Gewalt im türkischen Fußball:Im Ernstfall schweigt die Uefa

Gewalt im türkischen Fußball: Fenerbahce-Anhänger: Bananen als rassistische Anspielung

Fenerbahce-Anhänger: Bananen als rassistische Anspielung 

(Foto: AFP)

Es brodelt im türkischen Fußball: Der Sport ist seit dem Spitzenspiel in Istanbul im Ausnahmezustand. Nach den rassistischen Beleidigungen und den Fanrandalen mit tödlichem Ausgang fordern zahlreiche Aktivisten von der Uefa Sanktionen. Doch Präsident Platini träumt vor allem vom EM-Finale 2020 in Istanbul.

Von Thomas Kistner

Der Fall Mario Balotelli war der Aufreger der Woche im internationalen Fußball, in Windeseile hatte er die Fifa-Spitze erreicht, nachdem jüngst beim Gastspiel des AS Rom in Mailand rassistische Parolen gegen den Milan-Stürmer geführt worden waren. Sepp Blatter, Chef des Fußball-Weltverbands, nutzte den Anlass, um flammende Moralreden zu schwingen. Mucksmäuschenstill verhielt sich indes die Europa-Union Uefa - wie üblich, wenn es ernst wird.

Denn während Blatters Moralgetue Teil der Funktionärsfolklore ist, weiß die Uefa, dass sich andernorts dunklere Wolken zusammenbrauen als in Mailand. Am selben Wochenende kam es in der Türkei zur Eskalation, Nachrichten dazu bahnten sich aber nur mühsam den Weg durch soziale Netzwerke. Im Spitzenspiel Fenerbahce - Galatasaray in Istanbul flogen Bananen von den Rängen in Richtung der Gästespieler Didier Drogba und Emmanuel Eboué. Eine Fan-Randale nach der Partie endete mit einem Todesopfer.

Das war keine Momentaufnahme. Die Situation in der Süperlig spitzt sich seit Monaten zu, Fußball ist zum nationalen Streitthema geworden. Eine gewaltige Volksbewegung ist über die "Turkish FairPlay Platform" entstanden, Zehntausende wenden sich auf diesem Wege gegen Fenerbahce Istanbul, den Klub der Regierenden, der sich in der Saison 2010/11 den Titelgewinn erkauft hatte.

Fenerbahce gewann 16 der 17 Rückrundenspiele, Polizeiermittlungen ergaben, dass 13 Partien verschoben waren, darunter der 4:3-Sieg am letzten Spieltag, der den Titel brachte. 93 Personen wurden angeklagt, mehr als 30 Spieler und Offizielle inhaftiert, darunter der Vize-Chef des Nationalverbands TFF und Fenerbahces Klubchef Aziz Yildirim. Der Strafgerichtshof verhängte Haftstrafen. Die höchste, sechs Jahre und drei Monate wegen "Bildung und Leitung einer organisierten Bande", kassierte Yildirim. Der politisch bestens vernetzte Militärunternehmer bestreitet die Vorwürfe und ging in Berufung.

Der TFF sperrte Fenerbahce auf Druck der Uefa für die Champions-League-Saison 2011/12. Doch während staatliche Strafgerichte harte Haftstrafen gegen die Betrüger verhängten, fand das Verbandssportgericht keine Beweise für Korruption: Kein Klub wurde bestraft, schon gar nicht Fenerbahce. Neben Yildirim, der 2012 hinter Gittern als Klubchef wiedergewählt wurde, trug dafür einer Sorge, der sich für "mehr als ein gewöhnliches Fenerbahce-Mitglied" hält: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Wie bizarr die Sportjustiz im Fall Fenerbahces arbeitete, zeigt der Umstand, dass das Schiedsgericht Trabzonspors Klage auf den Titel unter Vorsitz eines Juristen abwies, der im Strafprozess Gutachter für Fenerbahce war.

