Gewalt bei der EM:Deutsche Hooligans kehren in den öffentlichen Raum zurück

  • Viele Jahre hatten sich die Hooligans auf Äckern und Wiesen geprügelt.
  • Aufmerksamkeit war ihnen nahezu egal. Doch das ändert sich nun.
  • Parteipolitisch wollen sich diese Fans nicht vereinnahmen lassen, doch sie lassen sich auf Kundgebungen von rechten Parteien gern umgarnen.

Von Ronny Blaschke

Ein regnerischer Abend Anfang 2015. Rund 1500 Protestierer kommen in Leipzig für Legida zusammen, einen Ableger von Pegida. Dutzende Hooligans sind anwesend. Breitschultrige Männer mit Tätowierungen, bösen Blicken und kurz geschorenen Haaren, aus Leipzig und Dresden, Zwickau und Chemnitz, mit guten Kontakten zu rechten Kameradschaften.

Über viele Monate treten sie bei Demonstrationen in Sachsen auf. Sie bedrängen Fotografen, attackieren linke Aktivisten, grölen fremdenfeindliche Parolen. Nun, auf der Bühne in Leipzig, werden sie von einem Sprecher als Bürgerwehr angekündigt: "Wenn die Politik unsere Polizei weiter so kaputtspart, dann werdet ihr noch einmal gefordert sein, Seite an Seite mit diesen Polizisten Recht und Gesetz zu verteidigen."

Einige dieser Männer sind am vergangenen Wochenende nach Lille gereist, wo das deutsche Team bei der EM auf die Ukraine traf. Sie zelebrierten ihr Überlegenheitsdenken, posierten mit einer Reichskriegsflagge, zeigten den Hitlergruß. Etwa vierzig von ihnen prügelten auf Franzosen und Ukrainer ein. Die Bilder schlossen an Szenen in Marseille an, wo russische und englische Fans an drei Tagen aufeinander losgingen. In den Reaktionen mischte sich Empörung mit Verwunderung, schließlich waren vergleichbare Gruppen bei einem großen Turnier seit anderthalb Jahrzehnten selten zu sehen gewesen.

Da ist sie wieder, die Moralpanik. In vielen Betrachtungen werden Hooligans als widersprüchliche Nebendarsteller des Fußballs dargestellt, die außerhalb der Stadien keine Existenz haben. Doch Aufruhr, Gewalt und Bürgerlichkeit sind nicht voneinander zu trennen. Die Subkulturen des Fußballs haben die politischen Entwicklungen ihrer Gesellschaften stets wie unter einem Brennglas deutlich gemacht.

Die Hooligans waren nie verschwunden, sie hatten sich bloß Nischen gesucht. Inzwischen kommt ihnen das allgemeine Klima wieder entgegen. Was sie sich im Job oder in der Familie noch nicht zu sagen trauen, geht im vergleichsweise anonymen Erlebnisraum Fußball leichter über Lippen und Fäuste: Sie predigen das Gesetz des Stärkeren. Wir gegen die anderen.

Innerhalb der Szene verbündeten sich Hooligans auch mit Neonazis und Rockern

Viele Jahre hatten sie sich zurückgehalten. Der Auslöser: Die WM 1998 in Frankreich, als deutsche Schläger den französischen Gendarm Daniel Nivel fast zu Tode prügelten. Medien berichteten weltweit, viele Hooligans stellten ihre Sehnsucht nach Adrenalinstößen grundsätzlich infrage. Sicherheitskonzepte wurden verbessert, die Sozialarbeit mit Fans erhielt eine höhere Förderung, Stadien wurden mit modernen Kameras ausgestattet. Zumindest in West- und Mitteleuropa.

Einige Hooligans wollten ihrem Alltag weiter durch Faustkämpfe entfliehen, sie taten das in der Abgeschiedenheit, auf Äckern und Wiesen, fernab von Polizei und Kameras. Über Jahre wuchs ein Netzwerk von brutalen Schlägern. Sie trainierten in Kampfsportstudios und organisierten ihre Prügeleien in sozialen Medien. Sie drehten Videos und schmiedeten Allianzen mit rivalisierenden Gruppen, national und international. Innerhalb der Szene verbündeten sich Hooligans auch mit Neonazis und Rockern, die Grenzen waren fließend, die exakte Prägung unterschied sich von Region zu Region. Die öffentliche Aufmerksamkeit war ihnen lange egal. Das ändert sich nun.

