Gewalt im argentinischen Fußball:Wochen des Schreckens im Stadion

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Fans der Boca Juniors beim Derby gegen River Plate im Mai.

(Foto: AFP)

In Argentiniens Fußballstadien kämpfen berüchtigte Banden wie die "Barras Bravas" um Macht und Geschäft. Der Sport erlebt Tage der Gewalt, bei einem Erstliga-Spiel stirbt ein Fan. Niemand kann und mag den Irrsinn aufhalten.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Javier Jerez war schon tot, als auch dieses argentinische Fußballspiel abgebrochen wurde. Zur Halbzeit setzte der Schiedsrichter der Erstliga-Partie zwischen Estudiantes de La Plata und Lanús am Montag beim Stand von 2:0 ein Ende, draußen nahmen Gerichtsmediziner eine Leiche in Empfang.

Am modernsten Stadion des Landes war gerade der 42 Jahre alte Jerez erschossen worden, Hooligan des Spitzenvereins Lanús. Angeblich durchbohrte ein Gummigeschoss der Polizei seine tätowierte Brust, vielleicht war es auch eine richtige Kugel. Drei Polizisten wurden aus ihren Ämtern entfernt, der mutmaßliche Mörder soll vor Gericht gestellt werden, doch solche Anfälle von Justiz kommen mal wieder zu spät.

Javier Jerez alias El Zurdo, der Linkshänder, ist je nach Statistik der 189. oder 273. Tote in Argentiniens Lieblingssport. Er war wie die meisten Opfer Mitglied radikaler Fans, sogenannter Barras Bravas ("Wilde Horden"). Nach Beginn der Partie hatten sich die Begleiter aus Lanús im Süden von Buenos Aires ein Duell mit den martialischen Ordnungshütern von La Plata geliefert, nun steht wieder eine Beerdigung an. "So stirbt der Fußball", schreibt das Fachblatt Olé. "Man muss etwas tun, aber etwas Ernsthaftes", fleht der Mittelfeldspieler Leandro Benítez von Estudiantes. "Ich habe Angst, wenn meine Freunde und Verwandten ins Stadion kommen."

Die Tribünen waren halb leer, aber wie üblich kam das Match live im Fernsehen. Die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner hat die TV-Rechte gekauft und lässt alles frei empfangbar übertragen, oft auf mehreren Kanälen gleichzeitig - an jedem Spieltag von Freitag bis Montag 900 Minuten lang, unterlegt mit Politpropaganda. "Futbol para todos" heißt das, Fußball für alle.

Die Verteilung des Fernsehgeldes hat die Turniere ausgeglichen gemacht, ja im Vergleich zu Deutschland oder Spanien geradezu demokratisch. Außerdem lässt der argentinische Verband Afa seit Langem in Hin- und Rückrunde eigene Titel vergeben. Jedes halbe Jahr wird ein anderer Verein Meister, das sorgt für Spannung und Hektik. Sicherer wurde die Branche nicht, im Gegenteil.

Am Samstag war bereits der Vergleich von Vélez Sarsfield und All Boys wegen einer Schlacht auf den Rängen nach 26 Minuten abgepfiffen worden. Mit dem Tod in La Plata gipfelten jetzt Wochen des Schreckens, alle im Zeichen dieser Barras Bravas, organisierter Fanatiker. Bei Zweitligist Huracán gab Trainer Juan Manuel Llop im April entsetzt auf, nachdem Barras das Training gestürmt hatten. In Mendoza warfen Delinquenten des Vereins Rivadavia Ende Mai ebenfalls bei einer Übungseinheit Molotowcocktails und attackierten die Profis, anschließend legte Rivadavia-Präsident Daniel Vila sein Amt nieder.

In Avellaneda im Rande von Buenos Aires griffen Racing-Sympathisanten nach einer Niederlage die Geschäftsstelle an. Vor der Auseinandersetzung Argentinos gegen River Plate wurde ein Barra niedergestochen. Im Stadion Monumental von River Plate zerstörten Getreue von Independiente Zaun und Sitze, denn ihre Mannschaft nähert sich dem Abstieg.

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