Süddeutsche Zeitung

Golf:Kernschmelze in Kalifornien

Martin Kaymer scheitert nach einer desaströsen zweiten Runde beim ersten Golf-Major des Jahres bereits am Freitag. Dabei wäre das PGA Championship in San Francisco eine gute Gelegenheit für ein großes Comeback gewesen.

Von Felix Haselsteiner

Am Samstagmorgen tauchte Martin Kaymer noch einmal kurz auf der PGA Tour auf. In einem Instagram-Post verabschiedete sich der Account der US-Tour von den "familiar faces", die am Wochenende des ersten Golf-Major im Jahr 2020 nicht mehr zu sehen sein werden. Der ewig talentierte und sehr beliebte US-Amerikaner Rickie Fowler war darunter, der Spanier Sergio Garcia, der junge und überaus begabte Südkoreaner Sungjae Im - und eben Martin Kaymer, den man in den USA noch immer als familiäres Gesicht wahrnimmt.

Anders als in Deutschland sind Kaymers einst so historische Erfolge auf der anderen Seite des Atlantiks noch präsent genug, um ihn respektvoll in Ahnengalerien aufzunehmen. (Zur Erinnerung seien sie hier noch einmal aufgezählt: zwei Major-Siege 2010 und 2014, ein Sieg beim Players Championship 2014, ein entscheidender Putt beim europäischen Ryder-Cup-Sieg 2012, mehrere Wochen als Nummer Eins der Weltrangliste 2010.) Es gibt so gut wie kein abfälliges Wort über ihn, selbst nach einer so grauenvollen Runde wie am Freitag, als Kaymer sich im TPC Harding Park in San Francisco mit einer 82 (zwölf (!) über Par) aus dem Turnier schoss, das für ihn doch so gut begonnen hatte.

Am Donnerstag nämlich hatte noch einiges darauf hingedeutet, dass das Comeback der Majors im Golfsport auch das Comeback des Martin Kaymer auf der ganz großen Bühne werden könnte. Bei seinem erst zweiten Turnierauftritt seit der Corona-Pause lag der 35-Jährige nach den ersten 18 Löchern mit vier unter Par auf dem geteilten dritten Platz, zwischenzeitlich war er sogar kurz in Führung gewesen. Kaymer spielte das Golf, das ihn in seinen besten Zeiten ausgezeichnet hatte: fokussiert, gut auf den Grüns, sicher in allen Schlägen, niemals mit unnötigem Risiko.

Kaymer berichtete auch im Interview davon, dass dieser Eindruck nicht täuschte. Er hatte sich zur Vorbereitung auf das PGA Championship Videos von seinem letzten Sieg bei den US Open 2014 angeschaut: "Wie ich da gespielt habe, meine Einstellung, meine Haltung, mein Putten, das alles hat mich inspiriert. Ich habe daran geglaubt, dass ich gut spielen kann, auch nach fünf Monaten Pause", sagte er. Kaymer gilt nach wie vor als einer der klügsten Analytiker des komplizierten Golfsports und beschäftigt sich viel mit der mentalen Herangehensweise an Runden, was seinen Erfolg vom Donnerstag erklärt - allerdings die Runde vom Freitag umso rätselhafter erscheinen lässt. Die ersten fünf Löcher waren noch manierlich, doch dann begann der freie Fall mit einem Triple Bogey auf der sechsten Bahn, und danach war es wie eine Kernschmelze in Kalifornien: Einem Birdie standen sieben Bogeys und noch ein Doppelbogey gegenüber. Kaymer sprach danach nicht zur Presse, in den sozialen Medien ist er selbst ohnehin nur sehr spärlich aktiv, auch diesmal kommentierte er dort sein vorzeitiges Ausscheiden nicht.

Eine 82 - das ist wie ein 0:6, 0:6 im Tennis

So lässt sich nur sagen, dass es kaum vorstellbar ist, dass eine so desaströse Runde nicht auch den erfahrensten, klügsten Analytiker durchschütteln wird. Eine 82 bei einem Major-Turnier ist in etwa vergleichbar mit einer 0:6-0:6-Niederlage im Tennis, Runden wie diese haben manche Spieler schon in tiefe Krisen gestürzt. Davon ist beim erfahrenen Kaymer nicht auszugehen, aber auch die rein faktischen Konsequenzen bringen nicht allzu viel Optimismus: Das PGA Championship ist das einzige Major, bei dem Kaymer in diesem Jahr voraussichtlich starten wird, zumindest den aktuellen Qualifikationskriterien für die anderen drei entspricht er als 128. der Weltrangliste nicht.

Auch weitere Turniere in den USA erscheinen unwahrscheinlich: Seine PGA-Tour-Karte hat Kaymer nicht mehr, es bleibt die Hoffnung auf vereinzelte Einladungen durch Sponsoren - und Europa. Die European Tour jedoch bietet in dieser Saison längst keine so aussichtsreiche Alternative zu den USA wie in Nicht-Corona-Zeiten. Eine Reihe kleinerer Turniere wurde zwar organisiert, die prestigeträchtige und finanziell reizvolle Rolex Series jedoch abgesagt.

Kaymer muss also, wie schon in den vergangenen Jahren, darum kämpfen, sich seinen Status zu erhalten. Das PGA Championship wäre eine gute Chance gewesen, doch der Golfsport lebt davon, dass er seinen Protagonisten immer wieder die Gelegenheit für Comebacks bietet. Auch Kaymer wird seine bekommen. Denn eigentlich, und das steht fachlich außer Frage, ist der Mann aus Mettmann weiterhin ein viel zu guter Golfspieler, um nur in den Ahnengalerien erwähnt zu werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4993645
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.