Süddeutsche Zeitung

Leipzig gegen Gladbach:Geste gibt Gelb-Rot

  • Das 2:2 zwischen Gladbach und Leipzig überlagern Diskussionen darüber, wie viele Emotionen Fußballer noch ungestraft zeigen dürfen.
  • Hintergrund sind die gelb-rote Karte gegen Gladbachs Alassane Plea und die seit kurzem schärfere Auslegung einer Regel: Vieles, was früher kein Gelb einbrachte (wie Abwinken), wird nun mit einer eben solchen Karte geahndet.
  • Beim Spiel in Leipzig wird deutlich, dass sich das Umlernen für manch einen Beteiligten recht unbequem anfühlt.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Die gute Nachricht vorneweg: Es darf weiter gejubelt werden auf deutschen Fußballplätzen. Auch Ärgern ist nicht per se ein Vergehen, und auch Vor-Langeweile-Gähnen nicht. Insofern kann Max Eberl, der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach, schon mal beruhigt sein. Eberl hatte am Samstagabend lange und ausführlich Bedenken geäußert, wonach Fußballer in der Bundesliga nun schon bei der kleinsten Gefühlsäußerung bestraft würden; er erwarte, forderte er, "dass wir uns schon noch ein bisschen regen dürfen und keine Zinnsoldaten werden müssen". Als Zinnsoldat lässt es sich freilich auch nur ungelenk Fußball spielen.

Die Debatte um Unmutsbekundungen auf dem Rasen hatte da schon allerlei Runden gedreht und sollte auch lange danach nicht zur Ruhe kommen. Leipzig hatte nach einem 0:2-Rückstand gegen Gladbach noch ein 2:2 erzielen können; im Zentrum der Diskussion: die gelb-rote Karte gegen Gladbach-Stürmer Alassane Pléa in der 61. Minute wegen abfälliger Gesten, womit sich die Partie beim Stand von 1:2 in Richtung der Leipziger verlagerte. Fehlendes Fingerspitzengefühl bei Schiedsrichter Tobias Stieler monierten die Gladbacher, Stieler wiederum fand: "Sie sollen sich ihren eigenen Spieler vornehmen." Es bleibt also der Eindruck, dass die Bundesliga gerade erstaunliche Probleme hat, sich mit einer neuen Regel abzufinden.

"Da muss jetzt ein Umlernen stattfinden", sagte Schiedsrichter Stieler

Vor Beginn der Rückrunde hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ein konsequenteres Ahnden von Unsportlichkeiten beschlossen und die entsprechenden Regelverschärfungen an die Bundesliga-Klubs herangetragen. Was früher noch keine gelbe Karten einbrachte, soll nun genau damit bestraft werden: das Fordern von Restriktionen für den Gegner etwa, Rudelbildung um den Schiedsrichter, höhnische und respektlose Gesten genauso wie Abwinken - Letzteres traf auf Pléa zu.

Pléa habe "einen Freistoßpfiff bekommen" wollen, erklärte Stieler, "dann hat er heftig reklamiert - durch Abwinken. Daraufhin hat er die gelbe Karte gesehen. Mit der gelben Karte war er auch wieder nicht einverstanden. Er hat dann zweimal eine abfällige Geste in meine Richtung gemacht. In der Konsequenz ist das Gelb-Rot." Die Gesten seien Respektlosigkeiten gewesen, die Uefa bestrafe das schon seit Jahren, "wir in Deutschland waren da ein bisschen nachlässig. Da muss jetzt ein Umlernen stattfinden", sagte Stieler. Da es im Amateurfußball immer häufiger zu körperlichen Attacken gegenüber Schiedsrichtern komme, müsse die Bundesliga ihre Vorbildfunktion wahrnehmen.

Doch es wurde schon an diesem Abend in Leipzig deutlich, dass sich das Umlernen für manchen Beteiligten nach jahrelangem Toben recht unbequem anfühlt. Gladbach-Trainer Marco Rose gab an, er wolle zu Pléa und der empfindlichen Dezimierung seiner Mannschaft nichts sagen - und tat dies dann doch. Er verstehe schon, dass er eine Vorbildfunktion habe, sagte der 43-Jährige, "aber wir dürfen nicht dahin kommen, dass man uns in die Schuhe schiebt, dass wir dafür verantwortlich sind, dass woanders wirklich Dinge passieren, die einfach nicht passieren dürfen. Wir schlagen niemanden, wir sind einfach emotional zwischendrin". Was Millionen TV-Zuschauer dann auch sehen konnten: Weil Rose am Ende der Partie in Leipzig vor Wut über einen ausgebliebenen Pfiff beinahe eine Wasserflasche um sich donnerte, sah auch Rose noch die gelbe Karte.

Dem Kollegen Julian Nagelsmann kamen die Diskussionen um die Emotionen ganz gelegen: So rückte in den Hintergrund, dass die Leipziger in einem Spitzenspiel mal wieder gar nicht so gut aussahen. Gegen Dortmund hatte das Team im Dezember zur Halbzeit 0:2 zurückgelegen (Endstand 3:3), gegen den FC Bayern im September trotz klarer Unterlegenheit noch ein schmeichelhaftes 1:1 geschafft - und nun zeigte Gladbach dem mittlerweile einstigen Tabellenführer die Grenzen auf. Mit aggressivem Pressing erstickte die Borussia die Angriffsbemühungen der Gastgeber, die wiederum im eigenen Abwehrverhalten immer "fünf Schritte zu weit weg" waren, wie der Mittelfeldspieler Konrad Laimer fand. Sinnbild dafür war das 0:1 durch Pléa (24. Minute): Da ließ sich nicht nur der sonst so krisenfeste Dayot Upamecano auf der rechten Außenbahn abhängen, im Strafraum waren gleich mehrere Leipziger von Gladbachs Stürmern sehr weit entfernt. Lukas Klostermann bereitete das 0:2 durch Jonas Hofmann (35.) durch einen Fehlpass selber vor, sodass Laimer zu dem Schluss kam: "Dass wir eine grottenschlechte erste Halbzeit gespielt haben, darüber brauchen wir nicht zu reden."

Warum das so war, konnte sich Nagelsmann am Samstagabend nur mit der Stärke der Gäste erklären, "der Druck von Gladbach war nicht nur im Attackieren, sondern auch fußballerisch sehr gut". In der Halbzeit brachte Nagelsmann den Stürmer Patrik Schick, der bald das 1:2 erzielte (50.), schon da profitierte Leipzig aber von Gladbacher Unzulänglichkeiten, weil Yann Sommer beim Abfangen des Balls über Denis Zakaria rutschte - und das Spielgerät verlor. Zum kunstvollen Fernschuss zum 2:2 durch Christopher Nkunku (89.) sagte Nagelsmann trocken: "Das Tor war sehenswert. Die übt er im Training häufig."

Seine Emotionen hatte der RB-Trainer nach einer Woche voller Aufregung um Friseurbesuche und mangelnden Trainingseifer seiner Elf deutlich zurückgefahren; eine erstaunliche Anpassung an die neuen Ereignisse. Aber vielleicht auch nur eine Strategie, um Energie zu sparen. Es liegt schließlich eine Woche der Wahrheit vor ihm. Am Dienstag im DFB-Pokal gegen die zuletzt siegreichen Frankfurter, am Sonntag gegen den FC Bayern. Eine schlechte erste Halbzeit könnte da schon das Ende der Meisterschaftsträume bedeuten.

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SZ vom 03.02.2020/chge
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