Brav folgte das Sportgericht der Sichtweise des Regierungschefs: Erdogan findet, dass "in Demokratien reale Personen, nicht Körperschaften bestraft" gehören. Wer Klubs bestrafe, so die absurde Argumentation, bestrafe auch Millionen Fans. Zwar monierte Uefa-Chef Platini beim Kongress 2012 in Istanbul, bei Spielmanipulation sei es nicht möglich, Klubs von Personen zu trennen. Trotzdem duldete die Uefa das sportjuristische Kabarett, sie rührt das TFF-Urteil nicht an. Fast wäre Fenerbahce ins Europa-League-Finale eingezogen, der Klub scheiterte im Halbfinale an Lissabon.

20 000 Mails an die Uefa

Die Uefa ignoriert seit Monaten auch den Druck der Fairplay-Aktivisten, obwohl die mehrfach per Charterjet für Protestaktionen nach Nyon und auch zur Fifa nach Zürich gereist waren. Quer durch Europa führt ihre Mission, Anfang Mai waren sie in München. Viele im Ausland ansässige Türken sind mit dem Protest in der Heimat vernetzt, wo seit März 2012 jeden Samstag in den Großstädten demonstriert wird; in Istanbul, Trabzon oder Izmir. Anwälte und Journalisten bilden eine zweite Initiative, es laufen Klagen gegen Funktionäre, und jeden Monat gibt es eine TV-Talkrunde.

Platini will mit der Türkei seinen Traum von der EM 2020 in ganz Europa umsetzen: Halbfinals und Endspiel sollen in Istanbul stattfinden. Aber nun wird in der türkischen Presse offen über Korruption spekuliert. Ex-Fifa-Referee Erman Toroglu nannte Millionenbeträge, und als ein anderer Ex-Fifa-Schiedsrichter, Ahmet Çakar, im Fernsehen vorführte, wie die Uefa Auslosungen manipulieren könnte, gingen die Bilder durch Europa - eine Reaktion aus Nyon ist nicht überliefert.

Belegt sind die Vorwürfe nicht, es erstaunt aber, dass sie es so weit treiben dürfen. Zur Champions-Saison 2012/13 begrüßte die Uefa einen türkischen Sponsor, der bisher im Kulturbereich unterwegs war: Die "Yap-Kredi"-Bank stieg mit rund 30 Millionen ein. Aktivisten verweisen nun darauf, dass bis 2012 in Fenerbahces Vorstand ein Mitbesitzer der Bank saß - und dass sie keine Filialen im europäischen Ausland habe.

Es brodelt im türkischen Fußball. Vor zwei Wochen wurde zufällig publik, dass ein 16-jähriger Fenerbahce-Fan mit Messerstichen verletzt worden war. Am Sonntag beim Klassiker Fenerbahce - Galatasaray eskalierte die Lage, Gästestürmer Drogba (Elfenbeinküste) schrieb dazu auf Facebook: "Du nennst mich einen Affen, aber du bist vorm Fernseher rumgehüpft, als ich die Champions League gewann. Du nanntest mich einen Affen, aber du wurdest irre, als ich mit Galatasaray Meister wurde, und das Traurigste ist, du nanntest mich einen Affen und hattest vergessen, dass du für meinen ,Affenbruder' aufgesprungen bist, als er zwei Tore schoss." Fenerbahces 2:1-Sieg hatte der dunkelhäutige Pierre Webo herausgeschossen.

Nach der aufgeheizten Partie gab es den ersten Toten: Ein 19-jähriger Fenerbahce-Fan wurde von Galatasaray-Anhängern erstochen. Das Opfer gehörte der Fangruppe Genc Fehnerbaceller an, die nach langjähriger enger Kooperation mit Yildirim jüngst in Ungnade fiel. Zwei Tage vor dem Unglück hatte der Klubchef die Gruppe hart angegriffen und für unerwünscht erklärt.

Ibrahim Ertürk von der Fairplay-Initiative sagt: "Wir hören erst auf, wenn der Fall Fenerbahce geklärt ist." 20 000 Mails seien an die Uefa ergangen. Nun sind schwere Geschütze geplant: Ein Hungerstreik gegen den Verband Platinis, der beim Kongress 2012 gesagt hatte: "Lasst uns das Spiel schützen und den Fußball säubern."

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