Radsport:Skiro d' Italia

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2756 Meter hoch gelegen: Der Passo dello Stelvio in der Ortlergruppe ist der zweithöchst gelegene Gebirgspass Europas. (Foto: Jürgen Landshoeft/Shotshop/Imago)

Die Königsetappe der Italien-Radrundfahrt wird den Veranstaltern zum Verhängnis. Arbeiter bemühen sich mit schweren Maschinen, die Passstraße hinauf zum Stilfser Joch von Schneemassen zu befreien. Über ein Unterfangen zwischen Lawinen - das eher an Wintersport erinnert.

Von Korbinian Eisenberger

Am Stilfser Joch in Südtirol erlebt der Winter soeben seinen zweiten Frühling, und so mancher Enthusiast kramt die Tourenskier wieder aus dem Keller. In den Ortler-Alpen geht der Winter in die Verlängerung, was Wintersportlern Freude bereitet, allerdings bereiten die Schneemassen auch Sorgen. Die Lawinengefahr in den Alpen ist dieser Tage massiv, zuletzt häuften sich die Schreckensmeldungen von tödlichen Verschüttungen. Und da erscheint eine andere Begleiterscheinung schon wieder harmlos.

Zwischen den Schneemassen am Ortler soll das Peloton des Giro d'Italia in einer Woche den Passo dello Stelvio bewältigen. Der höchste Punkt der Rundfahrt, die "Cima Coppi", soll am 21. Mai bei der 16. Etappe über das 2756 Meter hohe Stilfser Joch führen. Der Passo dello Stelvio ist der höchstgelegene Gebirgspass Italiens und nach dem Col de l'Iseran (2764 Meter) der zweithöchste Europas. Es kommt hier also schon mal vor, dass im Mai noch Schnee liegt. Was zur Frage führt, ob die Fahrer auf der Königsetappe der Italien-Rundfahrt dieses Jahr ein Lawinensuchgerät einpacken? Wird es mehr ein Skiro als Giro?

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Tatsächlich sind der Vinschgauer Straßendienst und viele Kollegen aus der Provinz Bozen seit Wochen damit beschäftigt, die Passstraße hinauf zum Stilfser Joch von den Schneemassen zu befreien. "Die Arbeiten müssen wegen der Lawinengefahr immer wieder unterbrochen werden", erklärt Philipp Sicher vom Straßenbetreiber in Südtirol am Dienstag telefonisch. In einem Video des TV-Senders Rai Südtirol ist zu sehen, wie sich die Arbeiter mit schweren Maschinen eine Bahn durch meterhohe weiße Schichten fräsen. Szenen, die mehr an Hochwinter erinnern als an Frühlingserwachen. Kann hier ein Radrennen stattfinden?

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Bis zur 16. Etappe am 21. Mai ist noch eine Woche Zeit. "Das reicht nicht aus, um die Straße wieder freizubekommen", erklärt Sicher, zumal auch die Böschungen und Felswände komplett von Schnee befreit werden müssten. Die Fahrt über das Stilfser Joch zu Beginn der Etappe ist also nicht nur fraglich, sie dürfte bereits jetzt ausgeschlossen sein. Wie Olaf Reinstadler, der Chef der Bergrettung am Ort, am Dienstag am Telefon erklärt, ist vor allem die Gefahr zu groß, dass die Fahrer verschüttet werden. "Es ist einfach noch wahnsinnig viel Schnee oben", sagt er. Bei der steilen Hangneigung "kommt das einfach irgendwann runter", sagt Reinstadler. "Das sind bei den steigenden Temperaturen kleinere und größere Nassschneelawinen."

Schwerstarbeit unter dem Stelvio: Seit Wochen versuchen Arbeiter, die Passstraße hinauf zum Joch von den Schneemassen zu befreien. (Foto: Straßendienst Autonome Provinz Bozen)

Am Dienstagnachmittag dann die Bestätigung der Veranstalter: Die geplante Route der 16. Etappe von Livigno nach St. Christina in Gröden (Monte Pana) wird abgeändert, "um die Sicherheit der Carovana Rosa zu gewährleisten". Höchster Punkt der Tour, der eigentlich an der Stelvio angedacht war, wird nun der auf 2489 Meter gelegene Umbrailpass sein, der Giogo di Santa Maria. Die Etappe verlängert sich dadurch dezent von 202 auf 206 Kilometer, der höchste Punkt verliert 267 Höhenmeter - was Bergspezialisten wie dem Gesamtführenden Tarej Pogacar weniger entgegenkommt als schwereren Athleten, denen Anstiege vor allem zusetzen. Ein Vorteil aber dürfte für alle Fahrer gleich gelten: Der Umbrailpass ist dem Vernehmen nach sicher befahrbar, auch ohne Lawinenschaufel und Sonde im Gepäck. Radfahrer sind ja bis dato nicht zwingend auch versierte Skitourengeher.

Prinzipiell sind die Alpen im Mai 2024 in Teilen Italiens, Österreich und der Schweiz - zumindest in den höheren Lagen - derzeit eher auf Skiern zu bewältigen als auf Rennrädern. So sieht es zumindest Bergretter Olaf Reinstadler. "Bis jetzt war es dafür im Ortlergebiet optimal", sagt er. "Und der Schnee wird nicht von heute auf morgen verschwinden, besser kann man sich die Verhältnisse kaum wünschen." In den höheren Alpengebieten liegt noch meterhoch Schnee, im Stubaital wurden unlängst noch knapp sechs Meter gemessen.

Lawinenabgänge wie hier machen die Arbeiten am Stilfser Joch durchaus heikel und nicht ungefährlich. (Foto: Straßendienst Autonome Provinz Bozen)

Auch zur Wahrheit gehört, dass die Gefahr stets mit bergsteigt und hinabfährt, wenige wissen das besser als Bergrettungschef Reinstadler. Erst am Vatertag erfasste in der Schweiz eine Lawine fünf Urlauber, einer starb. Tage zuvor wurde am Piz Palü im Engadin eine deutsche Skitourengeher-Gruppe von einer Eislawine erfasst, einer von ihnen starb. Im italienischen Aostatal erfasste eine Lawine gar einen Leistungs-Skibergsteiger und tötete ihn. Auch Profis sind nicht gefeit von diesem Schicksal. Den Radprofis beim Giro allerdings, so scheint es, bleiben solche Horrorszenarien erspart.

Für die Spannung um den Gesamtsieg beim Giro d'Italia des Jahres 2024 gilt: je weniger steile Berge, desto besser. Tadej Pogacar fährt bei seiner Premiere in Italien im rosa Trikot einer eigenen Liga, sobald es ins Gefälle geht. Nach neun von 21 Etappen hat der 23-Jährige vom UAE Team Emirates einen deutlichen Vorsprung auf Dani Martinez vom deutschen Team Bora Hansgrohe herausgefahren, bester Deutscher auf Rang 20 ist Simon Geschke vom Team Cofidis. Und der inzwischen für Bora rennradelnde Ex-Skibergsteiger Anton Palzer aus Berchtesgaden? Wurde ausgerechnet dieses Mal nicht nominiert.

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