Süddeutsche Zeitung

Abwehr der Nationalmannschaft:Die neue Wichtigkeit von Matthias Ginter

Lesezeit: 3 min

Von Christopher Gerards, Mönchengladbach

Als Matthias Ginter spät am Samstagabend von seinem sehr sehenswerten Tor erzählte, klang es fast so, als hätte er kaum anders gekonnt. "Ich habe gesehen, dass Serge (Gnabry) am Gegenspieler vorbei ist und dass er ihn wahrscheinlich vorne rumspielen wird", berichtete Ginter. "Und dann war ich eigentlich schon ein bisschen zu weit vorne und habe dann irgendwie noch versucht, den Ball aufs Tor zu bekommen." "Instinktiv" sei das abgelaufen. Ginters Versuch beinhaltete die Zuhilfenahme der Hacke, und am Ende stand sein erster Treffer fürs DFB-Team, der zugleich sein erster formschöner Treffer fürs DFB-Team war.

Zur Wahrheit gehörte zwar auch, dass Ginter beim 1:0 gegen Weißrussland (Endstand 4:0) kurz vor der Pause leicht im Abseits stand. Dafür konnte er von sich behaupten, auch beim 2:0 und beim 3:0 entscheidend mitgemacht zu haben: Erst ließ er eine Ecke von Toni Kroos für Leon Goretzka durch. Dann legte er Kroos selbst auf. Drei Torbeteiligungen in einem Spiel - "das gab's tatsächlich noch nie in meiner Profilaufbahn", sagte Ginter. Und dann kam ja auch noch diese Geschichte hinzu: dass Ginter all dies in Mönchengladbach gelang, dem Stadion, in dem er alle zwei Wochen in der Bundesliga für den gegenwärtigen Tabellenführer spielt.

Ginter, 25, sei ein Spieler, der in der Öffentlichkeit manchmal ein bisschen unterschätzt werde, hatte Bundestrainer Joachim Löw schon vor dem Spiel gesagt. Ginter ist ja einer der wenigen Leute, die schon beim WM-Gewinn 2014 dabei waren, wenn auch, mangels einer einzigen Spielminute, nicht als turnier-entscheidende Kraft. Nun wirkte er an der Seite von Robin Koch als Abwehrchef, und obwohl Weißrussland ein paar Mal etwas zu gefährlich wurde, konnte Ginter am Ende des Abends eine ordentliche Bilanz vorweisen. Und so war die Geschichte des Abwehrspielers Ginter eine, die dem Nationalteam gerade sehr gelegen kommt.

Die Innenverteidigung gehört gegenwärtig zu den kniffligsten Positionen im DFB-Team. Das liegt zum einen daran, dass sich hier zuletzt einige Mängel offenbarten - allzu deutlich war dies beim 2:4 gegen die Niederlande zu sehen, bei dem auch Ginter 84 Minuten verteidigte. Hinzu kommt, dass dem Bundestrainer am Samstag zwei international wettkampffähige Innenverteidigungen fehlten beziehungsweise Risiken mit sich brachten: Niklas Süle und Antonio Rüdiger fielen verletzt aus. Und Jonathan Tah und Niklas Stark standen zwar im Kader, hatten aber zuvor ihrerseits Beschwerden (im Falle von Stark einen Nasenbruch).

Bundestrainer Löw lobt Ginter

So kam es, dass sich im Mittelfeld die illustren und international gut bekannten Namen Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Joshua Kimmich tummelten, während in der Abwehr die Formation Nico Schulz, Robin Koch, Matthias Ginter und Lukas Klostermann antrat. Verkompliziert wird die Abwehr-Geschichte dadurch, dass Löw im Frühjahr einen gesunden und nachgewiesenermaßen sehr guten Innenverteidiger aus der Mannschaft nahm, der aber irgendwann womöglich wieder zurückkehren könnte: Mats Hummels. So ergibt sich eine Situation, in der sich Hierarchien schnell wandeln können. Wer etwa die Aufstellungen bei den Nations-League-Duellen gegen die Niederlande und Frankreich vor einem Jahr betrachtet, findet Ginter zwei Mal rechts hinten, ein Mal im Zentrum und ein Mal auf der Bank.

In diese Gemengelage hinein fiel also Ginters Ein-Tor-eine-Vorlage-und-eine-halbe-Vorlage-Abend. Dem Verteidiger war nicht entgangen, dass Weißrussland gute Chancen hatte (inklusive eines Elfmeters nach Foul von Koch), wobei er dies nicht als alleiniges Problem der Abwehr deutete. "Ich fand, dass wir in der zweiten Halbzeit es nach vorne ein bisschen besser gemacht haben. Dass wir ein bisschen besser Chancen rausgespielt haben und dadurch halt natürlich, klar, die eine oder andere Chance zu viel auch zugelassen haben, die wir eigentlich schon hätten früher vermeiden können durch eine bessere Absicherung, durch eine bessere Konterabsicherung."

Kapitän Manuel Neuer, das zur Ergänzung, hatte übrigens ein "sehr gutes Spiel" von Ginters Nebenmann Koch (SC Freiburg) gesehen, er verwies auch auf dessen erst zweiten Einsatz im DFB-Team. Bundestrainer Löw fand freundliche Worte für Ginter, er nannte ihn "solide, seriös und zuverlässig" und lobte sein Aufbauspiel und seine Konstanz. Defensiv habe Ginter sich verbessert. Und als er nach den drei verbliebenen Weltmeistern im Kader (neben Ginter sind das Kroos und Neuer) gefragt wurde, sagte Löw: "Das sind Spieler, die schon über Turniererfahrung verfügen. Es ist wichtig, wenn man solche Spieler hat, deswegen spielen diese drei in meinen Planungen eine große Rolle." Die Nachbarschaft in diesem Satz zu Neuer und Kroos dürfte ein bisschen zu groß ausfallen. Aber die Worte zeigten: Ginter hat - aus diversen Gründen - eine neue Wichtigkeit für den Bundestrainer erlangt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4685460
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.