Süddeutsche Zeitung

Gladbach auf Platz eins:Charmante Erfolgsgeschichte

Die Borussia hat geschafft, was in der rasenden Fußball-Branche unmöglich schien: Sie hat ganz ohne Investor einen vernünftigen Perspektivplan entworfen - und sich auch noch dran gehalten.

Kommentar von Christof Kneer

Am 14. Februar 2011 hat Borussia Mönchengladbach begonnen, Tabellenführer der Bundesliga zu werden. Kein Medium hat das damals berichtet, allerdings sollte man das den Medien ausnahmsweise mal nicht vorwerfen. Niemand wusste das damals, weder die Gladbacher noch die Tabelle. Am allerwenigsten wusste es der Trainer Lucien Favre. Er übernahm an diesem Tag eine abgewirtschaftete Gladbacher Borussia, die mit den Jahren so tief gesunken war, dass sie vorübergehend von Holger Fach, Dick Advocaat und Jos Luhukay trainiert wurde, zum Teil sogar hintereinander.

Man sollte das auf jeden Fall noch mal sagen, gerade jetzt, da Favre-Bashing in Dortmund zu einer Trendsportart geworden ist: Lucien Favre mag kein besonders kämpferischer Mann und sowieso keine Rampensau sein, aber er kann Spieler und Mannschaften besser machen, jedenfalls Mannschaften, die in einer Lage sind wie damals die Borussia. Favre hat den Fußball zurück nach Gladbach gebracht, und als sich die Gladbacher nach vier Jahren von ihm trennten (oder besser: er sich von den Gladbachern), hinterließ er ein Team, das den Fußball verstanden hatte.

Das ist das Charmante an Gladbachs Erfolgsgeschichte: Es ist eine reine Fußballgeschichte. Es kommt kein Investor drin vor, man erinnert sich an keine Skandale, und zurecht vergessen ist auch die "Initiative Borussia" um den noch nicht komplett vergessenen Stefan Effenberg, die mal die Macht übernehmen wollte und scheiterte. So bekam Max Eberl (der in vielem, wenn nicht allem das Gegenteil von Stefan Effenberg ist) die Chance, eine zur Stadt passende Mittelstands-Geschichte zu schreiben - seit Jahren arbeiten nahezu dieselben Leute nahezu geräuschlos an derselben Sache.

Gladbach hält sich an Perspektiven

Seit Favre die Borussia 2011 vor dem Abstieg rettete, kam sie auf den Plätzen 4, 8, 6, 3, 4, 9, 9, 5 ins Ziel - stets begleitet von eher defensiven Sätzen des Sportchefs Eberl ("wir wollen einen einstelligen Tabellenplatz"). Das brachte ihm den Ruf ein, ein Verwandter von Heribert Bruchhagen zu sein, ein angeheirateter Neffe möglicherweise. Bruchhagen war in Frankfurt berüchtigt, weil er immer das "Mittelfeld" der Tabelle verherrlichte, wobei seine Kritiker meistens "Mittelmaß" verstanden. Aber Eberl wollte den Standort nicht überfordern, schnellen Durchbrüchen hätte er misstraut, er wollte solides Wachstum.

So haben die Gladbacher geschafft, was in dieser rasenden Branche fast unmöglich erscheint: Sie haben einen Perspektivplan entworfen (erst sicher drin bleiben, dann im Mittelfeld etablieren, dann gaaanz langsam oben angreifen) und sich auch noch dran gehalten. Eberl hat den Klub mit guten Ein- und noch besseren Verkäufen nach oben transferiert, Spieler wie Xhaka, Vestergaard oder Hazard wurden geholt und mit massivem Gewinn weiter transferiert, die finanzielle Ausstattung des Klubs stieg ebenso wie das Niveau und natürlich die Ansprüche: Der erste Platz ist ja auch einstellig.

"Wenn Pläne aufgehen": Diese Überschrift passt zum Ersten Gladbach ebenso wie zu den zweitplatzierten Leipzigern, die ebenfalls einer klaren Strategie folgen, obwohl die Unternehmenskultur eine völlig andere ist. So gesehen ist das eine gute Geschichte, die die Liga gerade erzählt - und eine, über die der siebtplatzierte FC Bayern ruhig nachdenken darf.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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