Geschlechtstest im Sport:Schwierige Trennung von Mann und Frau

Fast zwei Jahre nach dem "Fall Semenya" will der Sport wieder einen Geschlechtstest einführen. Experten sehen ihn als undankbare Aufgabe - und als problematisch.

Thomas Hummel

Der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF stellt seiner Erklärung einen Punkt voran: "Die Wett- bewerbe werden weiterhin getrennt bei Männern und Frauen ausgetragen." Dasklingt banal. Doch genau betrachtet wirft das Detail Fragen auf, die fast unlösbar erscheinen. Seit Caster Semenya aus Südafrika bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin viele Blicke auf sich zog, weiß auch die Sportwelt, dass es Menschen gibt, die nicht hundertprozentig einem Geschlecht zuzuordnen sind. Der Sport hat das Phänomen der Inter- sexualität entdeckt. Besser gesagt: Er konnte ihm nicht mehr ausweichen.

Fast zwei Jahre später unternimmt das Internationale Olympische Komitee (IOC) nun einen neuen Versuch, einen Geschlechtstest zu etablieren. Eine Expertengruppe einigte sich auf einen vergleichsweise defensiven Ausgangspunkt: Der Verband will lediglich fest- legen, wer bei den Frauen starten darf. Bei den bisherigen Methoden hatte man den Anspruch erhoben zu definieren, wer eine Frau ist und wer nicht. "Das IOC reagiert damit auf wissenschaftliche Erkenntnisse von vor 40 Jahren", sagt Claudia Wiesemann, Professorin der Medizin an der Universität Göttingen und Expertin für ethische Fragen von Intersexualität im Sport.

Bei den Olympischen Spielen in London 2012 dürfen demnach keine Frauen mehr starten, deren Körper zu viel des männlichen Hormons Testosteron ausschütten. Frauen, die aus welchen Gründen auch immer unter Hyperandrogen- ämie leiden, sind ausgeschlossen. Die Betroffenen könnten sich behandeln lassen und anschließend zurückkehren. Das soll die Vollversammlung des IOC im Juli beschließen. Die Leichtathleten wollen die Regeln als erste aufnehmen, bereits vom 1.Mai an. "Dieser Lösung sollen sich alle internationalen Fachverbände anschließen", fordert Arne Ljungqvist, der Chef der IOC-Medizin-Kommission.

"Es wurde versucht, in einer sehr schwierigen Materie mit vielen individuellen Möglichkeiten für eine Hormon- Erkrankung, eine generelle Regelung zu finden. Keine dankbare Aufgabe", sagt der Hormon-Experte Martin Bidling- maier von der Ludwig-Maximilians- Universität München. Aus Sicht des Sports kann er den Ansatz nachvollziehen. Ist doch die Menge der männlichen Hormone hauptverantwortlich für den Leistungsunterschied zwischen Männern und Frauen.

Manche Mediziner fragen sich indes, warum dieser Ansatz nicht schon vor 30Jahren gewählt wurde, wenn das so einfach ist. Geschlechtstests für Sportler hat es früher schon einmal gegeben, doch da waren es würdelosen Kontrollen, die von Unwissenheit geprägt waren und zu Diskriminierung führten. Mitte der sechziger Jahre mussten Sportlerinnen nackt vor Ärzten auf- und abgehen, die im Zweifel per Abtasten klären sollten, ob es eine Vagina gab. Später wurde lange ein Chromosomen-Test vollzogen, der aber 1999 abgesetzt wurde, weil Zweifel an der Eindeutigkeit aufkamen, und weil der Test teuer war. Zehn Jahre lang ignorierte der Sport das Thema - bis Caster Semenya kam.

Der Sommerabend in Berlin

An dem Sommerabend, an dem die damals 18-Jährige das WM-Rennen über 800 Meter gewann, offenbarten die Leichtathletik-Funktionäre ihre Naivität. Semenya war aus dem Nichts gekommen, sie hatte einen eher männlichen Körperbau, eher männlich definierte Muskelpartien, sie lief mit kraftvoller Lockerheit dem Frauen-Feld davon. Kurz vor dem Rennen war bekannt geworden, dass sich Semenya einem Ge- schlechtstest unterziehen müsse, weil der Verdacht aufgekommen war, sie sei keine Frau. Die ganze Welt gaffte auf das Mädchen. Es wurde zur Schau gestellt. In einer turbulenten Pressekonferenz erklärte der IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss zudem: "Sollte sich herausstellen, dass Semenya keine Frau ist, wird sie von der Siegerliste gestrichen." Weiss hatte offensichtlich keine Ahnung, wie schwierig so ein Nachweis sein kann.

Leichtathletik-WM - Caster Semanya

Mit kraftvoller Lockerheit voraus: Caster Semenya bei ihrem WM-Sieg 2009 in Berlin.

