Gewalt im Jugendfußball:"Wir dürfen die Kinder nicht in die Sackgasse laufen lassen"

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Ein Rempler auf dem Platz muss nicht immer mit einem Schubser beantwortet werden.

(Foto: imago images / Claus Bergmann)

Seit Burgdorfs C-Jugendspieler einen Gegner krankenhausreif schlugen, ist das Team gesperrt. Ihr Trainer kämpft darum, dass sie noch eine Chance erhalten.

Von Carsten Scheele, Hannover

Ihre Whatsapp-Gruppe haben die Jungs aus der C-Jugend noch. Hier wird abgefragt, wer am Mittwoch zum Trainingstermin kommt. Nicht bei der TSV Burgdorf, ihrem Verein, dort sind sie rausgeflogen, sondern mit dem Freiwilligendienstler der Stadt. Der begleitet das Training der bis zu 14 Spieler, wobei die Mannschaft für kein festes Ziel mehr übt. Das Niedersächsische Sportgericht hat die Zwölf- bis 14-Jährigen bis Ende März 2020 vom Spielbetrieb ausgeschlossen.

2019 war ein schweres Jahr für den Amateurfußball. Auf zahlreichen Plätzen kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen, entweder gingen die Spieler aufeinander los oder auf den Schiedsrichter; in der Saison 2018/19 verzeichnete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) allein fast 700 Spielabbrüche. Im Fall des TSV Burgdorf waren es zwei Vorkommnisse der C-Jugend in der Kreisklasse, wegen denen der Verein überregional in der Presse landete. Mitte September wurde die Partie gegen den SV Fuhrberg nach Tätlichkeiten und Verbalattacken abgebrochen. Laut Verbandsbericht war ein Fuhrberger "von mehreren Burgdorfer Spielern zu Boden geprügelt und mit Stollenschuhen getreten" worden - hier hätte die Mannschaft schon gesperrt werden müssen, sagen Kritiker. Zwei Wochen später, gegen den FC Lehrte, schlugen die Burgdorfer auf einen 13-jährigen Gegenspieler ein, woraufhin dieser im Krankenhaus behandelt werden musste.

Über die Ereignisse gegen Lehrte berichten Augenzeugen sehr unterschiedlich. Von einer "kurzen Keilerei", die nach ein paar Sekunden beendet war, bis zu einer "wilden Schlägerei" reichen die Äußerungen. Das Niedersächsische Sportgericht stellte fest, dass die Mannschaft "offenkundig völlig außer Kontrolle" sei und "erschreckendes und geradewegs kriminelles Gewaltpotenzial" offenbare. Zwei Spieler wurden für ein Jahr gesperrt, das Team zog Burgdorf vom Spielbetrieb zurück. "Da waren wir die böseste Jugendmannschaft Niedersachsens. Mindestens", sagt Peter Kehl, ihr Trainer und Vereinsvorsitzender in Burgdorf. Er kämpft darum, dass seine Jungs, die so viel falsch gemacht haben, nicht fallen gelassen werden.

"Das war eine Dimension, die wir so noch nicht erlebt haben"

Was Kehl besonders bedauert: Die Burgdorfer C-Jugend war ein Integrationsprojekt, erst vor anderthalb Jahren gegründet: Ein kurdisch geprägtes Multi-Kulti-Team, so bunt, wie Deutschland ist, mit vielen Nationalitäten und vielen Temperamenten. Es gab Bedenken, als die Spieler in den Verein geholt wurden, in eine neu gegründete C-Jugend-Mannschaft. Einigen fiel es manchmal schwer, sich an die Regeln zu halten, sie erwiesen sich zudem als empfänglich für Provokationen jeder Art. Sie hätten "ein großes Talent, sich unbeliebt zu machen", sagt Kehl. Das Fußballspiel beherrschten die Jungs, manche seien ziemlich talentiert. Doch darum geht es nicht mehr. Zwei Spiele haben alles verändert.

