Kerber:Mit Zitterhand

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Angelique Kerber führte 6:2, 5:2 gegen die Schwedin Johanna Larsson – dann geriet sie in Bedrängnis. (Foto: Kevin Hagen/AP)

Die Wimbledonsiegerin führte schon 6:2, 5:2 gegen die Schwedin Johanna Larsson, hatte Matchbälle - dann geriet sie in Bedrängnis. Am Ende gewann die Deutsche dank ihres Willens das psychologisch geführte Duell.

Von Jürgen Schmieder, New York

Vielleicht wird das, was am Donnerstagmittag im Arthur Ashe Stadium passiert ist, irgendwann in einer Doktorarbeit über Sportpsychologie thematisiert werden - obwohl das, was da passiert ist, nicht analysiert werden kann, zumindest nicht mit konventionellen Mitteln. Angelique Kerber dominierte ihre Zweitrundenpartie gegen Johanna Larsson, sie präsentierte sich austrainiert und spielfreudig, sie führte 6:2, 5:2 und hatte dann zwei Matchbälle für ein rasches Ende, doch schon das Ergebnis (6:2, 5:7, 6:4 für Kerber) deutet an, dass da Außerordentliches passiert sein muss.

Kerber ist bereit für den Wahnsinn bei den US Open

Vielleicht war es tatsächlich ein Experiment: Kerber fiel vom Gipfel in einen Abgrund, sie war fertig, körperlich wie nervlich, doch sie zog sich an sich selbst wieder heraus. Sie hatte eine verblüffende Kleiderwahl getroffen, es war wieder außerordentlich heiß und schwül in New York, die Mittagssonne brannte auf den Tennisplatz im Arthur Ashe Stadium, der aufgrund seiner Architektur jedes kühlende Lüftlein verhindert. Kerber wählte einen schwarzen Rock, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Schirmmütze, eine Botschaft an die Kontrahentin, dass ihr diese Bedingungen aufgrund ihrer erstaunlichen Fitness überhaupt nichts ausmachen. Das ist feinste Tennispsychologie, die nur den ganz Ausgebufften gelingt.

Die Dramaturgie dieser Partie lässt sich kaum anders erklären, als dass Kerber neben Spielfreude und Fitness auch noch Nervenstärke und Ausdauer überprüfen wollte. Nach den vergebenen Matchbällen implodierte sie wie ein Ballon, dem die Luft entweicht, es gelang ihr eine halbe Stunde lang nichts mehr. Jeder Sportpsychologe hätte nun prognostiziert, dass Kerber diese Partie verlieren würde. Sie pustete sich jedoch selbst wieder auf - nicht komplett, aber immerhin so weit, dass sie wieder mithalten konnte.

Die Partie war nun eine schrecklich anzusehende, weil beide Spielerinnen mit Zitterhand agierten, sie zog ihre Faszination aus der Dramatik, aus dem psychologischen Duell. Es gab nun übers Netz geschubste Bälle, es gab groteske Fehler, und gegen Ende der Partie, da standen sich die beiden nach einem Ballwechsel gegenüber wie Muhammad Ali und Joe Frazier nach der 14. Runde beim Thrilla von Manila.

Ein Ringrichter beim Boxen hätte die beiden für technisch ausgeknockt erklärt, beim Tennis jedoch, da geht es weiter. "Dafür trainiert man, um solche Spiele auf so einem Platz zu erleben", sagte Kerber danach, die in dieser Partie alles gezeigt hat, was sie zu einer der besten Spielerinnen der Welt werden lässt: Spielfreude, Ausdauer, Nervenstärke. Sie ist bereit für den Wahnsinn bei den US Open, und da kann es ihr auch egal sein, dass die nächste Gegnerin Dominika Cibulkova (Slowakei) ist: "Man muss sich bei diesem Turnier nur um sich selbst kümmern", befand Kerber gelöst.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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