Gewalt im Amateurfußball:Kämpfe mit den Fäusten statt um Punkte

Die Gewalt auf Münchner Fußballplätzen ist offenbar kaum zu stoppen. Die Zahl der Schiedsrichter im Amateurbereich geht weiter zurück. Trotz verdeckter Beobachter müssen die Funktionäre erkennen, dass es in der Rückrunde keineswegs friedlicher wurde - eher schlimmer.

Von Andreas Liebmann

"28. Mai: Am heutigen Dienstag bleiben Bayerns Schulen geschlossen. Als Grund nennt das Kultusministerium die laufenden Pfingstferien, deretwegen sich zahlreiche Schüler und Lehrer im Urlaub befänden." Oder, anderes Beispiel: "17. August: Erneut gab es in München weder Schneestürme noch Straßenglätte."

Niemand käme je auf die Idee, solche Meldungen zu verbreiten, da kann die Nachrichtenlage noch so dürftig sein. Es handelt sich um Selbstverständlichkeiten, um Nicht-Nachrichten. Umso bemerkenswerter ist folgende Passage aus einer Pressemitteilung, die Peter Schmid vor einigen Wochen verschickt hat. Schmid ist Spielgruppenleiter des Fußballkreises München; er meldete am 21. April: "Der Spieltag war verhältnismäßig ruhig. Schauen wir mal, was nächste Woche alles passiert."

Auch das klingt nach einer Nicht-Nachricht, ist es aber nicht, und das ist das Bedenkliche. Es ist zurzeit schon eine Erwähnung wert, wenn mal ein Spieltag im Münchner Amateurfußball ohne böse Zwischenfälle abläuft. Das ist beinahe so selten wie ein Tag ohne Neuigkeiten vom TSV 1860 München und dessen Investor.

Schmid verband seine Mitteilung mit einer Hoffnung: "Vielleicht haben die angeordneten Platzaufsichten doch etwas zur Beruhigung beigetragen." In der Rückrunde hat der Verband in München verstärkt Beobachter losgeschickt, die teilweise verdeckt dort auftauchten, wo ein Spiel eskalieren könnte. Das sollte zugleich abschrecken und Erkenntnisse liefern für Konzepte gegen Gewalt.

Schmids Hoffnung war trügerisch. Am folgenden Spieltag wurden Polizeibeamte zu einer C-Klasse-Partie gerufen. Im Sportpark Taufkirchen waren zwei Spieler aufeinander losgegangen, ein 39-Jähriger trat einem 20-Jährigen, als dieser auf dem Boden saß, derart heftig ins Gesicht, dass dieser mit Jochbein- und Augenhöhlenbruch ins Krankenhaus musste. Der Täter wurde sofort festgenommen.

Meist passieren solche Dinge in den untersten Spielklassen. Dort, wo sich der Verband besonders schwer tut mit Kontrollen. Dort aber auch, wo sich sportliche Ambitionen eigentlich in engsten Grenzen halten sollten. Die steigende Gewaltbereitschaft, die sich häufig gegen Schiedsrichter wendet, sei ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, darauf weisen die Funktionäre des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) immer wieder hin, von dessen Chef Rainer Koch über den Bezirksvorsitzenden Horst Winkler bis zu den Schiedsrichterobleuten.

Doch die Erkenntnis hilft nicht weiter. Der Sport, der so gerne auf seinen Beitrag zur Integration verweist, auf seine Fähigkeit, Menschen verschiedener Herkunft zu verbinden, Werte wie Toleranz und Fairness zu vermitteln und sozialen Konflikten vorzubeugen, er ist allzu oft Austragungsort solcher Konflikte. Die Funktionäre stehen dem fassungslos gegenüber.

Die Gewalt wird nicht mehr, aber intensiver

Das Übel beschränkt sich nicht auf München, anderswo geschehen ähnliche Dinge. In Ingolstadt gab es Anfang Mai bei einem Kreisklasse-Spiel eine Massenschlägerei, Zuschauer und Spieler gingen aufeinander los, eine Online-Zeitung sah "150 bis 200 Leute" beteiligt. Vier Polizisten geleiteten den Referee vom Sportplatz.

Eine Woche zuvor wurde Henrik Kellinghaus, ein erfahrener Schiedsrichterfunktionär im Kreis Zugspitze, in einer Partie der C-Klasse 4 angegriffen. Er hatte einem Spieler Rot gezeigt, worauf dieser ihm den Ellbogen in die Brust rammte, ihn zu Boden stieß und sich auf ihn stürzen wollte. Der Verein, der TV Tegernsee, entschuldigte sich bei dem Unparteiischen und schloss den Spieler umgehend aus, das Kreissportgericht sprach eine Sperre von eineinhalb Jahren aus. Kreisspielgruppenleiter Heinz Eckl zeigte sich schockiert. Vom Verband, sagt Kellinghaus, habe sich niemand gemeldet und nach seinem Befinden gefragt.

