Süddeutsche Zeitung

Glosse:Angstgegner Karma

Von Javier Cáceres

Der Fußball ist die laizistische Religion unserer Zeit, mit allerhand irrationalen Zügen und Prozessionen, mit ihren Gottheiten - und ihren Strafen. Und natürlich kennt er, wie man aus der mit der Wikipedia nur entfernt verwandten Whiskeypedia weiß, das spirituelle Konzept des Karmas. Jede Handlung, sei sie physisch oder geistig, hat unweigerlich eine Folge. Derlei geschieht mitunter sofort (vgl. "Instant Karma") - oder auch zeitverzögert. Womit wir beim 1. FC Köln und dem 34. Spieltag wären.

Im vergangenen Jahr gerierten sich die Kölner am letzten Spieltag in Bremen als Opferlämmer, sie ließen sich von Werder mit 1:6 abschlachten und trugen so dazu bei, dass Fortuna Düsseldorf in die zweite Liga abstieg. Ob Kölns Torwart Timo Horn nach dem sechsten Gegentreffer "Halleluja" rief, ist nicht überliefert - wohl aber, dass er als gebürtiger Kölner den Abstieg der Fortuna erfleht hatte: "Mich würde es freuen, wenn es Düsseldorf wird", hatte Horn geantwortet, als er zu den möglichen Absteigern konsultiert worden war. Nun steht Bremen für die Kölner im Fokus: Denn die Überlebenschancen der Kölner in der Bundesliga hängen nicht unwesentlich davon ab, dass sich ein weiterer regionaler Erzrivale, Borussia Mönchengladbach, bei Werder Bremen wacker schlägt und nicht etwa, sagen wir, mit 1:6 verliert.

Oder ist Hilfe für den verhassten Nachbarn Blasphemie?

Zu diskutieren wäre das, wobei zumindest die Schalker von diesem Gedanken Abstand genommen zu haben scheinen. Ausgerechnet in der schlimmsten Saison ihrer Geschichte, und trotz eines bereits feststehenden Abstiegs und einer Reihe von Plagen biblischen Ausmaßes, drehten die Schalker ausgerechnet gegen Eintracht Frankfurt auf. Schalke landete den dritten Sieg der laufenden Saison - und servierte dem verhassten Ruhrpottbruder Borussia Dortmund eine Steilvorlage für eine neuerliche Champions-League-Qualifikation. Sie würde den Dortmundern sehr viel Geld bringen - und ihnen überdies helfen, einen blonden Stürmer in ihren Reihen zu halten, den sie den Heiland nennen, genauer: Erling Heiland. Doch siehe: Es fand sich am Samstag kein Schalker, der den Profis die Leviten gelesen hätte. Was nur daran liegen kann, dass sie längst vom Glauben abgefallen sind.

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