(Foto: dpa)

Es dauerte länger als ein Jahr, bis Semenyas Starterlaubnis bei den Frauen bestätigt wurde. Eine Diagnose wurde nie öffentlich. "Das halte ich auch für absolut richtig. Die Privatsphäre der Läuferin muss geschützt werden", sagt Medizin-Professorin Wiesemann. Sie hält auch den neuen Test für problematisch: "Beim Umgang mit Sportlerinnen, die eventuell intersexuell sind, sehe ich große Defizite." Eine solche Diagnose könne die Athletinnen in Identitätsprobleme stürzen, das Umfeld kann sie stigmatisieren. Esmüsse eine Freiwilligkeit garantiert sein, in Deutschland und vielen anderen Ländern sei das gesetzlich fixiert. Das IOC hingegen plant vorzuschreiben: "Weigert sich eine Athletin, den Test zu absolvieren, wird sie nicht mehr an einem Wettbewerb teilnehmen können." Wiesemann spricht deshalb von "Zwangs-Tests".

Hormon-Experte Bidlingmaier dagegen sieht eher die medizinische Erkenntnis: "Für die Patientin ist es ein Vorteil, wenn sie das weiß. Hyperandrogenämie macht auf Dauer gesundheitliche Pro-bleme." Bartwuchs, Haarausfall, Unfruchtbarkeit, auch das Tumor-Risiko steige. Gegensteuernde Hormone bewirkten bei vielen Patientinnen eine relativ problemlose Senkung des Testosteronwerts. Wobei Bidlingmaier warnt: "Wenn ich einem Menschen seinen hohen Hormonspiegel von heute auf morgen wegnehme, dann spürt er das natürlich. Psychisch wie körperlich."

Doch selbst wenn die Athletinnen die Hormon-Kur gut verkraften, droht ihnen ein Leistungsschwund. "Die Patientinnen verlieren Muskelmasse. Ihre Aggressivität im Wettbewerb geht zurück", sagt Bidlingmaier. Und so weiß zwar niemand, unter welchen Bedingungen Caster Semenya wieder starten darf. Doch die Öffentlichkeit wird beobachten, ob die heute 20-Jährige wieder an ihre 1,55,45 Minuten von Berlin herankommt. Ihre Bestleistung von 2011 ist noch mehr als sechs Sekunden langsamer. Ende August möchte sie ihren Titel bei der WM in Südkorea verteidigen.

Chronologie des Falles Caster Semenya

19. August 2009, Leichtathletik-WM in Berlin: Unmittelbar vor dem Finale über 800 Meter der Frauen wird bekannt, dass der Leichtathletik-Weltverband IAAF einen Geschlechtstest bei Caster Semenya angeordnet hat. Wegen des männlichen Erscheinungsbildes der Südafrikanerin waren Zweifel an ihrem Geschlecht aufgetreten. Semenya gewinnt das Rennen überlegen. Ihre Zeit: 1:55,45 Minuten.

21. August 200 9: Der Leichtathletik-Weltverband teilt mit, dass es dauern wird, bis das Ergebnis des Geschlechtstests vorliegt. In Afrika protestieren Politiker gegen das Vorgehen der Sportfunktionäre.

25. August 2009: Semenya kehrt in ihre Heimat zurück. Südafrikas Frauenministerin versichert ihr bei dem Anlass: "Wir stehen hinter Dir!"

11. September 2009: Die australische Zeitung "Daily Telegraph" berichtet, Semenya sei ein Zwitter. Die IAAF bestätigt das nicht.

13. September 2009: Es wird bekannt, dass der südafrikanische Leichtathletik-Verband (ASA) bereits Anfang August in Pretoria einen Geschlechtstest veranlasst haben soll. Dabei sei Semenya nicht über den Zweck der Untersuchung aufgeklärt worden. Sechs Tage später bestätigt die ASA die Untersuchung. Der Verband räumt weiter ein, den Rat der eigenen Mediziner ignoriert zu haben. Diese hatten empfohlen, Semenya in Berlin nicht laufen zu lassen.

5. November 2009: ASA-Präsident Chuene muss wegen seiner Rolle im Fall Semenya abtreten.

19. November 2009: Das südafrikanische Sportministerium teilt mit, dass Semenya den WM-Titel und die 60000 Dollar WM-Prämie behalten darf.

15. Januar 2010: Das Nationale Olympische Komitee von Südafrika erteilt Semenya Startverbot. Bis die IAAF-Untersuchung ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht abgeschlossen ist, muss sie pausieren.

6. Juli: 2010: Der Leichtathletik-Weltverband teilt mit, dass Semenya wieder uneingeschränkt an internationalen Wettkämpfen teilnehmen darf.

15. Juli 2010: Semenya gibt in 2:04,22 Minuten ihr Comeback bei den Lappeenranta Games in Finnland.

22. August 2010: Semenya startet beim Istaf in Berlin und gewinnt in 1:59,90 Minuten.

5. April 2011: Das Internationale Olympischen Komitee (IOC) kündigt an, als Konsequenz aus dem Fall Semenya neue Geschlechtstests einführen zu wollen. Maßgeblich, ob eine Athletin bei den Frauen starten darf, soll ihr Hormonspiegel sein. Wer einen übernatürlich erhöhten Androgen-Level aufweist, also zu viele männliche Hormone, soll nicht starten dürfen. Die Regel soll im Juli beschlossen werden.

12. April 2011: Der Leichtathletik-Weltverband kündigt an, die neue Regel ab 1. Mai einzuführen.

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