Gladbach im Europacup:"Es ist viel zu tun"

Eigentlich will Borussia Mönchengladbach bloß die Trennung von Reus, Dante und Roman Neustädter verarbeiten und ein neues Spiel entwickeln. Doch der Trennungsschmerz sitzt tiefer als gedacht. In der Europa League gegen Fenerbahce Istanbul soll die Elf von Lucien Favre zu der Stabilität finden, die im Liga-Alltag bislang fehlt.

Ulrich Hartmann

Lucien Favre

Nicht zufrieden: Gladbachs Trainer Lucien Favre.

(Foto: dpa)

Der Klub hat seinen besten Fußballer verloren. Das Publikum hat Angst, denn der Mann gilt als unersetzlich. Immerhin hat er für Borussia Mönchengladbach 230 Bundesligaspiele absolviert, 82 Tore geschossen und 94 vorbereitet. Es ist Sommer 1973. Günther Netzer wechselt zu Real Madrid.

"Als er uns das damals mitgeteilt hat, ist für viele eine Welt zusammengebrochen" erzählt Rainer Bonhof heute. "Aber weil wir uns auf das Wesentliche konzentriert haben und die Köpfe frei hatten, haben wir auch ohne ihn weiter erfolgreich Fußball gespielt." Gladbach war in der finalen Saison mit Netzer Fünfter geworden.

Ein Jahr später wurde die verlassene Mannschaft Zweiter, und die darauffolgenden drei Jahre gewann sie die Meisterschaft in Serie. Rainer Bonhof, Berti Vogts, Uli Stielike, Jupp Heynckes, Herbert Wimmer und Allan Simonsen waren die prägenden Spieler jener Ära. Das war auch ohne Netzer noch eine formidable Belegschaft.

Heute ist Bonhof Vizepräsident der Borussia, und nach der jüngsten 0:5-Nieder- lage der Gladbacher in Dortmund hielt er es für nötig, an 1973 zu erinnern und dass man damals nicht verzagt hat, bloß weil der beste Spieler fortgegangen war. Bonhof will Mut machen: Man darf jetzt nicht dem fortgegangenen Marco Reus hinterhertrauern. Niemand braucht damit zu rechnen, dass die Borussia in dieser Saison Zweiter wird und die darauffolgenden Jahre drei Mal nacheinander Meister.

Eigentlich will Gladbach bloß die Trennung von Reus, Dante und Roman Neustädter verarbeiten und ein neues Spiel entwickeln. Doch der Trennungsschmerz sitzt tiefer als gedacht. Die verunsicherte und halbherzige Mannschaft nähert sich nach sechs Bundesliga-Spieltagen der Abstiegszone, und wenn sie an diesem Donnerstag ihr Europa-League-Heimspiel gegen Fenerbahce Istanbul (21.05 Uhr/Kabel1) nicht gewinnt, dann schrumpfen auch hier die Chancen. Bonhof hat seine eigenen Ansprüche an die Attraktivität des Gladbacher Spiels schon angepasst. Vor dem Spiel gegen Istanbul sagt er: "Ich wünsche mir eins: kämpfen bis zum Umfallen."

Leichtfertige Ballverluste

Das Kämpfen hat die Mannschaft ein bisschen vernachlässigt, und weil sie auch spielerisch noch nicht harmoniert, sind die Ergebnisse bislang enttäuschend. 1:3 gegen Kiew, 2:3 gegen Nürnberg, 0:5 in Dortmund. Solche Resultate hatte es unter dem Trainer Lucien Favre zuvor in eineinhalb Jahren nicht gegeben. Die Rückwärtsbewegung krankt.

"Wir haben vergessen zu verteidigen", sagte Favre nach dem Debakel von Dortmund, aber das klingt harmloser, als er es meint. Favre ist Perfektionist und hatte zuvor die Erfahrung gemacht, dass die Spieler seine Idee vom Fußball, die im Training detailliert einstudiert wird, im Spiel gut umzusetzen wissen. Das ist momentan nicht mehr der Fall.

Dabei sind die Grundlagen des vom Schweizer favorisierten kompakten One-Touch-Fußballs noch immer ganz gut zu erkennen. Obwohl die Gladbacher mit nur sechs Punkten und 7:12 Toren aus sechs Spielen auf Platz 14 der Bundesliga-Tabelle stehen, haben sie in der Datenbank des TV-Senders Sky mit 53 Prozent Ballbesitz den viertbesten Ligawert hinter München (64), Frankfurt (57) und Dortmund (56).

Mit nur elf Prozent ihrer Pässe spielen sie zudem die zweitwenigsten langen Bälle hinter den ähnlich kurzpass-orientierten Dortmundern (neun Prozent). Aus 53 Prozent Ballbesitz und einem favorisierten Kurzpassspiel generierten die Gladbacher in den ersten sechs Ligaspielen allerdings nur 48 Torschüsse.

Sie wissen mit dem Ballbesitz zu wenig anzufangen, geben die Kugel im Spielaufbau zu oft leichtfertig ab und rennen dann nicht nur dem Gegner hinterher, sondern verlieren auch die Ordnung. Auch deshalb wurden bereits zwei Elfmeter verschuldet, die Leverkusens André Schürrle und Hamburgs Rafael van der Vaart aber verschossen haben.

"Es ist viel zu tun", lautet der abschließende Standardsatz des Trainers Favre am Ende jeder Pressekonferenz. Das Mantra findet in den Trainingseinheiten Niederschlag, in denen die Zugänge Alvaro Dominguez, Granit Xhaka und Luuk de Jong noch an der Verinnerlichung des mannschaftlichen Strebens arbeiten. Zudem nimmt die Verunsicherung zu. Auch deshalb wünscht sich Bonhof einen Erfolg. "Ein Sieg gegen Istanbul wäre nicht nur für die Tabelle in der Europa League gut - er wäre auch für den Kopf wichtig." Am Sonntag gastiert schließlich bereits die nächste Topmannschaft in Mönchengladbach: Eintracht Frankfurt.

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