Schuldfragen beantworten sie am Niederrhein derzeit auf ihre ganz eigene Art: Jeder sucht die Schuld bei sich. Das ist eher branchenuntypisch. Die Schuld am angekündigten Abschied des Trainers übernimmt der Manager Max Eberl, weil er Marco Rose eine entsprechende Klausel im Vertrag erlaubt habe. Die Schuld an der 1:2-Niederlage gegen den Abstiegskandidaten Mainz übernahm wiederum Rose, weil sein angekündigter Abschied Unruhe in die Mannschaft gebracht habe. Wenn jetzt noch die Mannschaft die Schuld an den Verbalinjurien der Fans übernähme, weil sie mit schönem Fußball übertriebene Erwartungen geschürt habe. Und wenn die Fans schließlich die Schuld daran übernähmen, dass Eberl einem abtrünnigen Trainer so hartnäckig treu bleibt, weil sie den Manager seit Jahren ins gleißende Heldenlicht heben - dann könnte am Sündenpfuhl Mönchengladbach dieser Kreislauf der Gnade ein hoffnungsvolles Geflecht aus kollektiver Reue bilden.
Moment, geht es hier noch um Fußball? Oder schon um ganz große humanistische Fragen? Geschickt vermengt hatte das alles der Sportchef Eberl in der vergangenen Woche, als er vulgäre Kritiker in Sozialen Medien als "Dumpfbacken" abtat und von sich und anderen Protagonisten im Verein als "guten Menschen" sprach. Doch mit Moralisierungen gewinnt man keine Fußballspiele.
Fünf Tage nach der Ankündigung seines Weggangs im Sommer betonte Trainer Rose vor der Partie gegen Mainz, wie fleißig und inspiriert sein Team trainiert habe. Damit wollte er suggerieren, dass sein Fortzug keine negativen Auswirkungen auf Gefolgschaft und Leistung habe. Das Spiel vermittelte bezüglich der Leistung allerdings einen etwas differenzierten Eindruck. Gladbach spielte zwar nicht schlecht, aber auch ungefähr so wirkungslos wie in allen vergangenen vier Bundesligaspielen, von denen keines gewonnen werden konnte. Zyniker mögen über die subtilen Konsequenzen der Führungskrise hinaus beklagen, dass sowohl der Einfluss des Innenpfostens beim 0:1 als auch die schlechte Sicht des Gladbacher Torwarts Yann Sommer beim 1:2 doch ganz gewiss durch Roses Untreue begünstigt worden seien.
Es geht nicht nur um Roses Nachfolger - es geht auch um drohende Spieler-Verluste
Die Spekulationen und schließlich die Gewissheit über Roses Abschied könnten aber - ganz im Ernst - tatsächlich eine spielerische Instabilität ausgelöst haben. Man sei den Mainzern in Sachen "Kampf" unterlegen gewesen, gestand der stete Gladbacher Kämpfer Jonas Hofmann. Sollten die Borussen dieses Manko auch in den bevorstehenden drei Knallerspielen gegen Manchester City (Champions League), RB Leipzig (Bundesliga) und Borussia Dortmund (DFB-Pokal) nicht überwinden, dann würde eine verheißungsvolle Saison binnen sieben Tagen wie eine Seifenblase zerplatzen. Dann müsste der Manager für sich neu entscheiden, ob er weiter Treue und Humanismus predigt - oder lieber die Weichen umgehend auf Zukunft stellt.
Am Sonntagmittag war Eberl gleich in beiden TV-Fußball-Talkshows bei Sky und Sport1 live zugeschaltet. Er nutzte die mediale Streuwirkung zu der Botschaft, er sei trotz der Niederlage gegen Mainz "weiterhin zu einhundert Prozent überzeugt", dass Rose "in der jetzigen Situation, genauso wie vor eineinhalb Jahren, der beste Trainer für uns ist". Natürlich könne es passieren, dass man die nächsten Spiele nicht erfolgreich gestalte, "aber selbst dann hätte ich nullkommanull Zweifel daran, dass wir es als Klub hinbekommen". Was auch immer in diesen drei Monaten unter Rose noch passiere, sagte Eberl: "Es gibt keine Situation, in der ich mir nicht mehr vorstellen könnte, dass Marco bis zum Saisonende unser Trainer bleibt". Einen blankeren Blankoschein kann ein Manager einem Coach nicht ausstellen.
Eberl sagte auch, er würde sehr gut damit leben können, würde man in der Liga nur noch einen einzigen Sieg holen, dafür aber den DFB-Pokal gewinnen - eine Konstellation, wie sie beim angekündigten Abschied des Trainers Niko Kovac 2018 bei Eintracht Frankfurt eingetreten war.
Während Eberl eine Short List an Trainerkandidaten zusammenstellt - auf der Erik ten Hag (Ajax Amsterdam), Jesse Marsch (RB Salzburg), Gerardo Seoane (YB Bern) oder Florian Kohfeldt (Bremen) stehen könnten - wird sich in den nächsten Wochen auch erweisen, welche Spieler womöglich Konsequenzen aus Roses Wechsel ziehen und Gladbach im Sommer verlassen. Der Innenverteidiger Matthias Ginter, die Mittelfeldspieler Florian Neuhaus, Denis Zakaria und Jonas Hofmann sowie die Angreifer Alassane Plea und Marcus Thuram gelten als mögliche Transferkandidaten. Je mehr von ihnen nächste Saison nicht mehr in Gladbach spielen, desto mehr würde es den Klub beim Neuanfang zurückwerfen. "Wir werden sehr viele Spieler aus dieser Mannschaft behalten und zusätzlich ein paar Transfers tätigen", sagt Eberl. In seiner Stimme war am Sonntag keine Panik erkennbar.