Gewalt im deutschen Fußball:Gefährlicher Wandel

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Im deutschen Fußball nehmen die Spannungen zwischen Fans, Polizei und Klubs zu - Fanbetreuer beklagen die Hilflosigkeit der Politik, der DFB die gesunkene Hemmschwelle der Anhänger.

Ronny Blaschke

An jedem zweiten Wochenende herrschte gespenstische Stille im Stadionabschnitt 27A. Die Ultras des FC Hansa, sonst laut und farbenfroh, verweigerten die Unterstützung für ihr Team. Ihren Boykott unterbrachen sie für Schmähgesänge gegen Jörg Hübner, den Sicherheitsbeauftragten der Rostocker. Ihr Vorwurf: Die Klubposition Hübners lasse sich nicht damit vereinbaren, dass er zugleich Chef eines Sicherheitsdienstes ist, der fünfzig Prozent der Stadionordner stellt.

Randale von Fußballfans sind in den vergangenen Jahren wieder häufiger geworden - zwischen Vereinen, Anhängern und Polizei schiebt man sich gegenseitig die Verantwortung zu. (Foto: Foto: dpa)

Die Führung des Zweitligisten wollte den Konflikt aussitzen, schweigend, doch die Ultras blieben hartnäckig. Sie machten mobil gegen Hübner, im Internet, in der Kurve, auf einer eigenen Pressekonferenz. Nach fast drei Monaten trat Hübner zurück. "Ich will dem Verein helfen, damit wieder Fußball im Mittelpunkt steht", ließ er mitteilen. Eine Fan-Gruppe, in deren Reihen Gewaltbereite und Rassisten stehen, die den Verein Zehntausende Euro an Strafen gekostet haben, bestimmte die Regeln und drehte die Machtverhältnisse. Ist der Verein erpressbar?

Finger an der Kehle

Rebellionen in den Anhängerschaften sind nicht neu, doch nie zuvor wurde eine Hinrunde so sehr von Fanprotesten geprägt wie die vergangene. "Diese Abneigung habe ich noch nicht erlebt", sagte Markus Babbel in seiner letzten Pressekonferenz als Trainer des VfB Stuttgart im vergangenen Dezember. 150 Fans hatten den Teambus des VfB blockiert, ihre Gesichter verbargen sie hinter schwarzen Masken und Kapuzen. Jugendliche randalierten, zogen Zeigefinger an ihren Kehlen entlang, verbunden mit der Drohung: "Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch alle tot!"

In Bochum lauerten Fans dem Trainer Marcel Koller auf, zerkratzten sein Auto und verbrannten Plakate mit seinem Konterfei, bald darauf wurde er seines Postens enthoben. In Nürnberg wurde Sportdirektor Martin Bader gebeten, sein Haus nicht zu verlassen, er hatte Morddrohungen erhalten. Der Zorn wurde in Internetforen angestachelt. Hinzu kamen Ausschreitungen von Hamburger, Kölner oder Magdeburger Fans. "Die Hemmschwelle der Gewalt ist gesunken, die Angriffe werden brutaler", sagt Helmut Spahn, der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), "das beobachten wir nicht nur im Fußball, sondern zum Beispiel auch bei Demonstrationen von Autonomen".

In der vergangenen Saison besuchten mehr als dreizehn Millionen Zuschauer die Stadien der Bundesliga, sie spülten eine halbe Milliarde Euro in die Kassen, indem sie Eintrittskarten und Fanartikel kauften. Viele von ihnen sind in einem der mehr als 12.000 Fanklubs organisiert. Daraus wachsen Forderungen, in manchen Vereinen wurden bereits Fan-Vertreter in den Aufsichtsrat gewählt. Beim HSV wollten Mitglieder des mächtigen "Supporters Club" Vorstandschef Bernd Hoffmann zum Rücktritt bewegen.

Ultras genießen Privilegien, sie dürfen Transparente in Räumen der Klubs gestalten, eigene Fanartikel entwerfen - als Teil einer Unterhaltungskette. "Die Erwartungen steigen und die Geduld mit dem Team nimmt ab", sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Das Interesse am Sport werde geringer. Die Stimmung schlägt schnell um. Manchmal in neunzig Minuten.

Diese Saison kann einen gefährlichen Wandel markieren: Die Hooligans, die in den achtziger und frühen neunziger Jahren den Kick in der Gewalt suchten, haben sich für ihre Nahkämpfe in Wälder und geschlossene Industriegebiete verabschiedet. Heute entstehen Konflikte oft im Affekt, nach gezielten und gefühlten Provokationen. Der Sportsoziologe Gunter A. Pilz hat eine neue Generation ausgemacht, er bezeichnet sie als "Hooltras". Eine Kreuzung aus Hooligans und Ultras: "Es entsteht ein Gewalttourismus. Viele Fans fahren nur zu Auswärtsspielen, um dem Event ihren Stempel aufzudrücken. Sie sehen sich nicht mehr als unmündige Konsumenten."

Philipp Markhardt, Anhänger des Hamburger SV und Sprecher der Fan-Vereinigung Pro-Fans, sieht das anders: "Ich habe schon vor zehn Jahren vor der Geschäftsstelle protestiert, damals kam der Mannschaftsrat - heute ist es eine Polizei-Hundertschaft. Ich sehe nur Repression, aber keine Deeskalation. Die Konsequenz wird sein, dass viele Fans radikaler werden." Die Liste von unverhältnismäßig harten Polizei-Einsätzen ist tatsächlich lang: Im Juli 2009 stürmten Beamte eine Fankneipe des FC St. Pauli, sie benutzten Schlagstöcke und Reizgas, einen Grund hatten sie nicht. Das Feinbild der Fans wird damit gefestigt, so wachsen unter den Ultras Reizbarkeit und Drang nach Unabhängigkeit, was sich auch in der Stadionstimmung niederschlägt.

"In Lebensgefahr"

Gegenmittel für den Klimawandel? Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, formulierte die provozierende These: "Wer ins Stadion geht, begibt sich in Lebensgefahr." Statt die 47 sozialpädagogischen Fanprojekte zu stärken, schlug die Innenministerkonferenz vor, personengebundene Tickets einzuführen. "Das alles ist pure Hilflosigkeit", sagt Michael Gabriel von der KOS, "es gibt keine Probleme in den Stadien, sondern außerhalb." Auch im Fußball spüre er Unsicherheit: "Viele Vereine wissen nicht, wie sie mit den Herausforderungen umgehen sollen." Wohin Ultras abdriften können, zeigt sich in Italien. Fans in der Serie A erpressen Vorstände oder bringen Trainer zu Fall. In Rostock hat es immerhin schon für den Sicherheitschef gereicht.

© SZ vom 13.01.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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