Ghana vor dem WM-Aus:Zu klein fürs Achtelfinale

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Größenvorteil: Benedikt Höwedes gewinnt das Kopfballduell vor dem 2:2 für Deutschland.

(Foto: AFP)

Enorm zweikampfstark, flink im Kontern, dazu gut organisiert: Ghana präsentiert sich bei dieser WM als stärkste afrikanische Mannschaft. Trotzdem ist das Achtelfinale in weite Ferne gerückt. Trainer Appiah sieht seine Spieler körperlich im Nachteil.

Von Benjamin Romberg

Einer freute sich ganz besonders über das Unentschieden der Deutschen gegen Ghana: Jürgen Klinsmann. Der US-Trainer hatte die Afrikaner mit seiner Mannschaft im ersten Spiel geschlagen und befand nun, es wäre der richtige Zeitpunkt, daran noch einmal zu erinnern. "Das rückt unser Ergebnis gegen Ghana in die richtige Perspektive", sagte Klinsmann nach dem mühsamen 2:2 der DFB-Elf. Joachim Löw drehte den Spieß gewissermaßen um: "Dass sie das erste Spiel gegen die USA verloren haben, kann ich gar nicht so richtig verstehen", wunderte sich der Bundestrainer.

In ihrer Bewertung waren sich Klinsmann und Löw letztlich einig: Die Ghanaer, die können was. Und tatsächlich haben die "Black Stars" bewiesen, dass sie die stärkste afrikanische Mannschaft bei dieser WM sind. Eine Mannschaft, die gut geordnet auftritt, taktisch diszipliniert, eine Mannschaft, in der ein Haufen starker Individualisten auch als Kollektiv funktioniert. Und nicht im Chaos versinkt, wie etwa Volker Finkes Kameruner.

Zu den starken Individualisten zählten gegen Deutschland etwa der flinke Stürmer Asamoah Gyan, der nach einem Fehlpass von Philipp Lahm der deutschen Abwehr entwischte und das 2:1 für Ghana erzielte. Mittelfeldwirbler André Ayew von Olympique Marseille, Torschütze zum 1:1, in der Jugend mal bei 1860 München aktiv.

Oder der 22 Jahre alte Christian Atsu, über dessen rechte Seite fast die Hälfte der Angriffe von Ghana liefen; so auch der zum Ausgleich für die Afrikaner, als Atsu perfekt auf den Kopf von Gyan flankte. Der Flügelflitzer ist derzeit vom FC Chelsea an Vitesse Arnheim ausgeliehen, dürfte aber schon bald nach London zurückkehren - sollte José Mourinho während der WM nicht gerade Fernsehverbot haben.

Nicht zu den starken Individualisten zählten gegen Deutschland Michael Essien, ebenfalls bei Chelsea unter Vertrag, und Kevin-Prince Boateng. Essien saß 90 Minuten auf der Bank, Boateng wurde kurz nach der Pause beim Stand von 0:1 ausgewechselt. Nur wenige Minuten später drehte Ghana die Partie.

"Er ist ein toller Spieler", erklärte Trainer Kwesi Appiah, "aber manchmal muss man aus taktischen Gründen etwas ändern". Kevin-Prince stand damit nur unwesentlich länger auf dem Platz als sein Bruder Jérôme auf der anderen Seite, der nach der Halbzeit wegen einer Verletzung in der Kabine geblieben war. Der Kommentar des Schalkers: "Da hat er wenigstens eine Ausrede. Ich habe keine."

"Leider werden die Leute in Ghana nicht so groß geboren"

Dass Ghana bei dieser WM auf seine vermeintlich Besten verzichten kann, spricht für Appiahs Team. Dagegen spricht, dass sie nach zwei Spielen nur einen mickrigen Punkt auf dem Konto haben - vermutlich zu wenig, um noch das Achtelfinale zu erreichen.

Besonders bitter ist das für die Afrikaner, weil in beiden Partien viel mehr drin gewesen wäre. Das 1:2 im ersten Spiel gegen die USA fiel erst in der 86. Minute. Nach einer Ecke köpfte der 1,93 Meter große John Antony Brooks ein. Das 2:2 durch Miroslav Klose gegen Deutschland fiel in der 71. Minute. Nach einer Ecke verlängerte der 1,87 Meter große Benedikt Höwedes den Ball auf Klose. "Leider werden die Leute in Ghana nicht so groß geboren", stellte Appiah fest.

Doch Größe ist nicht alles. Denn körperlich war Appiahs Team der DFB-Elf nicht unterlegen. Im Gegenteil: Ein ums andere Mal zerschellten die Deutschen an der ghanaischen Hintermannschaft. Die Afrikaner präsentierten sich robust, enorm zweikampfstark. Bezeichnend war die letzte Szene des Spiels: Thomas Müller prallte mit dem Kopf an der Schulter von Ghanas Verteidiger Boye ab und blieb blutüberströmt liegen.

Ghana hatte auch nach dem Ausgleich noch Chancen zum Sieg. Gleich zweimal stürmten die Afrikaner in der Schlussphase in Überzahl auf das Tor von Manuel Neuer zu. Kurz vor dem Abpfiff, als die DFB-Elf ihre Taktikschule bereits komplett vergessen hatte, sahen sich nach einem Eckball der Deutschen zwei Verteidiger vier ghanaischen Angreifern gegenüber.

Ghana verdaddelte beste Gelegenheiten, brachte Löw aber dennoch fast dazu, seine gute Kinderstube zu vergessen. In den Schlussminuten war der Bundestrainer so wütend ob der vielen Fehler seiner Mannschaft, dass er den Ball wegkickte, anstatt ihm dem ghanaischen Spieler zu überreichen, der den fälligen Einwurf ausführen wollte. Löw entschuldigte sich prompt.

Der Punkt hält die Hoffnungen der Ghanaer auf das Achtelfinale zwar am Leben, doch die Ausgangslage ist alles andere als günstig. Die Afrikaner müssen ihr letztes Spiel gegen Portugal in jedem Fall gewinnen. Das Team von Cristiano Ronaldo wird am Sonntagabend aber erst einmal sein zweites Gruppenspiel gegen die USA bestreiten. Für Ghana wäre es am besten, wenn Klinsmann danach keinen Grund zur Freude hätte.

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