Gewalt im Fußball:„Ost, West, links, rechts – man hat den Eindruck, alle haben gerade Bock drauf“

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Bei einer Razzia in vier Bundesländern stellen Polizeibeamte Beweismittel im Zusammenhang mit einem Überfall von mutmaßlichen Rostocker Fans auf einen Sonderzug mit Anhängern von Rot-Weiss Essen sicher. (Foto: Christoph Reichwein/dpa)

Obwohl wieder eine gestiegene Gewaltbereitschaft rund um Fußballspiele zu beobachten ist, haben die mehr als 70 Fanprojekte im Land zu kämpfen. Dabei wären Prävention und Expertise gerade besonders gefragt.

Von Christoph Ruf

Es ist ungefähr so, als entferne man die Feuermelder aus einer Siedlung, der sich ein Waldbrand nähert. Da berichten Insider über eine fast flächendeckend steigende Gewaltfaszination in den Fankurven, darüber, dass an einigen Standorten wieder ein Rechtsruck zu beobachten ist. Und ausgerechnet in Zeiten, in denen also Prävention und Fan-Expertise mehr denn je gefragt wäre, geraten die über 70 sozialarbeiterischen Fanprojekte zusehends unter Druck. Politisch, durch Polizei und Justiz. Vor allem aber finanziell.

Schon jetzt stehen einige Standorte auf schwachen Beinen, weil die Kommunen ihre Zuschüsse kappten. Zusammen mit den Ländern übernehmen sie die Hälfte der Finanzierung, die andere Hälfte steuern DFB und DFL bei. Und Michael Gabriel, Leiter der „Koordinierungsstelle der Fanprojekte“ (KOS), fürchtet, dass die punktuellen Kürzungen nur der Anfang sind: „Es besteht die Gefahr, dass sich die öffentliche Hand weiter zurückzieht. Alles, was mit Sozialem und Jugend zu tun hat, hat in der Politik gerade einen schweren Stand.“

Urteil im Karlsruher Fanprojekt-Prozess
:Ein hoher Preis fürs Schweigen

In einem viel beachteten Prozess verurteilt das Amtsgericht Karlsruhe drei Fanprojekt-Mitarbeiter zu Geldstrafen. Der Vorwurf: Sie hätten die Ermittlungen behindert, weil sie sich weigerten, als Zeugen auszusagen. Das Urteil ist umstritten - und weitreichend.

Von Christoph Ruf

Tatsächlich ist an den Wochenenden seit einiger Zeit wieder eine gestiegene Gewaltbereitschaft zu beobachten. Das Stadionerlebnis an sich tangiert das nicht, denn die Scharmützel finden oft mehrere hundert Kilometer vom eigentlichen Spielort entfernt statt: So wurde Mitte März auf einem Rastplatz an der A4 ein Bus mit Fans von Energie Cottbus überfallen, der auf dem Rückweg aus dem 350 Kilometer entfernten Saarbrücken war. Die Täter: mit hoher Wahrscheinlichkeit Fans von Dynamo Dresden, die auf dem Rückweg vom gleich weit entfernten Aachener Tivoli waren. Im Bus saßen primär Familien mit Kindern.

Der Rechtsruck unter Fangruppen stärkt fatalerweise in aller Regel die gewaltbereiten Kräfte in den Kurven

Brutal verlief im Oktober auch ein Überfall von Rostocker Fans auf einen Sonderzug mit Fans von Rot-Weiss Essen. Der wurde auf freier Strecke zum Halten gebracht, es flogen Steine, der Sachschaden betrug knapp 120 000 Euro. Vergangene Woche folgten Razzien in vier Bundesländern, die Polizei geht davon aus, dass die Auseinandersetzung geplant war. An vielen Standorten gibt es zudem seit der Corona-Pandemie ein rechtes Rollback. Das entspricht einem Trend, der sich in Wahlergebnissen genauso widerspiegelt wie bei Fußballspielen – und stärkt fatalerweise in aller Regel die gewaltbereiten Kräfte in den Kurven. Hinzu kommt, dass auch an den Rändern von manchen Fanszenen, die als links gelten, die Gewaltbereitschaft erschreckende Ausmaße angenommen hat: „Ost, West, links, rechts – man hat den Eindruck, alle haben gerade Bock drauf“, sagt der Mitarbeiter eines Fanprojekts am Rande eines bundesweiten Fanprojekt-Treffens in Nürnberg und Fürth.

Dort war auch das Schicksal der Kollegen vom KSC-Fanprojekt Thema. Die drei waren ins Visier der Justiz geraten, weil sie sich gemäß ihrem sozialarbeiterischen Auftrag weigerten, ihr vermeintliches Wissen über die Urheber eines Pyrotechnik-Vorfalls preiszugeben. Da sie im Gegensatz zu Streetworkern in der Drogenarbeit aber kein Zeugnisverweigerungsrecht haben, stand zwischenzeitlich sogar Beugehaft im Raum. Ob die hohe Geldstrafe tatsächlich fällig wird, zu der sie bereits verurteilt wurden, wird die nächste Instanz entscheiden.

Dass Fanprojekte ein geschützter Raum sein müssen, damit das Vertrauensverhältnis zu den Fans intakt bleibt, akzeptierten bis vor Kurzem auch Justiz und Politik weitgehend. Nun, wenige Monate nach dem letzten Karlsruher Verfahren, wurde schwer bewaffnete Polizei allerdings auch in Essen im dortigen Fanprojekt der AWO vorstellig, um an die Teilnehmerliste des Sonderzugs nach Rostock zu gelangen. Dort war die Fahrt allerdings überhaupt nicht organisiert worden.

Immerhin: DFB-Präsident Bernd Neuendorf will sich für die Fanprojekte einsetzen

Das Vorgehen in Essen und Karlsruhe passt zu Aussagen von Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Der hatte im Oktober mit der Aussage überrascht, man müsse die Arbeit der Fanprojekte kritisch hinterfragen. Ausgerechnet Sachsen: Dort bekam die Politik gerade von der Justiz einen Rüffel. 2014 waren die Telefonate des Leipziger Fanprojektlers Sebastian Kirschner ohne sein Wissen abgehört worden. Der Sozialpädagoge war als vermeintlicher Mitwisser einer gewalttätigen Ultra-Auseinandersetzung ins Visier des sächsischen LKA geraten. Tausende seiner Telefonate, auch private und solche mit Journalisten, waren dabei protokolliert worden. Das Landgericht Dresden entschied nun, dass das illegal war. Zur Genugtuung von Kirschner, der es für ein Unding hält, wenn „Sozialarbeiter quasi geheimdienstlich in ihrem Beruf überwacht“ werden. Das Verfahren habe auch den Kernbereich seiner Arbeit tangiert: „Sozialpädagogische Prävention im Fußballkontext ist eine Erfolgsgeschichte. Ich erwartete von Staatsanwaltschaften und Polizei in Zukunft mehr Wertschätzung und Verständnis für das, was wir tagtäglich tun.“

Immerhin: Unterstützung bekamen die Fanprojekte bei ihrem Treffen zumindest von Bernd Neuendorf. „Mir wird derzeit zu wenig über die soziale Infrastruktur diskutiert, die genauso wichtig ist wie Brücken und Straßen und Schulen“, sagte der DFB-Präsident. Er werde sich „dafür einsetzen, dass Fanprojekte nicht von der Politik infrage gestellt werden, wie wir das im letzten Herbst erlebt haben“.

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