zu sehr in seiner Tüftelblase.

Diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn er über sein Spiel spricht. Aufgrund der neuen Kräfte müsse er zum Beispiel Winkel der Schlagflächen justieren. Für den Driver etwa benutzt er eine Fläche (5 Grad) steil wie eine Wand. Ohne Kraft stürzt der Ball bei diesem niedrigen Loft schnell ab, da er nicht besonders hoch steigt. Die Neigung des Drivers von McIlroy beträgt dagegen 10,5 Grad. "Am Ende wird der Künstler gewinnen", glaubt McIlroy zwar und versichert, er bevorzuge es, vom Gewicht her leichter zu sein. DeChambeau macht aber kein Geheimnis daraus, dass er noch mehr vorhat: "Mein ultimatives Ziel ist, so stark zu werden, wie ich kann, um weitere Kraft und Geschwindigkeit zu haben" - dann wolle er sehen, was er noch leisten kann.

Er betrachtet sich auch als Experiment. Stand jetzt wiegt er 110 Kilo, bei einer Größe von 1,85 Metern. "Letztes Jahr trug ich noch Medium", verriet er zu seiner Hemdgröße, "nun trage ich Extra Large."

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020/ska
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