Süddeutsche Zeitung

Gladbach in der Europa League:Atemlos durch Europa

31 Torschüsse, kaum Ertrag: Borussia Mönchengladbach verschenkt beim FC Zürich einen Sieg. Trainer Lucien Favre wird bei der Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte emotional begrüßt - und lernt anschließend die Tücken der Doppelbelastung aus Bundesliga und Europa League kennen.

Von Andreas Babst, Zürich

Sie kamen aus der falschen Ecke des Stadions, die "Favre, Favre"-Rufe. Nicht die zahlreich angereisten Gladbacher Fans skandierten den Namen ihres Trainers, sondern der Züricher Fanblock feierte vor dem Spiel den Gästecoach. Der stand an der ihm vertrauten Seitenlinie im Letzigrund, winkte den Fans kurz zu, fast wie früher. "Die Rückkehr war schon speziell", sagte Favre nach dem Spiel.

Lucien Favre und der FC Zürich, das ist wie die Beziehung zweier alter WG-Freunde, die sich nach der gemeinsamen Zeit ein wenig aus den Augen verloren haben. Kündigt der eine dann seinen Besuch an, sitzt leicht ergraut am Küchentisch - oder auf der Trainerbank-, kommen wieder alte Geschichten in den Sinn. Es sind gute Geschichten, sie handeln von Meistertiteln (2006 und 2007) und Pokalsiegen (2005). Und die alten WG-Kumpel vergessen ob der alten Heldentaten gerne die unschönen Begleitumstände der Trennung (2007).

Favre hat sich nach seiner Züricher Zeit aufgemacht, neue Geschichten in Deutschland zu erleben. Die jüngste handelt von der Rolle als Bayern-Jäger: Dieser Gestalt kommt die schwere Aufgabe zu, in der Bundesliga zumindest bis zur Winterpause die Münchnern zu beschatten und so die Spannung in der Bundesliga aufrechtzuerhalten. Manche Beobachter verklärten Favres Gladbacher nach dem Sieg in Paderborn am vergangenen Wochenende zum Retter der Spannung - schließlich rangieren die Gladbacher nur zwei Punkte hinter den Bayern. Das maue 1:1 gegen den FC Zürich am Donnerstag in der Europa League warf dann allerdings einige Fragen auf.

Seit elf Spielen sind die Gladbacher ungeschlagen, in dieser Saison hat sie noch kein Gegner bezwungen. Insofern reihte sich das Unentschieden gegen Zürich diese beachtliche Serie ein. Doch der Zweitplatzierte der Bundesliga verschenkte beim Zweitplatzierten der Schweizer Liga einen Sieg, insbesondere, weil die Gladbacher das Spiel zumindest in der zweiten Hälfte bestimmt hatten. "Das war heute deutlich zu wenig. Wir müssen die Chancen verwerten", sagte Max Kruse.

Chancen erarbeiteten sich die Gladbacher zuhauf. Doch entweder scheiterten sie am herausragenden Züricher Torwart David Da Costa oder am eigenen Unvermögen - 31 Mal schossen der Bundesligist aufs Tor, nur der sehenswerte Weitschuss von Havard Nordtveit traf ins Ziel (25.). Kurz zuvor hatte der Züricher Franck Etoundi bereits zum 1:0 getroffen (23.).

Derartige Europa-League-Aufgaben gegen bissige, kleinere Teams zehren an den Kräften - die dann in der Bundesliga fehlen. Sowohl der SC Freiburg als auch Eintracht Frankfurt hatten im Vorjahr bei ihren internationalen Abenteuer wertvolle Kräfte vergeudet. Beiden Mannschaften fehlten Personal und Variabilität, um in beiden Wettbewerben zu reüssieren. Das Gladbacher Spiel gegen Zürich könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Bundesliga-Zweite auf einigen Positionen noch nicht ausreichend genug besetzt ist, um international mitzumischen und gleichzeitig die vordersten Plätze in der Bundesliga zu belegen.

Raffaels Genialität wird vermisst

Weltmeister Christoph Kramer und Spielmacher Raffael hatten die Reise in die Schweiz wegen muskulärer Blessuren gar nicht erst angetreten. Der Ausfall beider Stammspieler machte sich bemerkbar; die Gladbacher vermissten vor allem Raffaels Anflüge von Genialität in der Offensive. "Raffael ist ein spezieller Spieler, der auch einmal ein Spiel entscheiden kann", sagte Granit Xhaka. Sein Trainer Favre ergänzte: "Vorne hat die Bewegung gefehlt". Zu oft suchten die Gladbacher ihr Heil in Schüssen aus der Distanz.

Am Sonntag gegen Mainz sollte Raffael wieder fit sein. Die Mainzer sind in der Bundesliga ebenfalls noch ungeschlagen, haben die Qualifikation für die Europa League aber verpasst, dürften ausgeruhter sein. "Der Zeitraum um sich jetzt zu erholen ist eng. Aber wir sind Profis, wir wollten international spielen" sagte Favre. Ob sie nebenbei noch ein wenig die Bayern jagen können, werden die nächsten Spieltage zeigen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2157264
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/abb/jkn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.