Gewaltdebatte im Fußball:Mehr Sozialarbeiter für die Subkultur in den Kurven

Es gibt Problemfälle unter den Fußballfans, doch allgemein werden die Zustände in den Stadien mitnichten schlimmer. Die Hau-drauf-Rhetorik einiger Innenminister ist fehl am Platz. Statt mit der harten Hand des Staates zu drohen, ist es an der Zeit, auf die Probleme mit mehr Prävention und Geld für Fanprojekte zu reagieren.

Ein Kommentar von Claudio Catuogno

Sollte all das stimmen, was man in den vergangenen Wochen von deutschen Innenministern zum Thema "Gewalt im Stadion" gehört hat, müsste man den Fußballbetrieb eigentlich gleich verbieten. Am Samstag ins Stadion? Viel zu gefährlich! Wie eine Horde außer Kontrolle geratener Polit-Hooligans zogen die Herren Friedrich, Caffier, Schünemann, Jäger und andere mit ihrer Botschaft durch die öffentliche Meinungsbildungs-Arena: Alles werde "immer schlimmer" mit den außer Kontrolle geratenen Fußballfans.

Wer nur diesen Teil der Debatte verfolgt hat, dem muss all das, was die Politik als Lösung ins Spiel bringt, schlüssig und angebracht vorkommen. Ein Verbot von Stehplätzen, Ganzkörperkontrollen am Stadioneingang, um auch in BHs und Körperöffnungen nach Feuerwerk suchen zu können, lebenslange Stadionverbote für Störer. Und vor allem: Dass die Fußballklubs, diese auf Millionen gebetteten Unterhaltungsbetriebe, bitteschön die Polizeikosten selbst bezahlen sollen, die sie mit ihren Spielen verursachen.

Aber wird es wirklich immer schlimmer? Wer mal in den Achtzigerjahren mit mulmigem Gefühl ein Stadion betreten hat, der fühlt sich in den modernen Familien-Arenen von heute jedenfalls wie im Wellness-Hotel. Pro Spiel der ersten und zweiten Liga werden im Schnitt 1,5 Zuschauer verletzt - auch diese Zahl geht aus jenem Polizeibericht über Stadiongewalt hervor, den Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger kürzlich als "alarmierend" bezeichnete. Wie viele dieser 1,5 Verletzten durch privat motivierte Rempeleien oder gar durch polizeilich verabreichten Pfefferspray zu Schaden kamen, wird leider nicht ausgewiesen. Kurz: Es wird also nicht immer schlimmer.

Trotzdem muss man randalierende Fußballfans natürlich konsequenter identifizieren und nachhaltiger bestrafen, so wie es die 36 Profiklubs der ersten und zweiten Liga am Mittwoch beschlossen haben. Es gibt ja tatsächlich schockierende Vorfälle: das Überfallkommando von Schalke-Fans vor dem Spiel in Dortmund im Oktober, ein Platzsturm beim Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC im Mai, und vor allem: Woche für Woche das Leuchtrot von verbotenem Bengalo-Feuer in den Kurven.

Der organisierte Fußball muss sich dem Phänomen also auch weiterhin stellen - sich bloß ein Papier mit dem Namen "Sicheres Stadionerlebnis" abzuringen, wird nicht ausreichen. Der Fußball muss das aber mit Augenmaß tun. Und er muss jene Ultra-Fangruppen mit einbeziehen, für die die Unterstützung ihres Teams nicht etwa eine Freizeitbeschäftigung ist, sondern ein Lebensinhalt. Die Hau-drauf-Rhetorik manches Ministers macht die Zustände hingegen nicht besser, sondern verschärft sie. Weil sie in den Fankurven die radikalen Kräfte stärkt, anstatt die vernünftigen in die Pflicht zu nehmen.

Eine Milliarde Euro Steuern pro Jahr

Es wäre deshalb an der Zeit, das Thema nicht mehr nur den Innen- und Sicherheitspolitikern zu überlassen. Sicherheit, das ist ja nicht nur mehr Videoüberwachung, strengere Kontrollen, schärfere Strafen. Sicherheit hieße auch: mehr Prävention, mehr Sozialarbeit, besser ausgestattete Fanprojekte. Ultra-Fans als "Chaoten" abzutun, die jetzt die harte Hand des Staates spüren müssen, wird der Klientel in den Kurven jedenfalls nicht gerecht.

Die Ultra-Bewegung mit ihren oft minderjährigen Anhängern ist eine jugendliche Subkultur. Die gezielte Grenzübertretung, die Mutprobe, das Ablehnen von Autoritäten gehört auch außerhalb der Stadien zur Lebenswelt vieler Heranwachsender. Mit Repression alleine wird das Problem nicht zu lösen sein. Und damit, dass der Fußball demnächst die Polizei bezahlt, sicher auch nicht.

Der Fußball hält sich mit einigem Recht für ein Kulturgut. Seine Profiklubs bezahlen etwa eine Milliarde Euro an Steuern im Jahr. Dass sie sich dagegen wehren, Polizeikosten in Rechnung gestellt zu bekommen, ist zu verstehen. Am Ende werden die Klubs für mehr Sicherheit in ihren Stadien aber auch mehr Geld in die Hand nehmen müssen - wer Kulturgut sein will, muss sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellen. In der kommenden Saison erlösen die Profiklubs alleine aus der Vermarktung ihrer TV-Rechte 200 Millionen Euro mehr, dieses Geld darf nicht weiter bloß in die Taschen von Spielern und Beratern fließen.

Schon jetzt muss es in jeder Bundesliga-Stadt ein sozialpädagogisches Fanprojekt geben. Bisher zahlen das der Fußball-Bund, die Kommunen und die Länder je zu einem Drittel. Wenn der Fußball seinen Beitrag daran nun aufstockt, wie es geplant ist, ist das richtig. Wenn sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung stiehlt, wie es vielerorts Realität ist, während die Innenminister die Stimmung aufheizen, ist das kurzsichtig.

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