Golf:Selbst die Gegner huldigen Tiger Woods

Tiger Woods walks on the 15th fairway during a practice round prior to the Masters golf tournament a

Tiger Woods schreitet zur Proberunde - und das Publikum verfolgt es in Zehnerreihen: Der Wahnsinn ist zurück in Augusta.

(Foto: Kevin Dietsch/imago)
  • Vor dem Golf-Masters-Turnier in Augusta ist die Euphorie um Tiger Woods auf ein irrwitziges Level gestiegen.
  • Nach einer einjährigen Pause wegen einer Rücken-OP und Medikamenten-Entzugs gehört Woods wieder zu den Favoriten.
  • "Ich habe mich zuletzt vor sieben oder acht Jahren so gut gefühlt", sagt der vierfache Gewinner von Augusta zu seiner Verfassung.

Von Gerald Kleffmann

Ort und Termin des Spektakels stehen nun also fest. Donnerstag, 10.42 Uhr, Abschlag 1 im Augusta National Golf Club. Tea Olive heißt die erste Bahn; alle 18 Distanzen auf dieser edlen, furchtbar distinguiert geführten Anlage im US-Bundesstaat Georgia tragen Namen von Gewächsen. Womöglich wird sich die Süße Duftblüte (Osmanthus fragrans), die auf dem Weg zum ersten Loch den Rand des Fairways ziert, mehr als sonst über den Lärm wundern. Wobei der Lärm trotz allem sicher nicht vergleichbar sein wird etwa mit dem beim Turnier in Phoenix, wo bierselige Fans Urlaute bis zur Peinlichkeit von sich geben. Hier, beim Masters, wird meist so gesittet geklatscht wie bei einem klassischen Meisterkonzert von Kent Nagano, und dann wird nach der akustischen Respektbekundung auch gleich wieder in absolute Stille verfallen.

Warum es diesmal besonders speziell wird, beschrieb der Engländer Tommy Fleetwood, der auch zur Dreiergruppe um 10.42 Uhr zählt, vorab so: "Das erste Masters im Fernsehen sah ich 1997, als ER gewann. Nun, einige Jahre später, kann ich mit IHM spielen, und ich denke nicht, dass es eine bessere Auslosung geben kann, als Tiger als Partner zu bekommen, vor allem wenn man bedenkt, was gerade im Golf alles los ist."

Ja, was ist eigentlich los? Am Montagmorgen betrat Tiger Woods das Gelände. "Wunderbare Szene, als Tiger vom Klubhaus zum Puttinggrün läuft", textete gleich darauf Nick Faldo, 60, dreimal Gewinner des legendären grünen Jackets. "Der Güterzug an Aura und Erwartung ist zurück. Wir sind alle da für eine unglaubliche Woche."

Am Dienstag dann spielte Woods eine Proberunde mit Phil Mickelson, 47. Das hatten die zwei in 20 Jahren Augusta noch nie getan. Sie mochten sich lange nicht. In Zehnerreihen standen die Zuschauer an den Seiten. Als Woods an der 16. Bahn einen langen Putt lochte, brandete Jubel auf. "Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag einmal sehen würde, an dem Tiger und Phil in Augusta eine Proberunde spielen", schwärmte der Nordire Rory McIlroy, 28, seit Jahren einer der Besten der neuen Generation, die nun ein Gefühl dafür erhält, wie das damals war. Als Woods seine 14 Major-Titel errang; nur Jack Nicklaus, 78, hat mehr (18). Als Woods zum globalen Weltsportler aufstieg, eine Ära prägte, ehe ihn private Probleme und Rückenbeschwerden aus dem Erfolgsorbit warfen.

"Er ist der Zeiger", sagte der Amerikaner Justin Thomas, 24, der im Spätsommer 2017 das letzte Major gewann, die PGA Championship.

Was also los ist? Die Gegner huldigen Woods. Die Fans folgen ihm wie Jünger. Bei den Wettquoten liegt er fast ganz vorne, US-Profi Dustin Johnson und der Brite Justin Rose werden leicht favorisiert. Die Schwarzmarktpreise, wird kolportiert, erreichen verrückte Höhen. Alles wirkt überhöht, gerade so, als wollten alle das nachholen, was dem Golfsport quasi genommen wurde: 2015 nahm Woods an seinem letzten Major-Turnier teil. 2008 triumphierte er letztmals bei einem der vier wichtigsten Events im Golf. Viermal siegte er in Augusta, nach 1997 noch 2001, 2002 und 2005. Nach fast einem Jahr Pause zuletzt wieder (wegen Rücken-OP und Medikamenten-Entzug) musste Woods nur bei zwei Turnieren Zweiter und Fünfter werden, schon hyperventiliert die Golfgemeinde.

"Gehen wir alles langsam an"

Die Vorfreude der Branche auf die 85. Ausgabe des Masters, das als einziges der vier Majors stets auf dem selben Kurs stattfindet, ist aber nachvollziehbar, auch aus sportlicher Sicht. Es ist ja nicht so, dass Woods als Einziger eine gute Geschichte bietet. McIlroy könnte endlich seinen Karriere-Slam erreichen, nur Augusta fehlt in seiner Sammlung noch. Der indische Aufsteiger Shubhankar Sharma sorgt in Asien für höchste Anteilnahme. Jason Day, Jon Rahm, Titelverteidiger Sergio Garcia, Jordan Spieth, Ricky Fowler: Die Männertour, die sich lange fragte, was nach Woods noch kommen solle, ist so reich an charismatischen Darstellern wie seit langem nicht (Martin Kaymer kämpft nach überstandener Handverletzung noch mit der Form).

Früher gab es die Big Five genannte Gruppe mit Nick Faldo, Seve Ballesteros, Bernhard Langer (der als zweimaliger Masters-Sieger auch diesmal wieder in Augusta startet), Sandy Lyle und Ian Woosnam, später folgten die nächsten Big Five mit Woods, Mickelson, Ernie Els, Vijay Singh und Retief Goosen. Heute gibt es viel mehr Siegkandidaten. Aber nur einen Tiger Woods.

"Die Energie ist unwirklich."

Was der auszulösen vermag, erfuhren auch Fred Couples und Thomas Pieters, die am Dienstag mit Woods und Mickelson zusammen neun Bahnen spielten. "Es war ein netter, ruhiger Zweikampf, dann kamen Tiger und Phil dazu und ... tja", schilderte Adam Morrow, der Caddie des Belgiers Pieters, dem Magazin Golf Digest. Couples, 58, Masters-Champion von 1992 und selbst sehr beliebt, meinte, gefragt nach Woods und den Folgen seiner Präsenz: "Die Energie ist unwirklich."

In dieser Ballung an Erwartungen und Aufgeheiztheit ist es fast ein Wunder, dass ein Mensch noch konzentriert und frei einen kleinen Ball treffen kann. Andererseits: Woods kennt es ja nicht anders, seit er mit 21 Jahren beim Masters siegte und zig Rekorde dabei aufstellte. Was aber neu ist für ihn: "Ich habe keine Schmerzen", sagte er nun. Das letzte Mal habe er sich vor sieben, acht Jahren so gut gefühlt. Gleichzeitig hegte er aber auch einen Wunsch ans Publikum: "Ich habe noch vier Runden zu spielen", sagte er, "gehen wir alles langsam an."

Doch dafür ist es zu spät. Tiger Woods, der Zeiger, ist zurück an jenem mythischen Ort, an dem seine einzigartige Geschichte begann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: