FC Bayern:Das Münchner Gedankenspiel mit Götze

Hansi Flick hat die Thiago-Lücke als Problemstelle im Bayern-Kader ausgemacht. Ein ablösefreier Mario Götze wäre eine Lösung - doch die Realisierung ist eine ganz andere Frage.

Von Christof Kneer

Wo war eigentlich Hansi Flick damals? Es gibt Bilder, die Jogi Löw zeigen, wie er an der Seitenlinie neben Mario Götze steht, vermutlich war das der Moment, in dem der legendäre Satz fiel: "Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi." Götze hat dann zumindest bewiesen, dass er im WM-Finale in Rio mehr Tore schießen kann als Messi, Götze schoss eines, Messi keines, Deutschland wurde 2014 Weltmeister. Hansi Flick saß vermutlich auf der Bank, als Löw neben Götze stand, er hielt sich im Hintergrund.

Flick ist radikal unterschätzt worden damals, ein freundlicher Co-Trainer halt, der nicht viel sagt. Im Verband war den Leuten aber immer klar, welche Verdienste sich Flick um den WM-Titel erworben hatte, nicht nur, weil er erfolgreich jene Freistöße und Eckbälle trainieren ließ, die Löw eher unter Protest als Teil des Spiels akzeptierte. Auch die Spieler mochten Flick und seine menschliche Art, und sie schätzten sehr, wie stark er sich etwa für die Reservisten (Götze!) einsetzte.

Wer die drei Titel analysieren möchte, die der FC Bayern im Jahr 2020 gewonnen hat, der kann ruhig noch mal zurückspulen in den Sommer 2014, nach Rio de Janeiro und auf das liebenswerte Halbinselchen, auf dem die deutsche Nationalmannschaft damals wohnte. In jener Zeit lernte Flick zum Beispiel, was für ein verlässlicher Fußballer der Gelegenheitscomedian Thomas Müller sein kann, wie ernsthaft man mit ihm oder auch mit Jérôme Boateng über Fußball reden kann; in jener Zeit wuchs das gegenseitige Vertrauen, das fünfeinhalb Jahre später noch mal gebraucht werden sollte: als Flick im November 2019 den FC Bayern übernahm und im Zuge umfassender Renovierungsarbeiten plötzlich wieder die verschütteten Fähigkeiten von Müller und Boateng freilegte.

Götze hat kürzlich die Berateragentur gewechselt

Er telefoniere mit vielen Spieler von damals, das antwortet Flick, wenn man ihn gerade nach Mario Götze fragt. Das ist eine elegante Antwort, die alles und nichts bedeuten kann - womöglich telefoniert Flick also auch mit Ron-Robert Zieler oder Erik Durm, ohne dass man die beiden mit dem FC Bayern in Verbindung bringen würde. Auch Götze, hätte man zuletzt kaum mehr für FC-Bayern-tauglich gehalten; und als Götze nun in einem Interview sagte, er wolle "unbedingt" noch mal die Champions League gewinnen, da wusste die Branche nicht so recht, wie sie reagieren konnte.

Lachen? In den Arm nehmen und trösten? Götze hat kürzlich die Berateragentur gewechselt, und natürlich muss man die Logik der Branche bei allem immer mitdenken: Natürlich muss die neue Agentur ihren neuen Spieler erst mal goldbehangen auf den Marktplatz stellen, und wenn flankierend von einem Kaufinteresse der besten Elf des Universums berichtet wird, dann bleibt ja immer was hängen: dass Götze noch Leistungssportler ist, dass er noch Ambitionen hat, dass ihm sogar die beste Elf des Universums noch was zutraut.

Dennoch könnte Götzes demonstrativ betonte Champions-League-Sehnsucht zumindest ein bisschen mehr gewesen sein als nur Eigen-PR: Die Sport-Bild berichtet von einem Telefonat zwischen Flick und Götze, in dem es um ein mögliches Engagement beim FC Bayern gegangen sein soll. Götze wäre ja der ideale Spieler für die Corona-Zeit, sein Vertrag bei Borussia Dortmund ist ausgelaufen, er ist somit arbeitslos (klingt nicht gut) und ablösefrei (klingt schon besser). Allerdings, heißt es weiter, würden Klubchef Karl-Heinz Rummenigge und Sportvorstand Hasan Salihamidzic die Idee ihres Trainers "bisher ablehnen".

"Es wird so sein, dass wir noch den einen oder anderen Spieler dazubekommen", sagte Flick kürzlich, dessen ohnehin nicht sehr geräumiger Kader nach den Abschieden von Thiago, Philippe Coutinho, Ivan Perisic und Álvaro Odriozola weiter geschrumpft ist - zumal auch der Weggang des guten, alten Javi Martínez bevorsteht. Nach SZ-Informationen gab es tatsächlich ein kleines Gedankenspiel, in dem Götze eine Rolle spielte, allerdings galt und gilt die Realisierung als sehr unwahrscheinlich.

"Wir haben telefoniert, das ist richtig", sagte Flick am Mittwoch, "ich schätze ihn sehr, weiß auch, wo er seine Stärken hat. Aber aktuell ist er für uns keine Option."

Flick braucht einen Spieler für die Ballbesitzphasen

Wie wettkampf- und tempohart dieser Götze noch ist, darüber kursieren ohnehin unterschiedliche Meinungen, unumstritten ist aber weiter sein fußballerisches Vermögen. Aus Dortmund hört man, dass Götze im "Footbonauten" bis zuletzt unschlagbar gewesen sei - in jenem digitalisierten Trainingskäfig, in dem die Spieler von Robotern in unterschiedlichen Varianten mit Ball-Zuspielen befeuert werden. Götzes Balltalent, seine Handlungsschnelligkeit, seine Präzision in millimeterkleinen Räumen: Das ist alles noch da. Unpraktisch nur, dass sich das Spiel um ihn herum zu einer gnadenlosen Raserei entwickelt hat, in der Götze zuletzt recht verloren wirkte.

Unabhängig von Götze enthält die Debatte eine klare Botschaft: Flick hat einen präzisen Blick für die Balance einer Elf, er weiß, dass ihm nicht nur ein zweiter Rechtsverteidiger und womöglich noch ein Flügelstürmer fehlen. Der Name Götze lenkt den Blick auf jene Lücke, die Thiago mit seinem Wechsel zum FC Liverpool hinterlassen hat. Thiagos Wert für Bayern ist bis heute strittig, aber seit Flick ihn aus der defensiven Sechserrolle entlassen hat, war kaum mehr zu übersehen, welche Bedeutung der Ballakrobat fürs große Ganze hatte. Thiago war der, der das Spiel im Fluss hielt, der fast nie den Ball verlor, der den Mitspielern ein Gefühl der Geborgenheit verlieh - weil sie wussten, dem können wir den Ball immer geben, auch wenn's eng wird, der weiß sich (und uns) zu helfen.

Diese Rolle ist in der Bayern-Mittelfeld-Besetzungsliste nun vorerst gestrichen: Leon Goretzka ist ein muskulöser Läufer, Thomas Müller ein listiger Raumvermesser, Joshua Kimmich eine Autorität mit Vorliebe für den langen Ball. Aktuell könnten die Bayern Thiagos Qualitäten mehr denn je brauchen - der Plan ist ja, in dieser zehrenden Saison zur Erholung immer wieder längere Ballpassagen einzubauen.

Flick hat die strukturelle Problematik also erkannt und sich die Freiheit genommen, auch an den überraschenden Namen Götze zu denken. Er weiß ja: Viele Spieler mit Thiagos Ballqualitäten gibt der Markt nicht her. Irgendeinen braucht er aber.

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