Süddeutsche Zeitung

Gladbach gewinnt 2:1:Auf die dreckige Art

Das nennt man einen Lauf: Borussia Mönchengladbach baut durch den Sieg bei Bayer Leverkusen die Tabellenführung aus - und muss dafür nicht einmal überzeugen. Der Werksklub vom Rhein scheitert dagegen zum wiederholten Mal an sich selbst.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

In der 74. Minute gab es ein kleines Jubiläum für Bayer Leverkusen, auf der Anzeigetafel stand es schwarz auf weiß geschrieben: Bayer 10 - Borussia Mönchengladbach 0. Und zehn zu null Ecken, das war noch nicht das Ende der Geschichte. Am Ende hatten die Hausherren 13 auf ihrem Konto, während die Gäste komplett eckenlos den kurzen Heimweg antreten mussten. Zum Trost durften sie wenigstens die drei Punkte mitnehmen, denn nach Toren stand es nach Ablauf der 90 plus fünf Minuten 2:1 für den Tabellenführer, der demzufolge gut gelaunt das Stadion verließ. Denn wie der Herrscher der Bundesliga hatten die Gladbacher nicht unbedingt gespielt, Bayer Leverkusens Sportchef Rudi Völler musste schon nach einer höflichen Formulierung suchen, um seinen Ärger über die alles andere als unvermeidliche Niederlage loszuwerden. Er habe die Gladbacher "schon mal besser gesehen", sagte er, "sie machen ein mittelmäßiges Spiel - und jetzt sind sie Tabellenführer".

Dieser schonungslosen Sicht der Dinge traten die siegreichen Akteure keineswegs entgegen. Man habe schon "das eine oder andere Quäntchen Glück gehabt", gab Matthias Ginter zu, Mittelpunkt der Abwehrschlacht, die sein Team in der zweiten Halbzeit geschlagen hatte. Jonas Hofmann, wie Ginter ein Rückkehrer aus dem in Gladbach gut gefüllten Lager der Verletzten, wollte den Erfolg nicht einfach als Arbeitssieg klassifizieren. "Es war ein dreckiger Arbeitssieg", präzisierte er.

Gladbach erzielt zwei deckungsgleiche Tore

Wie so viele Fußballspiele hatte auch dieses zwei Halbzeiten. In der ersten machte Bayer nach Ansicht von Trainer Peter Bosz "das schlechteste Spiel", seitdem er die sportliche Leitung innehat, also seit Beginn des Jahres. In der zweiten spielten die Leverkusener dann tatsächlich wie Hausherren, was nach Ansicht von Bosz und Völler auch daran lag, dass Charles Aránguiz eingewechselt wurde. Kurz nach dem erfolgreichen Saisonbeginn hatte sich der Mittelfeldstratege verletzt, seitdem hat man ihn in jedem Spiel vermisst.

Die Gladbacher waren im ersten Abschnitt unbestritten das bessere Team: diszipliniert, zielstrebig und bestens organisiert, hielten sich in der Förderung von Torchancen aber zurück. Ihnen genügten zwei identische Momente, um ihre Treffer zu erzielen. Das erste legte Marcus Thuram mit einer scharfen, flachen Hereingabe vom Flügel für Oscar Wendt auf (18.), das zweite bereitete Herrmann mit einer scharfen, flachen Hereingabe vom selben Flügel für Thuram auf (42.). Zwischenzeitlich hatte Kevin Volland den Ausgleich erzielt, ein schöner Steilpass von Lucas Alario war vorausgegangen (25.). Jener Alario hätte dem ersten Durchgang noch den Ausgleichstreffer hinzufügen können, nachdem ihn ein Fehler von Ginter in die perfekte Position dazu versetzt hatte, doch der Mittelstürmer verfehlte mit seinem Schuss hauchdünn das Ziel.

Man habe den spielstarken Leverkusenern durch eigenen Offensivdruck begegnen wollen, sagte Borussia-Trainer Marco Rose, "am Anfang ist uns das auch immer mal wieder sehr ordentlich gelungen". Dieser Satz klingt nicht nur wie ein bemühtes Kompliment - es war auch eines.

Der Werksklub geht verschwenderisch mit seinen Chancen um

In Wahrheit hat die Borussia, ohne den schonungshalber pausierenden Antreiber Dennis Zakaria, das Spiel gewonnen, weil man mit der gebotenen Leidenschaft das Tor verteidigt hat, vor allem aber deshalb, weil die Leverkusener verschwenderisch mit ihren Chancen umgingen. Binnen drei Minuten stand Karim Bellarabi zweimal allein vor Torwart Yann Sommer - und schoss ziellos den Schlussmann ab. Volland, Alario und Bailey vergaben weitere Chancen. Letzterer musste kurz vor Schluss vorzeitig das Feld verlassen, der Schiedsrichter ahndete nach berechtigter Intervention des Kölner Kellers ein Nachtreten mit Platzverweis. Bosz bezeichnete Baileys Tat als "dumm", Völler fand sie "blöd", und es gab wohl niemanden im Hause Bayer 04, der den beiden Wortführern widersprochen hätte.

Wie denn die Kollegen die Tabellenführung sähen und wie es jetzt um die Titelchancen stehe, wurde Matthias Ginter später gefragt: "Wir sind froh, dass wir immer noch oben stehen", sagte der Nationalspieler, "aber ich glaube nicht, dass irgendwer in unserer Kabine irgendwelche Anstalten trifft, die Meisterschaftsfeier zu planen." Sehr vernünftig: Bis zum Saisonschluss Mitte Mai muss die oft am Anschlag ihrer Mittel arbeitende Borussia lernen, Ressourcen zu sparen, um den gegenwärtigen Kurs beizubehalten.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2019
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