Ein Klima der Angst

Seit fünf, sechs Jahren beanspruchen rechte Hooligans in Deutschland wieder den öffentlichen Raum: Die "Borussenfront" in Dortmund, die "Standarte" in Bremen, die "Rotfront" in Kaiserslautern. Sie gehen weniger in den Stadien in die Offensive, sondern mehr im Umfeld der Arenen: auf Bahnhofsplätzen, in Sonderzügen und Kneipen. Auch bei deutschen Länderspielen in Polen oder Georgien. Nur wurden die Kämpfe selten von Medien dokumentiert.

Doch im Hintergrund entstand ein Klima der Angst: In Bremen überfielen Hooligans die Geburtstagsfeier von jungen Fans, die sich gegen Diskriminierung ausgesprochen hatten. In Braunschweig veröffentlichten Hooligans die Adressen von antirassistischen Aktivisten. In Aachen zogen sich linke Anhänger zum eigenen Schutz aus dem Stadion zurück, nach Drohungen, Überfällen und "Hausbesuchen" von Hooligans. Und in Dortmund wurden Fanbetreuer mehrfach angegriffen. Es sind einige Beispiele, die zeigen, wie eine Minderheit eine Mehrheit durch Gewalt einschüchtern kann.

Die offiziellen Reaktionen folgten stets dem gleichen Prinzip: Die Vereine schwiegen - oder wollten Opfer und Täter an einen Tisch bringen, also auf Augenhöhe. Die Lokalpolitiker hielten sich zurück, weil sie schlechte Schlagzeilen für den Tourismuswert ihrer Kommunen befürchteten. So blieb die politische Dimension der Hooligan-Angriffe meist unerwähnt. In einer Zeit, in der bundesweit intensiv über die NSU-Morde diskutiert wurde, konnten sich Rechtsextreme im Fußball-Milieu unbeobachtet fühlen, auch Mitglieder der NPD und der Partei "Die Rechte". Daraus schöpften die Hooligans Zuversicht und Machtansprüche. Sie schlossen sich zu "HoGeSa" zusammen, Hooligans gegen Salafisten. Im Oktober 2014 randalierten mehr als 4000 von ihnen mitten in Köln.

Die Entwicklungen in Fanszenen und Politik unterscheiden sich mitunter enorm, doch die Vorfälle in Köln standen symbolisch für die neue Brücke zwischen Hooligans in ganz Europa: die pauschale Feindseligkeit gegen den Islam als Selbstermächtigung zur Gewalt. In Brüssel störten 400 Hooligans die Trauerfeier für die Opfer des islamistischen Terrors. In der ungarischen Stadt Szeged patrouillierten Dutzende Fans an der Grenze, um Flüchtlinge bei der Einreise zu stoppen.

Tränengas gegen englische Fans

In Lille ist es am Mittwochabend erneut zu Ausschreitungen gekommen. Die Polizei ging mit Tränengas gegen mehrere Hundert englische Fans vor, die vor dem zweiten EM-Gruppenspiel ihrer Auswahl am Donnerstag gegen Wales im 30 Kilometer entfernten Lens in die Stadt gekommen waren. Zuvor hatte es Jagdszenen durch die Innenstadt von Lille gegeben. Lille war am Mittwoch Schauplatz der Partie Russland gegen Slowakei. Russische und englische Fans hatten sich am vergangenen Samstag in Marseille gewalttätige Auseinandersetzungen geliefert, bei denen mehrere Personen verletzt wurden. Wegen der Krawalle im Stadion hatte die Uefa den russischen Verband mit einem EM-Ausschluss auf Bewährung bestraft. dpa

Im Herzen von Stockholm machten Hooligans Jagd auf Einwanderer. In Breslau zeigten Ultras eine riesige Choreografie: Darauf verteidigt ein Kreuzritter Europa mit dem Schwert, während im Mittelmeer Flüchtlingsboote zu kentern drohen. Und in Russland hat die Nichtregierungsorganisation Sova in jüngerer Vergangenheit mehr als 200 Vorfälle von Diskriminierung dokumentiert: Affenlaute gegen schwarze Spieler, Fans mit Hakenkreuz-Tätowierungen, Sammelaktionen für "weiße Helden".

