Süddeutsche Zeitung

Die Fifa unter Infantino:Es wird gefeuert und gedroht

Kritiker werden in den Rücktritt getrieben, und sein Gehalt ist ihm zu niedrig: Gianni Infantino baut die Fifa radikal nach seinen Vorstellungen um.

Von Thomas Kistner

Im Korruptionssumpf steckt sie schon länger, nun versinkt die Fifa im Führungschaos. Die ersten 100 Tage als Präsident sind nicht absolviert, da steht Gianni Infantino bereits im Epizentrum eines Bebens. Und es ist kein Beben, das aus der Ära des gesperrten Sepp Blatter rührt. Es ist selbst verschuldet. Was die Parallelen zwischen den beiden machtbeseelten Schweizern, die aus derselben Ecke im Oberwallis stammen, aber unterstreicht. Infantino, die Hinweise mehren sich, versucht die Autokratie, die sich der Vorgänger über Jahre aufbaute, im ambitionierten Monatsrhythmus zu installieren.

Seiner beiden größten Widersacher hat sich der neue Fifa-Chef schon entledigt, Domenico Scala und Markus Kattner. Erst wurde Compliance-Chef Scala auf eine Art aus dem Amt getrieben, die in scharfem Widerspruch zur neuen Reform- und Transparenz-Linie steht. Die Lesart von einem "Komplott" der neuen Führung transportieren diverse Quellen im Fifa-Umfeld.

Am Wochenende konkretisierte die FAZ unter Berufung auf Aussagen und Gedächtnisprotokolle, dass Infantino Mitte Mai bei einer Sitzung des neuen Fifa-Councils in Mexiko-City auf Personen abgehoben habe, die "das Leben kompliziert machten" - er sähe die Fifa als "Geisel" einer unerträglichen Situation. Es sollen harte Attacken gegen den Compliance-Chef gewesen sein - dem beim folgenden Fifa-Kongress ein Beschluss präsentiert wurde, der ihn zum Rücktritt nötigte.

Hatte Kattner Einblick in die Scala-Causa?

Infantino ließ, in einer handstreichartigen Abstimmung, das Fifa-Council für ein Jahr ermächtigen, im Alleingang die Mitglieder der zuletzt gefürchteten hauseigenen Kontrollinstanzen zu benennen. Und auch, dies wurde dem Wahlvolk nebenbei untergejubelt: zu entlassen. Das konnte Scala, der maßgeblich am Reformprogramm mitgewirkt hatte, nicht akzeptieren. Er trat zurück.

Vom Council-Treff in Mexiko, dem nun der Geruch einer konspirativen Sitzung anhaftet, soll Markus Kattner ausgeschlossen gewesen sein, der interimistische Fifa-Generalsekretär. Ein Vorgeschmack auf Kommendes: Zehn Tage später wurde Kattner fristlos gefeuert; zur Begründung führte die Fifa die "Verletzung von Treuepflichten im Kontext seiner Beschäftigung" an.

Als Interims-Generalsekretär gehörte Kattner zu den wenigen Hauptamtlichen, die Zugang zu Sitzungs- und anderen Protokollen haben. Hatte er auch Einblick in die Council-Vorgänge zur Causa Scala? Das zählt nun zu den spannenden Themen, die es intern zu klären gilt. Jedenfalls hatte Kattner mit Scala manches gemeinsam: Beide haben Infantino schwer zugesetzt - womöglich, indem sie sich zu sehr an die neuen Regeln hielten. Sehr nachdrücklich zum Beispiel, berichten informierte Kreise, sei der neue Fifa-Boss auf seinen Spesenrahmen hingewiesen worden.

Vor allem aber soll sein Präsidentensalär, das ein neuerdings zuständiges Vergütungskomitee errechnet hat - rund zwei Millionen Schweizer Franken pro Jahr - Infantinos Zorn erregt haben. Vorgänger Blatter hatte ein Mehrfaches; sogar über zweistellige Millionenbeträge darf vor 2015 spekuliert werden, solange der dicke Bilanzposten, in dem die Fifa Saläre und Boni ihrer kompletten administrativen und politischen Führungsriege vermengt, nicht entschlüsselt ist.