Peter Schmid räumt offen ein, dass es im Kreis München besonders arg zugeht. Und das, obwohl die Vereine selbst zum Teil drastisch reagieren. Der SV DJK Taufkirchen hat seine C-Klasse-Mannschaft nach dem Vorfall Ende April abgemeldet, ähnlich wie zuvor der Türk SV Dachau, als dessen zweite Mannschaft in einer C-Klasse-Partie vier Platzverweise sammelte.

Hinter vielen Spielabbrüchen stecken erschreckende Vorfälle, die selten bekannt werden. Wie jene Partie in der Münchner B-Klasse 5 von Mitte April, über die im Internet steht, ein Torwart habe den Schiedsrichter ins Gesicht gebissen. Es geschah auf derselben Anlage in Taufkirchen, zu der zwei Wochen später die Polizei gerufen wurde, nur mit anderen Vereinen.

Der BFV betont, die Fälle von Gewalt seien nicht mehr geworden, doch nehme die Intensität zu und die Hemmschwellen sinken. Auch Schmid stellt das fest. Der BFV hat nun mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) eine Studie in Auftrag gegeben, um Gründe für den Schiedsrichterschwund zu ermitteln. Und er hat eine Umfrage unter den Regelhütern gestartet. Ein Ergebnis: 90 Prozent der bayerischen Schiedsrichter fühlen sich auf dem Fußballplatz sicher.

"Das heißt doch, dass zehn Prozent Angst haben, auf den Platz zu gehen", kontert Andreas Hitzlsperger, "das finde ich viel." Hitzlsperger war das Sprachrohr jener Dachauer Schiedsrichter, die mit ihren Rücktritten im vorigen Herbst eine Debatte über Gewalt auf den Fußballplätzen ausgelöst haben. Viele Schiedsrichter-Obleute klagten daraufhin über unhaltbare Zustände auf den Plätzen, über ständige Beleidigungen und häufiger werdende Angriffe.

Seitdem, findet er, habe sich nur wenig bewegt, und das Wenige führt Hitzlsperger auch auf die öffentliche Kritik zurück: die Umfrage, die Einteilung von Beobachtern, die einem ihrer Vorschläge entspreche - wobei man schwer Freiwillige finde, so lange man deren Aufwand mit nur 15 Euro entlohne. In München gebe es in Spielgruppenleiter Schmid und dem für Gewaltprävention zuständigen Bernhard Slawinski "fähige Leute", die sich der Sache annähmen.

Doch das reiche nicht, findet Hitzlsperger, nach wie vor wirft er den Verbandsoberen vor, die Lage zu verharmlosen. Vor allem Bezirkschef Winkler, der vor Wochen Hitzlspergers Rücktrittsforderung zurückwies. Winkler bekomme im Chiemgau nicht mit, wie es an Münchens Brennpunkten zugehe, behauptet Hitzlsperger. Immerhin hat der Bezirkschef nun die Dreiteilung der viel zu großen Schiedsrichtergruppe eingeleitet - eine Maßnahme, die auch Hitzlsperger richtig und überfällig findet.

"Verband ist nicht bereit für einen Dialog"

Uneinigkeit gibt es vor allem beim Strafmaß. Während Hitzlsperger härtere Sanktionen bis hin zu Punktabzügen fordert, bezweifelt Winkler deren Wirksamkeit. Anfang November 2012, so Hitzlsperger, habe ein B-Klasse-Fußballer einen Schiedsrichter am Kopf getroffen. Er sei bis Ende Januar gesperrt worden. "Bis zur Winterpause sind dann drei Spiele ausgefallen. Der war effektiv kein einziges Spiel gesperrt. Das ist Irrsinn."

Der BFV gebe zu milde Strafen vor, beharrt Hitzlsperger. "Wenn sie doch mal härter ausfallen, legt der Verein Protest ein, der Fall geht ans Bezirkssportgericht und das mildert die Strafen in aller Regel ab." Er wolle helfen mit seiner Kritik, beteuert der Forstinninger, stattdessen habe ihn die Verbandsführung als Bayernliga-Beobachter "aus dem Verkehr gezogen": "Die sind nicht bereit für einen Dialog."

Wie unschön viele Spiele gegen Saisonende liefen, belegen zwei Schreiben, die Münchens Kreisjugendleiter Florian Weißmann an Jugendleiter, Trainer und Eltern richtete. "Gegenseitige Beleidigungen, Aggressionsausbrüche und Einschüchterungen von Trainern, Eltern und Spielern" stünden wieder "im Mittelpunkt", stellt er am 6. Mai fest, "auch Schiris sind davon betroffen." Dazu komme überhartes Einsteigen. Fortan würden auch Jugendspiele verdeckt beobachtet. Weißmann fordert eine "Rückkehr zur Vernunft", er wolle keine Meldungen mehr lesen über Angriffe auf Schiedsrichter, Fehlverhalten von Trainern, Beleidigungen durch Eltern.

Nur eine Woche später schrieb Weißmann erneut, "schockiert" von Steinwürfen, Beleidigungen, Spielabbrüchen. Er habe den Eindruck, sein Appell sei "für einige der Aufruf zum Gegenteil" gewesen.

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