Süddeutsche Zeitung

Serge Gnabry beim DFB:Der verkehrte Robben

  • Serge Gnabry gelingt beim 3:2 in Amsterdam ein außergewöhnlich schönes Tor.
  • Seine Künste haben ihm nicht nur einen Stammplatz bei Joachim Löw verschafft - er ist sogar Leistungsträger in der DFB-Elf.

Von Christof Kneer

Von diesem Abwehrspieler ist gründlich und natürlich sehr zurecht geschwärmt worden vor dem Qualifikationsspiel in Amsterdam. Er sei nicht nur im Zweikampf mindestens unbezwingbar, er habe inzwischen auch ein spektakuläres Aufbauspiel. Vorsicht vor diesen langen Bällen!

In der 34. Minute dieses Spiels kam dann tatsächlich ein langer Ball geflogen, aber er flog irgendwie in die falsche Richtung. Nicht Virgil van Dijk, der hoch gelobte Niederländer, hatte den Ball auf seine weite Reise geschickt, sondern Antonio Rüdiger, Verteidiger der deutschen Nationalmannschaft. Und noch etwas in diesem Bild war anders als sonst: Van Dijk, der hoch gelobte Niederländer, sah in diesem Moment überhaupt nicht unbezwingbar aus. Serge Gnabry nahm Rüdigers Postsendung am linken Flügel dankend entgegen, dann beschleunigte er und bog mit dem Ball nach innen ab. Er lief ein Stück und bog noch mal ab, immer begleitet von van Dijk, und dann schoss Gnabry plötzlich, und das kam irgendwie völlig überraschend, obwohl doch jeder damit rechnete. Der Ball flog, und dann drehte er sich, und dann schlug er dort ein, wo man als Ball am liebsten einschlägt: im Torwinkel.

Als Ball macht man das besonders gern, weil die Reporter dann immer so schön "Tor des Monats" brüllen. Wobei, ein bisschen gemein ist das ja schon: Geehrt wird im Zweifel immer der Schütze. Nie der Ball.

Andererseits: Wie könnte man Serge Gnabry böse sein, so als Ball? Wo der einen doch immer so gut behandelt!

Hingucken ist was für Amateure, mit Hingucken kann's jeder

Natürlich haben die Menschen auch am Sonntagabend wieder "Tor des Monats" gerufen, nachdem Gnabry den Ball zum 2:0 für die DFB-Elf im gegnerischen Tor untergebracht hatte. Die tiefere Schönheit dieses auch oberflächlich schönen Tores offenbart sich jedoch erst, wenn man das Tor noch mal und noch mal sieht. Das Spektakuläre ist: Gnabry schaut nicht. Er biegt von außen nach innen, er treibt den Ball, er schaut nicht hoch, und dann schießt er. Erst dann hebt er den Kopf und sieht zu, wie der Ball in den Winkel fliegt.

Normalerweise lobt man Spieler, wenn sie den Kopf oben haben, "Kopf oben" signalisiert Überblick und Kontrolle. In Gnabrys Fall ist es andersherum: Mit einem No-look-Schuss den Winkel zu treffen, ist eine Kunst, die nur Spieler mit besonderem Gespür für Raum und Zeit beherrschen. Diese Spieler wissen, wo das Tor steht, sie müssen es nicht sehen. Hingucken ist was für Amateure, mit Hingucken kann's jeder.

Es war ein seitenverkehrtes Robben-Tor, das Gnabry da gelungen ist, Arjen Robben startet seine Soli rechts und schießt mit links. Beim FC Bayern planen sie Gnabry als Robben-Nachfolger für die rechte Seite ein, was nicht unbedingt seiner Vorliebe entspricht. Lieber stürmt Gnabry etwas zentraler oder so flexibel wie in Löws Elf, wo er mit Leroy Sané ein aufregendes Duo bildet, das sich jeden Raum untertan macht, den es da vorne findet. Auf diese Weise hat Gnabry, 23, den Beziehungsstatus "Stammspieler" einfach übersprungen, er ist direkt zum Leistungsträger geworden, und vermutlich hat er nicht mal hingeschaut dabei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4382388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.03.2019/jbe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.