Golf:Zerstört er Augusta?

Golf: Bryson DeChambeau während einer Trainingsrunde in Augusta.

Bryson DeChambeau während einer Trainingsrunde in Augusta.

(Foto: AP)

Bryson DeChambeau ist der neue Muskelmann der Tour. Nun fürchten einige, dass er auch beim Masters mit seinen Schlagweiten die Platzarchitektur aushebelt.

Von Gerald Kleffmann

Vor eineinhalb Jahren, als das letzte Mal das Masters im Augusta National Golf Club stattfand an der Magnolia Lane, entlang derer man das Gras wohl mit der Pinzette trimmt, verzückte ein Mann die Golfszene: Tiger Woods, der zur Ikone aufgestiegen war, um dann tief zu fallen nach privaten und körperlichen Problemen und der schließlich halbwegs zurückkam - er siegte. Wie aus dem Nichts. Seinen 15. Majortitel erlangte er elf Jahre nach seinem 14., das verlieh seinem Erfolg noch mehr Glanz. Aber jetzt, im November 2020? Wirkt Woods' Triumph Lichtjahre her.

Die Golfwelt hat sich rasant wie seit Woods' Anfängen nicht mehr weitergedreht. Viele Profis, Ex-Profis und Beobachter stellen sich, wenn ab Donnerstag das aufgrund der Pandemie verschobene, wichtigste Major-Turnier stattfindet, eine mehr von Furcht denn von Euphorie geprägte Frage: Wird Bryson DeChambeau Augusta zerstören? Den Platz also bewältigen, als spiele er Minigolf? "Ich mache mir Sorgen, was er diesem Ort antun kann", sagte der Waliser Ian Woosnam, 62, der 1991 selbst das grüne Masters-Sakko gewann, der Zeitung Telegraph.

Es war 1997, als Woods die Golftour maßgeblich zu verändern begann. Das Wundertalent, gedrillt von seinem inzwischen verstorbenen Vater Earl, einem Vietnam-Veteran, stieg mit 21 zum jüngsten Masters-Champion auf und brachte eine nie dagewesene Professionalität in seinen Sport, auch eine neue Athletik. Aber Woods sah eine Grenze. Seine Grenze war die reproduzierbare Perfektion. DeChambeau, 27, wie Woods ein Kalifornier, will - und das ist das Revolutionäre - keine Grenze der Entwicklung akzeptieren.

DeChambeau kann nun Platzhindernisse wie Bunker so umspielen, als gäbe es sie nicht

Er will weiter schlagen, immer weiter, genauer dabei, kontrollierter. Als Basis dient ihm ein Körper, in den er jeden Tag sechs, sieben Protein-Shakes pumpt, den er an Maschinen stählt, medizinisch überwachen lässt. Natürlich polarisiert eine derart extreme und noch nie dagewesene Herangehensweise. Dass sich Zweifel aufdrängen, ob alles rechtens zugeht, ist seinem Team bewusst. "Wenn du solche Veränderungen siehst, denkst du, jemand nimmt Steroide", sagte sein Fitnesscoach Greg Roskopf zuletzt der New York Times, "aber ich kann garantieren, er nimmt keine Steroide. "Ich weiß, dass einige die Stirn runzeln, aber wir nehmen es als Kompliment, weil es beweist, dass der Weg funktioniert." DeChambeau werde zudem auf Doping regelmäßig getestet, er hätte auch nichts dagegen, jederzeit überprüft zu werden. So sehen sie das in seinem Team.

Der vor einem Jahr noch normal gebaute, sehr gute US-Tour-Profi hat sich jedenfalls in einen wie aufgeblasen wirkenden Haudrauf-Champion verwandelt. Als DeChambeau, um 20 Kilo schwerer, nach der Corona-Pause wieder spielte, war das der Start seiner Ära. Nach einigen Spitzenplatzierungen gewann er ein normales PGA-Event, dann souverän die US Open - mit sechs Schläge Vorsprung. "Mad scientist" wird er genannt, weil er Physik studierte, stets besessen an Details tüftelte und statt wie alle anderen etwa nicht mit unterschiedlich langen, sondern gleich langen Schäften spielt. DeChambeau nennt das, was er macht, ein "fun experiment".

Als er kürzlich auf der Trainingsrange die Abschlaggeschwindigkeit seines Balles maß und der die magische Zahl von 200 Meilen pro Stunde durchbrach, zeigte er den Moment seiner Fangemeinde im Internet. Es ist wie in amerikanischen Kindergärten, wenn sie Show&Tell spielen. Mit dem Unterschied, dass im Golf Millionen zu verdienen sind. DeChambeau verkauft sich mittlerweile gut mit seinem Alleinstellungsmerkmal. Auch da ist er Profi.

In der Einschätzung, was er nun mit dem bedeutsamsten Major-Platz anstellt, sind sich die meisten einig. Die frühere Größe Gary Player meinte, DeChambeau würde eine "normale Woche" reichen, um zu gewinnen. US-Profi Jordan Spieth ist sich sicher, er könne "sich nur selbst besiegen". DeChambeau hat seine Erwartungshaltung nicht niedriger gehängt, weshalb er all seine Vorbereitung auch aufs Masters gerichtet hat. Er hat nach der US Open nur ein Turnier bestritten, trainiert, Kraft und Schlaggeschwindigkeit aufgebaut. Die Schallmauer von 200 Meilen zu durchbrechen, hat ihn regelrecht umtrieben. Er hat die berühmten 18 Bahnen von Augusta so eifrig studiert, als ginge es darum, für die Nasa auf einem Planeten die richtige Landestelle für eine Sonde zu erforschen. Er spielte Proberunden, erst am Montag wieder, mit Woods, Justin Thomas und Fred Couples. US-Journalisten berichteten, DeChambeaus Bälle lagen im Schnitt bis zu 30 Meter weiter als die der hochkarätigen Kollegen. Ein Distanzunterschied, der ganz andere Strategien ermöglicht. Aggressivere. Und dabei will er, anders als geplant, wohl doch erst mal auf einen 48 Zoll (1,20 Meter) langen Schaft beim Driver verzichten. Diese Überlänge wird sonst nur bei Long-Drive-Wettbewerben verwendet.

DeChambeau ist auch in Augusta ganz der Wissenschaftler. Er hat sich einen peniblen Plan zurechtgelegt, an welchen Bahnen er anders als sonst agieren will. Vor allem: anders als die Konkurrenz. Im Grunde sind das fast alle Bahnen, bis auf die kürzeren Par-3s wie die 16. Bahn. Sein Vorteil besteht darin, dass er Platzhindernisse so umspielen kann, als gebe es sie nicht. An der ersten Bahn lauert ein Sandbunker in der Nähe der üblichen Landezone der von den Profis geschlagenen Bälle - bei 270 Metern. DeChambeau kann nun darüber hinweghauen und muss im Idealfall für den zweiten Schlag ein kleineres Eisen oder nur ein Wedge nehmen; diese Schläger ermöglichen mehr Präzision. Oder an Bahn neun kann er über Bäume schlagen, andere müssen durch die Baumgasse spielen. So reiht sich Vorteil an Vorteil.

Bei aller Akribie und allem Ehrgeiz wirkt DeChambeau tatsächlich entspannt. Seine Ambitionen verpackt er nett. "Mein Ziel ist es, eine neue Generation an Golfern zu inspirieren, anders zu denken. Einfach rauszugehen und Bomben abzufeuern. Augusta wäre die passende Bühne dafür." Ist ja schließlich ein Spaß-Experiment.

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