Die Temperaturen in Berlin-Köpenick waren am Samstag frostig gewesen. Doch Roland Virkus, Manager von Borussia Mönchengladbach, kann darunter kaum gelitten haben. In ihm brodelte ein Vulkan. „Zum gefühlt 48. Mal“ in dieser Saison hatte sich der sogenannte „Keller“ zum Nachteil des VfL Borussia gemeldet (das Affix „Kölner“ meidet Virkus). „Das regt mich auf“, rief er.
Kurios war das deshalb, weil die üblichen Ingredienzien für eine geharnischte VAR-Debatte fehlten. Gladbach hatte bei Union Berlin ja nicht verloren, im Gegenteil. Erstmals hatte der VfL in der Geschichte der Bundesliga im Stadion An der Alten Försterei gesiegt, 2:1. Und Virkus sagte, dass er sich bei mikroskopischer Draufsicht gar nicht benachteiligt fühlte: Den Elfmeter könne man schon geben, wenn man die Szene seziert, fand er. Nur: War das wirklich eine dieser „klaren Fehlentscheidungen“, von denen mal die Rede war, als der VAR eingeführt wurde? Diese Frage war berechtigt. Wieder einmal.
Dass sich Virkus ausgerechnet am Samstag beschwerte, wo er doch in der Vergangenheit viel größeren Anlass gehabt hätte, Alarmglocken läuten zu lassen (und leise geblieben war), dürfte auch damit zusammenhängen, dass er diesmal nicht in den Ruf geraten konnte, als schlechter Verlierer gebrandmarkt zu werden. Anlass bot diesmal ein Elfmeter, der nach gut einer Stunde Spielzeit von den Kellerkindern zur Anzeige gebracht worden war – und Gladbach tatsächlich ins Wanken brachte.
Das 1:0 verleiht den Gladbachern die Gelassenheit, eine außergewöhnliche Verletzung zu verdauen
Tom Rothe war von Gladbachs Tim Kleindienst im Strafraum geschubst worden, und man könnte darob ermüdende Debatten führen. Zum Beispiel darüber, ob Rothe nicht vorher selbst seinen Gegenspieler Joe Scally weggedrückt hatte, oder ob er überhaupt die Chance hatte, an den Ball zu kommen, was Kleindienst später infrage stellen sollte. Schiedsrichter Sven Jablonski schritt zum Bildschirm, revidierte seine Entscheidung, deutete auf den Strafstoßpunkt, und dann traf Andrej Ilic für Union zum 1:2.
Dass das auch der Endstand war, lag daran, dass Mönchengladbach „Resilienz“ an den Tag legte, wie Borussen-Trainer Gerardo Seoane mit Recht behauptete. Wegen der Punktverluste von Leipzig (0:0 in Augsburg) und Stuttgart (1:2 gegen Wolfsburg) rückte Gladbach sogar noch näher an die europäischen Plätze heran. Die Frage, was das für die Endabrechnung bedeute, beantwortete Virkus mit einer Sentenz aus dem Volksmund: „Hinten wird die Ente fett!“
Zu früh freuen dürfte sich in Gladbach nach den mediokren Vorsaisons tatsächlich niemand. Aber: Jetzt, da die Borussia wohl nicht mehr absteigen kann, täte sie nicht schlecht daran, ein paar Ambitionen zu entwickeln. Argumente lieferten die Gladbacher in der ersten Halbzeit jedenfalls genug. Seoane freute sich darüber, dass seine Mannschaft „in einer schwierigen Umgebung dem Gegner das Spiel aufdrücken“ konnte.
Die zweite Halbzeit ist von Köpenicker Verve, aber auch von einem großen Mangel an Präzision geprägt
In der ersten Halbzeit hatte die Borussia tatsächlich so gespielt, wie Seoane derartige Dinge ausspricht: unaufgeregt, präzise, seriös. Sie ließ sich in keiner Hinsicht davon irritieren, dass Union prächtig ins Spiel fand und augenscheinlich darauf aus war, die Gäste in deren Hälfte festzusetzen. Nach einem Kopfball von Robert Skov, der in hohem Bogen auf der Querlatte des Gladbacher Tores landete, gereichte den Gästen ein erster vielversprechender Angriff zur Führung: Linksverteidiger Lukas Ullrich setzte auf der linken Seite zum Angriff an, lieh den Ball kurz an Robin Hack aus, und traf, als er ihn im Strafraum zurückerhalten hatte, mit einem satten Schuss ins kurze Eck (10. Minute).
Der Treffer verlieh den Gladbachern sogar die Gelassenheit, eine außergewöhnliche Verletzung zu verdauen. Gut fünf Minuten nach dem Tor signalisierte Torwart Moritz Nicolas, dass er nicht weiterspielen könne. Die Adduktoren! Es kam der einst als Yann-Sommer-Ersatz verpflichtete Jonas Omlin (17.). Bei seinem ersten Versuch, gegen den Ball zu treten, wäre Omlin fast ausgerutscht, doch das war schon in der 26. Minute vergessen. Da brach Nathan Ngoumou auf der rechten Seite durch und servierte Tim Kleindienst den Ball so mundgerecht vors verwaiste Tor, dass Kleindienst keinerlei Mühe hatte, aus drei Metern seinen 14. Saisontreffer zu erzielen.
Julian Weigl und Philipp Sander hatten das Mittelfeld nun hervorragend im Griff. Und sowohl Kleindienst wie auch Ngoumou zwangen Unions Torwart Rönnow per Kopf zu guten Rettungstaten; zwischendrin traf Hack aus 18 Metern lediglich die Querlatte. Das einzige Vergehen, das man den Gladbachern ankreiden konnte, war der Mangel an Präzision. Und das bedeutete: Das Spiel war nicht vorbei.
Nur: Die zweite Halbzeit war zwar von Köpenicker Verve, aber auch von einem großen Mangel an Präzision geprägt. Auf der anderen Seite scheiterte Kleindienst bei einem Konter an Rönnow (80.). Der Schaden für die Unioner hielt sich damit in Grenzen, ein Schaden war gleichwohl zu begutachten. Zwar konnten die Köpenicker ihren 13. Platz verteidigen. Aber Entwarnung in Sachen Abstiegskampf ist für die Mannschaft von Steffen Baumgart noch lange nicht angezeigt.