Glosse:An Dserschinsk vorbei

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Bahnfahren in Russland erinnert mit der Vielzahl von Haltestellen an den Regionalexpress im bayerischen Oberland. Die Ausstattung dagegen kaum.

Von Claudio Catuogno

Der Abendzug von Moskau nach Nischni Nowgorod hält in Wladimir, einer Stadt namens "Stadt des militärischen Ruhms Kowrow" und Dserschinsk, das klingt allerdings abenteuerlicher, als es ist. Zeit, einfach mal auszusteigen, hat man als WM-Reisender selten, allenfalls wirft man aus dem Zugfenster einen Blick auf die klapprigen Busse, die dort vor den Bahnhöfen warten, oder man sieht die Dserschinsker ihre Koffer über die Gleise schleppen, weil zwar in Moskau die U-Bahnhöfe Kathedralen sind, aber hier das Geld nicht für einen Aufzug in der Unterführung gereicht hat.

Das Bahnfahren selbst kommt einem vor, als wäre man in den Regionalexpress München-Garmisch geraten, mit Unterwegshalten in Pasing, der Stadt des militärischen Ruhms Weilheim/Oberbayern und Murnau. Okay, das mit dem Ruhm hat man sich nur kurz vorgestellt. Es gibt gute Gründe, dass deutsche Städte solche Zusätze nicht im Namen führen.

Der Zug jedenfalls gleicht der deutschen Version in vielen Details, er ist, wie man den Logos entnimmt, von derselben Firma teilgefertigt. Ein paar Unterschiede gibt es allerdings. Beim Einsteigen empfangen einen streng dreinblickende Frauen, die Kostüme und spitze Mützchen tragen, und prüfen Pass und Ticket. Ihre männlichen Kollegen kombinieren den nicht minder strengen Blick mit Uniform und Anstecknadel.

Kurz nach der Abfahrt erscheinen dann allerdings Frauen mit Pferdeschwanz und blauen Schürzen sowie Männer, die den obersten Hemdknopf geöffnet haben, und verkaufen Tee, Sandwiches und Souvenirs (zum Beispiel Aufkleber der Stadt des militärischen Ruhms Kowrow). Es dauert eine Weile, bis man begreift, dass es dieselben Frauen und Männer sind. In den russischen Zügen muss es eine Umkleide geben, in der das Personal nicht nur die Kleidung, sondern auch den Gesichtsausdruck wechselt.

Der Schnellzug "Sapsan" wiederum, der in unter vier Stunden die 700 Kilometer von Moskau nach Sankt Petersburg zurücklegt, ist ein abgewandelter ICE, mit dem Unterschied, dass die Toiletten in der zweiten Klasse nicht seit Hildesheim unbenutzbar sind. Außerdem stehen keine Stellwerksstörung und kein Böschungsbrand der pünktlichen Ankunft entgegen.

Verzögerungen im Betriebsablauf sind im russischen Zugverkehr nicht vorgesehen, aber das war es jetzt auch mit billigen Spitzen gegen die Deutsche Bahn, die ja doch meistens besser und pünktlicher ist als ihr Ruf. Und die ihren Angestellten ein ordentliches Tarifgehalt zahlt, das darf man nicht vergessen, wenn man sich in Russland über die vielen Leute freut, die - zumindest in den WM-Spielorten - immerzu Zugfenster putzen und Bahnsteige fegen.

Kürzlich auf der Rückfahrt von Sankt Petersburg allerdings Überraschendes: Ein alter, wunderbar plüschiger Waggon mit Sechserabteilen, der Schaffner läuft von Tür zu Tür, um allen Fahrgästen persönlich eine Einweisung zu geben, in der die Worte Toiletskij, Restaurantskij und Schokoladskij vorkommen. Den Kaffee bringt er in einer blütenweißen Porzellantasse samt Untertasse und geschwungenem Kaffeelöffel. Und leider erst beim Aussteigen entdeckt man in der Ablage ein blaues Täschchen mit Reißverschluss, und da sind doch tatsächlich für jeden Reisenden ein Paar Hausschuhe drin. Senk ju vor träwelling, kann man da nur sagen.

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