Geschlechterdebatte im Tennis:Warum sollten Frauen weniger verdienen?

Tennis Australian Open 2016

Gruppenbild mit Zeichentrick-Helden: Milos Raonic (v. l.), Caroline Wozniacki, Roger Federer, Lleyton Hewitt, Novak Djokovic und Victoria Azarenka beim gemeinsamen Posieren.

(Foto: Made Nagi/dpa)

Die Preisgeld-Debatte im Tennis nimmt absurde Züge an. Dabei kann sich gerade der Tennis-Zirkus leisten, eine Vorbildrolle zu übernehmen.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Die neueste Verästelung dieser plötzlich aufgeploppten Wer-soll-mehr-verdienen-Tennis-Debatte ist bei Twitter zu bestaunen. Zwei Spieler giften sich an. Der eine schreibt, bei dir sehen eh keine Fans zu. Der andere patzt zurück, wo waren bei mir leere Plätze? Der eine fragt zynisch, er verstehe diesen Universitäts-Vergleich des anderen nicht: Wer den Abschluss an einer guten Uni schafft, sollte definitiv mehr verdienen als jemand mit Abschluss an einer weniger guten Uni?

Der andere erwidert: Du hältst es für lächerlich, dass Leute mit besserem Abschluss mehr verdienen sollen? Den besten Kommentar des Zwists zwischen dem Weltranglisten-Zweiten Andy Murray und Profi-Kollege Sergej Stachowski warf ein User ein, der fragte: "Hey, Leute, wollt ihr eine Pizza? Ich hab Hunger."

Unterhaltsam, ja, das war der Dialog. Und Murray verdient Respekt, dass er sich mühte, Stachowksi in den Schwitzkasten zu nehmen. Der Ukrainer fiel schon oft mit kruden, gar verachtenden Ansichten auf; erst im Sommer 2015 meinte der 30-Jährige, er werde seine Tochter nicht auf die Frauentour schicken, weil dort jede Zweite lesbisch sei. Einen Unbelehrbaren zu belehren, ist kaum möglich. Das Erstaunliche ist nur, dass es noch einige von dieser Spezies im Welttennis offenbar gibt, die glauben, Frauen sollten bei den großen Turnieren mit Männern weniger verdienen - weil sie Frauen sind. Novak Djokovic, der Beste der Zunft, tat sich keinen Gefallen mit einigen Sätzen.

Vielleicht wollte er am Sonntag wirklich nur sagen, wir Männer wollen mehr Preisgeld, Tennis ist ein globaler Faktor im Sport, dies und jenes ist unser Beitrag. Weil er aber diese Sicht in Zusammenhang mit den Leistungen der Frauen stellte, hagelte es berechtigte Kritik. Dabei hätte Djokovic gewarnt sein müssen. Noch vor seinem Finalsieg in Indian Wells hatte sich der dortige Turnierchef den Zorn zugezogen, weil er ernsthaft meinte, die Frauen sollten auf die Knie gehen und dankbar sein, dass es Federer und Nadal gebe; Raymond Moore trat zurück.

Djokovic hat, sicher gut beraten, reagiert, sich entschuldigt und seine Äußerungen - etwa, dass Frauen mit Hormonen zu kämpfen hätten - auf, naja, "Euphorie und Adrenalin" nach dem Finalerfolg zurückgeführt. Man kann davon ausgehen: Der Serbe wird diesen Unforced Error nicht wiederholen. Schließlich ist es so, wie Martina Navratilova ihm in der ersten Erregung zurief: "So sehr ich Novak Djokovic liebe, er versteht einfach nicht, warum Frauen und Männer das Gleiche verdienen müssen, wenn sie in kombinierten Turnieren antreten. Ich dachte, wir hätten das Thema längst abgehakt."

Schon Agassi sagte: "Wir alle wissen, wir sind überbezahlt"

Zumindest seit 2007, seit alle vier Grand Slams das gleiche Preisgeld ausschütten. Wenn Djokovic indes meint, der freie Markt solle die Verteilung regeln, liegt er richtig - und doch falsch. Zum einen betrifft das gleiche Preisgeld ja keineswegs alle Turniere, sondern nur Blockbuster mit Strahlkraft. Da wäre es ein fatales Zeichen, die Gleichbehandlung zu stornieren. Zum anderen kann es sich gerade der Tenniszirkus leisten, gesellschaftliche Vorbildfunktion zu übernehmen.

Schon Andre Agassi sagte 2001, als der Stachowski von damals Jewgeni Kafelnikow hieß: "Wir alle wissen, wir sind überbezahlt." Überdies: Ist Serena Williams nicht unbestritten ein Segen für die Branche? Sie interessiert locker zehnmal mehr als Stachowski. Das Frauen- und das Männer-Tennis sind so eng miteinander verwoben, wie es das selten gibt im Sport. Jeder Erfolg des anderen vitalisiert den Sport an sich. Dass WTA und ATP gesondert voneinander Statements abgeben und eigenes Marketing betreiben, zeigt aber auch, dass man trotz des Schulterschlusses in der Causa Preisgeld gerne noch enger kooperieren kann.

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