Als ein Burgdorfer Spieler im September kurz vor Schluss einen Spieler des FC Lehrte foulte, sprang dieser auf und schubste. Da gingen die Burgdorfer auf ihn los, schlugen und traten, zerrissen das Trikot. "Eine ganze Meute", sei über seinen Spieler hergefallen, beschreibt es Marcus Bartscht, der Vereinsvorsitzende des FC Lehrte. Im Fußball gäbe es häufig Fälle, in denen einer ausflippe, bei den Amateuren wie bei den Profis. Aber dass ein ganzes Team zuschlage, "das war eine Dimension, die wir so noch nicht erlebt haben". Eltern mussten schlichten, der Krankenwagen wurde gerufen, die Polizei eingeschaltet. Der Spieler erlitt nach Angaben seines Vereins Prellungen und eine Gehirnerschütterung, er sei in psychologischer Betreuung. Die Polizei leitete mehrere Strafverfahren gegen Spieler beider Klubs ein.

Die Jugendlichen lernen, dass es andere Wege gibt, als zuzuschlagen

Auch der Burgdorfer Trainer Kehl sagt, dass seine Mannschaft völlig überreagiert hat. Die Spieler hätten die Grenzen des Sports nicht akzeptiert, nach einem Foul des Gegners Selbstjustiz geübt, alle gegen einen. Was Kehl aber ebenfalls nicht gefallen hat, war der Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit. Die Schlagzeilen über die "Prügel-Kicker" in den Zeitungen, die Bilder in der Boulevardpresse vor dem Gerichtssaal und vom Krankenbett des Jungen, da sei vieles dramatisiert worden. Als publik wurde, dass Geflüchtete und Migranten in der Burgdorfer Mannschaft mitgespielt haben, sei die Geschichte noch viel größer geworden.

Kehl kämpft darum, dass seine Spieler noch eine Chance erhalten - gerade im Moment des Scheiterns. "Wir dürfen die Kinder nicht in die Sackgasse laufen lassen", sagt der Trainer, der ebenfalls bis Ende März gesperrt wurde. Es gebe Kontakt zur "Waage", einem Zentrum für Mediation und Konfliktschlichtung, das mit dem Niedersächsischen Fußballverband (NFV) zusammenarbeitet. Die Stadtjugendpflege Burgdorf hat sich der Mannschaft angenommen, im Jugendzentrum, das direkt neben dem Vereinsgelände liegt, fand bis zuletzt ein wöchentliches Anti-Aggressionstraining statt. Dort konnten die Jugendlichen in Rollenspielen üben, wie sie mit Provokationen umgehen: dass ein Rempler auf dem Platz nicht immer mit einem Schubser beantwortet werden muss. Dass ein Konflikt häufig erst eskaliert, wenn er verbal befeuert wird. Dass es andere Wege gibt, als zuzuschlagen.

Die Spieler hätten die Maßnahme gut angenommen, zuletzt ging die Trainingsbeteiligung aber zurück. "Wir müssen sehen, dass die Jungs verstehen, was sie falsch gemacht haben", sagt ihr Trainer. Es soll nicht nach einer Entschuldigung klingen, aber die C-Jugend sei zudem ein kritisches Alter, sagt Kehl: "Jetzt brauchen uns die Jungs besonders. Da dürfen wir sie nicht wegschicken."

Kehl hofft, dass die Mannschaft nach Ablauf der Sperre Ende März in den regulären Punktspielbetrieb zurückkehren kann - doch ob es dazu kommt, ist ungewiss. Nicht nur das Verhältnis zu anderen Mannschaften ist gestört, auch im eigenen Verein gibt es nun Vorbehalte. Die eine Seite möchte die Jugendlichen am liebsten für immer verbannt wissen, so sehr hat der Vorfall den kleinen Verein aufgewühlt. Zuletzt sind sogar einzelne Sponsoren abgesprungen. Andere wollen den Spielern dagegen eine zweite Chance gewähren. Trainer Peter Kehl würde den unbequemen Weg wählen.

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