Martin Kaymer beim Ryder Cup:Mr. Nice Guy genießt viel Respekt

Ryder Cup: Martin Kaymer locht 2012 den entscheidenden Putt

Versenkt! 2012 locht Martin Kaymer den entscheidenden Putt, der Europas Sieg nach einer spektakulären Aufholjagd besiegelt.

(Foto: Tannen Maury/dpa)

Sportlich konnte sich Martin Kaymer nicht für den Ryder Cup qualifizieren, doch er darf als Vize-Kapitän Europas Golfer unterstützen - seine Nervenstärke soll das Team weit tragen.

Von Gerald Kleffmann

Martin Kaymer gilt in der Golfszene als derart umgänglich, dass sich manche Kollegen deshalb schon über ihn lustig machten. Sogar auf offiziellem Weg. Anfang des Jahres veröffentlichte die European Tour einen Werbespot, in dem der Deutsche auftaucht. Er platzt mitten in eine Besprechung einer Therapiegruppe. Profikollegen bilden einen Sitzkreis, Kaymer fragt gespielt naiv: "Ist das hier für die wütenden Golfer, ja?" Tommy Fleetwood, der Engländer mit der Jesusfrisur, dreht sich um und erwidert empört: "Martin, das ist nichts für dich." Landsmann Eddie Pepperell ergänzt: "Du bist nicht wie wir. Du bist ... zu nett."

Mal abgesehen davon, dass es offenbar doch noch Werbeagenturen gibt, die witzige Ideen haben, beinhaltet die Sequenz viel Wahres. Kaymers Wesen ist ja einer der Hauptgründe, warum er noch bis zur Entscheidung am Sonntag beim Ryder Cup dabei ist, obwohl er sich als Spieler nicht für den Kontinentalvergleich zwischen je zwölf Golfern aus den USA und Europa qualifiziert hat. Kaymer ist einer der fünf Vize-Kapitäne, die Padraig Harrington, Kapitän von Team Europe, auserwählt hat als Verstärkung für das Duell, das am Freitag begann. Der Deutsche ist der Mann fürs Wohlfühlklima, der Mr. Nice Guy. Auch das ganz offiziell.

43rd Ryder Cup - Previews

Rückendeckung: Martin Kaymer beäugt den Schwung des Engländers Paul Casey während einer Proberunde auf dem Whistling Straits Golf Course.

(Foto: Andrew Redington/AFP)

"Ich wollte Martin als Vize-Kapitän, weil er eine tolle Persönlichkeit besitzt und Ruhe beisteuert", betonte der Ire Harrington, der in den Nullerjahren zu den besten Spielern der Welt zählte und drei Major-Turniere gewann. "Martin bringt auch nette Emotionen ins Team", ergänzte der 50-Jährige aus Dublin, "das ist sehr wichtig. Er ist jemand, der bei der Atmosphäre hilft, der einen oder zwei Arme um einen Spieler legt." Kaymer selbst hat im Juli, als seine Nominierung bekannt gegeben wurde, offen erklärt, dass er seine Aufgaben exakt in diesen Bereichen sieht. Mit Harrington hatte er sich länger über seine Rolle ausgetauscht und ihm klar gemacht: "Ich bin nicht der Typ, der sich viel mit Zahlen und Statistiken beschäftigt. Ich rede lieber mit den Jungs, auf die persönliche Art, ich bringe mich mehr von der mentalen Seite her ein." Wie wichtig im Ryder Cup gerade die innere Haltung ist, haben die europäischen Golfer in den vergangenen zwölf Begegnungen demonstriert. Oft genug bildeten sie nicht das individuell stärkste Team - aber siegten neun Mal.

Kaymer erlebt ein besonderes Jahr, auch privat: Er wird erstmals Vater

Die Rolle der Vizes darf man einerseits nicht überbewerten, die großen Entscheidungen trifft stets der Kapitän. Er bestimmt, welche Spieler in den Formaten Vierer und Vierball jeweils ein Duo bilden und in welcher Reihenfolge diese Mini-Teams auf die Runde gehen. Am Freitag und Samstag wurden jeweils morgens vier Vierer- und nachmittags vier Vierball-Matches bestritten, am Sonntag folgen dann zwölf Einzelduelle.

Der Mythos Ryder Cup fußt auch darauf, dass sich dieser Wettkampf vollkommen von den gängigen Einzelturnieren der Profi-Touren unterscheidet. Es geht permanent um Teamgeist, Menschenführung, Psychologie, taktisches Geschick, das Bestehen größter Drucksituationen, von Abschlag eins an. Die Zuschauer, gerade die amerikanischen, machen auf dem Whistling Straits Golf Course am Lake Michigan einen Lärm wie Fußballfans. Und weil Harrington oder auch der US-Kapitän Steve Stricker eben nicht überall sein können, können die Vizes andererseits schon zu einem Faktor werden. Stricker, 54, assistieren Jim Furyk, Davis Love III, Phil Mickelson, Zach Johnson und Fred Couples. Sie alle haben nicht nur als Spieler Ryder-Cup-Erfahrung - Furyk und Love III waren selbst schon Kapitäne.

Auch Kaymers Profil rechtfertigt seine Berufung. 2010 gewann er auf dem irisch anmutenden Platz (kleine, schnelle Grüns, viele Bodenwellen) in Whistling Straits seinen ersten von zwei Major-Titeln, bei der US PGA Championship düpierte er Bubba Watson im Playoff. Kaymer wirkte bereits in vier Ryder Cups (2010, 2012, 2014, 2016) mit, sein gelochter Putt 2012 im Medinah Country Club in Illinois, der Europas furiose Aufholjagd am Schlusstag besiegelte ("Miracle of Medinah"), ist Teil der langen Historie. Harrington hob umso mehr die "Autorität" Kaymers hervor, der sich sicher auch um die Rookies, die Ryder-Cup-Debütanten Bernd Wiesberger (Österreich), Viktor Hovland (Norwegen) und Shane Lowry (Irland) kümmern wird. Die weiteren europäischen Vizes sind Graeme McDowell (Nordirland), Robert Karlsson (Schweden), Henrik Stenson (Schweden) und Luke Donald (England). Auch sie alle sturm- und siegerprobt im Ryder Cup. Was diese Erfahrung nutzt, muss sich allerdings erst noch weisen: Nach dem ersten Tag lagen die USA schon mit 6:2 vorn - die größte Führung nach Tag eins seit 46 Jahren. Es herrschte also Gesprächsbedarf.

Kaymer, allseits respektiert, erlebt wahrlich ein besonderes Jahr 2021. Sportlich bewies er ansteigende Form; privat erwarten seine Partnerin Irène Scholz, die sich als Peloton-Trainerin einen Namen gemacht hat, und er das erste Kind. Als Spieler wäre er natürlich auch gerne dabei gewesen in Wisconsin, gab er zu. "Ich habe natürlich alles versucht, mich sportlich für das Team zu qualifizieren", hatte er vor dem Abflug in die USA der Nachrichtenagentur dpa gesagt, "muss mir aber eingestehen, dass es einfach nicht gut genug war. An einem gewissen Punkt muss man ehrlich sein, dass ich im Moment nicht zu den zwölf besten Spielern Europas gehöre." Nun versucht er eben, als Vize-Kapitän dem Team zu helfen. Bis Sonntag ist noch Zeit, das Blatt zu wenden.

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