Parteipolitisch wollen sich diese Fans nicht vereinnahmen lassen, doch als gut trainierte Einschüchterungstruppen lassen sie sich auf Kundgebungen von rechten Parteien gern umgarnen, bei den Schwedendemokraten, bei "Recht und Gerechtigkeit" in Polen, bei "Jobbik" in Ungarn, bei Pegida in Deutschland. Vor allem in Osteuropa sind Fankurven oft die sichtbarste Ausdrucksform des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Auf dieser Basis können Parteistrategen leichter ihre Arbeit verrichten.

Die Mehrheit der Fans spielt nicht rechts

Für die Gewalt werden Vereine regelmäßig bestraft. Doch die Repression ist nur Alibi: Im russischen Fußball mischen zum Beispiel auch einige rechtsextreme Funktionäre mit. In Polen veröffentlichte Fußball-Verbandschef Zbigniew Boniek auf Twitter ein Foto von Jacek Purski, einem Gründer des Antirassismus-Netzwerks "Nie Wieder". Dazu platzierte Boniek den Verweis zu einem rechten Magazin. Es folgten Beleidigungen und Drohungen gegen Purski. Erst kürzlich stellte die antieuropäische Parlamentsabgeordnete Krystyna Pawlowicz die "nationale Loyalität" von Robert Lewandowski infrage, schließlich werde der Stürmer von einem deutschen Klub bezahlt, dem FC Bayern. Lewandowski war einer von wenigen polnischen Spitzensportlern, die sich für eine humane Flüchtlingspolitik ausgesprochen hatten.

In Deutschland hat die AfD vor Kurzem eine ähnliche Strategie ausprobiert. Der Brandenburger Fraktionschef Alexander Gauland wählte eine diffuse Kritik gegen den schwarzen Abwehrspieler Jérôme Boateng. Und sächsische Kollegen von ihm sahen in der Pilgerreise von Mesut Özil nach Mekka ein "antipatriotisches Signal".

Doch noch entsprechen diese Aussagen nicht dem Mehrheitsgeschmack. Im deutschen Fußball jedenfalls gibt es weit mehr antirassistische als rechte Fangruppen. Das liegt vor allem an der Ultra-Bewegung, deren Ursprung im Italien der Sechziger- jahre liegt. Fans in Rom, Mailand oder Turin hatten ihre farbenfrohe und lautstarke Unterstützung früh mit sozialen Aktivitäten verbunden. Sie sammelten Spenden für Kinderheime oder nahmen an antifaschistischen Demonstrationen teil.

In Deutschland übernehmen Ultras eine wichtige Brückenfunktion zwischen Jugendlichen und Politaktivisten. Die Schickeria in München bewahrte Kurt Landauer vor dem Vergessen, unter dem jüdischen Präsidenten hatte der FC Bayern 1932 seine erste Meisterschaft gewonnen. Die Kohorte in Duisburg veranstaltete einen Infoabend gegen Antiziganismus, die Abwertung von Sinti und Roma. Auch die Coloniacs in Köln oder Stradevia in Fürth organisieren Lesungen, Benefizkonzerte und Filmabende, Caillera kämpft in Bremen gegen Sexismus.

Diese Gruppen bereichern die Zivilgesellschaft. Laut der Shell-Studie von 2015 äußern 41 Prozent der deutschen Jugendlichen ein Interesse an Politik, 2002 lag dieser Wert noch bei dreißig Prozent. Aber: Das Interesse an Parteien ist kaum vorhanden. Mehr Vertrauen wird Menschenrechtsgruppen entgegengebracht. Die Ultras folgen diesem Trend. Durch den Fußball erhalten sie eine Aufmerksamkeit, die sich so manche Nichtregierungsorganisation nur wünschen kann. Es ist kein Zufall, dass die Ultras mehr und mehr über den Fußball hinausdenken und sich politisch äußern. Auch als Reaktion auf das Erstarken der Hooligans.

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