Glosse:Das Männchen und sein Nagellack

Olympia

Symbolschilder in Japan sind oft wahre Kunstwerke - dieses zum Beispiel hängt im Aufzug zum Gewichtheben und meint es gut mit den Fahrgästen.

(Foto: Gertz / oh)

Japan ist das Land der Symbolschilder, doch Vorsicht: In Zeiten der verdammten Pandemie ist stets ein zweiter Blick nötig, um die Piktogramme richtig zu dechiffrieren.

Von Holger Gertz, Tokio

Japan ist sehr bemüht, sich den Gästen aus der ganzen Welt verständlich zu machen. In Wort und Schrift ist das schwierig, daher ist Japan das Land der Symbolschilder, das Kaiserreich der Piktogramme. Schon die Toilettenpiktogramme ermöglichen den Zugang zu einer fremden, aber auch bereichernden Welt. Und auf den Sportanlagen in Tokio werden die Zuschauer dazu angehalten, keinen Krach zu machen, was etwas überregulierend rüberkommt, weil Zuschauer wegen der Pandemie gar nicht da sind. Das Piktogramm ist trotzdem für jeden verständlich, weiße Tröte auf blauem Grund, mittig durchgestrichen. Darunter steht "No noisemakers", eine belastbare Richtschnur für das Leben nicht nur bei Olympia, sozusagen der schildgewordene Wittgenstein: "Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."

Bei manchen Piktogrammen sollte man zweimal hinschauen, bei jenem zum Beispiel, das sich offenbar an den Wettergott richtet, der mit seinen geschickten Händen eine Wolke nach der anderen knetet, so sieht das aus, auf den ersten Blick. Aber es zählt wieder mal der zweite Blick, der Wettergott ist schließlich gar nicht akkreditiert, und sowieso ist alles in Zusammenhang mit der verdammten Pandemie zu dechiffrieren. Die Wolken sind nur Seifenschaum. Ihre Botschaft: bitte Hände waschen!

Weil man bei Olympia den 3,2,1-Countdown verinnerlicht und zum Medaillenzähler wird: Gold verdient hat eindeutig das Piktogramm im Aufzug vom Tokyo International Forum, wo die Gewichtheber antreten. Aufzugstüren - Liftexperten wissen es - werden im Allgemeinen unterteilt in Fahrkorbabschlusstüren und Schachtabschlusstüren; im Besonderen in Anschlagtüren, Falttüren, Hubtüren und gefährliche Schiebetüren. Im Aufzug zum Gewichtheben hängt also dieses Piktogramm: kugelköpfiges, gewichtheberhaftes Männchen, knallrote Fingerspitzen, zusammengekniffene Augen, Träne links, Träne rechts, voll akkurat da hingeweint. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre der Kugelkopf verzweifelt, weil sein Nagellack so langsam trocknet, aber es zählt wieder mal der zweite Blick: Er hat sich die Fingerchen in der gefräßigen Aufzugstür gequetscht.

Dass diese Gefahr besteht, wusste der Olympiareporter vor seinem Abflug zu Olympia überhaupt nicht, aber warum reist man denn, im Flugzeug, im Aufzug? Um zu lernen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: