Süddeutsche Zeitung

Glosse:Lachs mit Rosinenbrötchen

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Tokio hat mehr Michelin-Restaurants als jede andere Stadt der Welt. Das Essensangebot für den Olympiareporter kann da nicht ganz mithalten.

Von Claudio Catuogno

Zugegeben, alle japanischen Schriftzeichen hat man noch nicht drauf nach einer Woche Tokio-Berichterstattung. Aber im Pressezentrum der Schwimmhalle kann man schon die Speisekarte lesen. Dabei hilft, dass die Leute vom Organisationskomitee, Abteilung Presseverpflegung, ihre Gerichte mit Fotos anpreisen. 25 Menüs sind abgebildet. 24 davon sind durchgestrichen. Die gibt es nicht. Also sagt der Olympiareporter: "Ja!"

Man muss dann die Plastikfolie über dem Plastikdeckel wegkratzen, schon kommt das Arrangement des Tages zum Vorschein. Am Dienstag: Kalter Lachs auf kaltem Spaghetti-Nest an einer Idee von kalten Brokkoliröschen, serviert mit einem Hauch von in Remoulade schwimmendem Speck. Als Beilage: drei Rosinenbrötchen.

Am ersten Tag in Tokio, nach der Fahrt vom Flughafen in die Stadt, war ein freundlicher älterer Herr in den Bus eingestiegen, um die Angekommenen auf Taxis zu verteilen, und weil das ein bisschen dauerte, gab's davor ein Quiz: "Wussten Sie, dass es in Tokio mehr Restaurants mit Michelin-Stern gibt als in jeder anderen Stadt der Welt?", fragte der ältere Herr. "Möchten Sie raten, wie viele es sind?" Nein, das wusste man nicht, und nein, man wollte auch nicht raten. Aber man wollte auch nicht unhöflich sein. Also, ein Versuch: 100? "Mehr!" 150? "Mehr!" 200? "226! Mehr als in New York und Paris zusammen!" Bilder von raffiniert arrangiertem Teriyaki-Lachs zogen vor dem inneren Auge vorbei, kurzgebratenes Gemüse, Wasabi-Tofu, der Glanz von Honig und Sesamöl... Misstrauisch hätte man werden können, als der ältere Herr - wohl an die Ausgangs- und Einkaufsbeschränkungen für Olympiareporter denkend - fröhlich zu kichern begann: "226! Schade, dass Sie keins davon besuchen werden."

Am Mittwoch: Kaltes paniertes Hühnchen auf kaltem Spaghetti-Nest an einer Idee von kalten Brokkoliröschen, serviert mit einem Hauch von in Remoulade schwimmendem Speck. Als Beilage: drei Rosinenbrötchen.

Man muss jetzt schon seit Tagen an diesen Apfel denken, den man beinahe im Handgepäck über die Grenze geschmuggelt hätte, ehe ein Spürhund anschlug und die Tokioter Flughafenpolizei in Alarm versetzte. Ein APFEL!?!?!?! Ohne Plastikfolie drum rum? Einfuhr STRENG VERBOTEN!!!! Das schöne Obst wurde fachgerecht vernichtet, von einer Verhaftung des Einführenden wurde abgesehen. Aber ach, ein Apfel, das wär's jetzt. Als Beilage zu den vielen Rosinenbrötchen, die hier noch auf dem Pult herumliegen.

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