Doch die Selbstbedienungszeiten sind vorbei, nun legt ein Vergütungskomitee die Bezüge von Präsident und General fest. Dessen Chef: Scala. Indes gibt es keinen Zweifel, dass Scalas Gremium angemessen und nach Vergleichsparametern in der freien Wirtschaft gerechnet hatte; Infantino ist, anders als Blatter, kein operativer Präsident mehr, sondern eine Art Chefaufseher.

Der wahre, operative Fußballboss, dessen Amt zu dem eines Vorstandsvorsitzenden aufgewertet wird, taucht erst in zwei Wochen in das Haifischbecken auf dem Zürichberg ein - und ist eine Frau: Fatma Samoura. Die Senegalesin war die letzten zwei Jahrzehnte mit UN-Entwicklungsprogrammen in Afrika befasst und in ihren 54 Lebensjahren bisher ohne Zugang zum Fußball. Nun soll Samoura loslegen; in Russland stehen etwa Checks der Stadien und der WM-Vorbereitung für 2018 an. Auch dieser Personalcoup, den Infantino im Stillen eingefädelt und in Mexiko handstreichartig durchgeboxt hat, vorbei an den Gremien, betoniert das alte Fifa-Bild.

Die Chuzpe, mit welcher der als Reformer angetretene neue Boss seine Interessen durchsetzt, lässt Schlüsse auf das interne Reizklima zu. Da wird gefeuert und gedroht. Das Ethikkomitee wird mit Klagen eingedeckt - und muss zugleich auf der Hut sein, nicht selbst in den Strudel gerissen zu werden. Nach SZ-Informationen wurden gleich von drei Seiten Anträge gegen Infantino vorgebracht, nicht alle sollen die nötige Konsistenz aufweisen.

Öffentliche Spekulationen,wonach der Ethik-Chefermittler Cornel Borbély Anzeigen gegen Infantino umgehend diesem selbst vorgetragen und damit womöglich gegen Regeln verstoßen habe, folgten prompt. Und sind problematisch: Zum einen stellen sie die Unabhängigkeit der zuletzt gut funktionierenden Ermittlerschiene in Frage. Zum anderen könnte derlei Vorgehen kein Verstoß, sondern Teil einer Vorermittlung sein. Vorhaltungen gehören dazu, wenn Vorermittlungen laufen - und nach SZ-Informationen läuft einiges um Infantino und Kattner.

So könnten, im Stellungskrieg jeder gegen jeden, die Infantino-Gegner dem neuen Boss sogar in die Hände spielen, wenn sie diskrete Abreden mit den Ethikern unterstellen. Gäbe es die, wäre ja das von Infantino in Mexiko kreierte neue Instrument flott zur Hand: die Abberufung von Fifa-Ethikern durch ein Council, das seinem Chef bereits aus der Hand frisst.

Heikle Fragen wirft überdies Kattners Rauswurf auf. Bei ihm soll nach SZ-Informationen ein hoher Bonus zur WM 2014 in Frage stehen; abgesegnet im engen Kreis. Träfe dies zu, müsste sich aber auch Scala fragen lassen: Wie konnte seine Audit-Abteilung so eine Zahlung durchwinken?

Sollte es Ungereimheiten bei Boni-Zahlungen gegeben haben, die mit zum Rauswurf des höchsten Hauptamtlichen führten, müssen sich vor allem die Fifa-Anwälte der US-Kanzlei Quinn Emanuel fragen lassen, was sie genau tun in ihrer auf bis zu zehn Millionen Dollar im Monat bezifferten Tätigkeit. Sie sollen den Laden durchleuchten, und sie arbeiten seit letztem Sommer. Zeigt ihnen Infantino jetzt mal kurz, was eine Harke ist?

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Quelle:
SZ vom 30.05.2016
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