Geschichten aus der Regionalliga:Im Goldfischbecken

Geschichten aus der Regionalliga: Als eine große Karriere bevorzustehen schien: Der in Nürnberg geborene Sercan Sararer im Oktober 2012 im WM-Qualifikationsspiel gegen Rumänien.

Als eine große Karriere bevorzustehen schien: Der in Nürnberg geborene Sercan Sararer im Oktober 2012 im WM-Qualifikationsspiel gegen Rumänien.

(Foto: imago)

Der frühere türkische Nationalspieler Sercan Sararer soll Tabellenführer Türkgücü nach dem geplanten Aufstieg tragen - und seine Karriere wieder beleben.

Von Thomas Gröbner

Der Weg zurück zum Fußball war für Sercan Sararer erst einmal keine Angelegenheit für seine schnellen Beine, sondern für seinen Kopf. "Eine Überwindung" sei es gewesen. Vierte Liga, er? Der Gedanke pikste ihn. Qua Selbstverständnis gehört Sarerer, 30, fußballerisch schließlich in höhere Sphären als jene, in der sein neuer Verein Türkgücü München unterwegs ist, nämlich in der Regionalliga Bayern. "Da sind nicht mal Tribünen", klagt Sararer. Aber irgendwann reifte die Erkenntnis: "Man muss einen Schritt zurückgehen, damit es nach vorne geht." Und so verkündete der Tabellenführer stolz, dass ab 18. Januar Sararer, der in seiner Vita immerhin 35 Bundesligaspiele, 129 Zweitligaspiele und zwölf Länderspiele für die Türkei stehen hat, zum Team gehören wird. Der Aufstieg in die dritte Liga ist bei acht Punkten Vorsprung eingeplant, und Sararer soll dann auch eine Liga höher helfen - wenn er wieder vollends bei Kräften ist.

Zuletzt quälten Sararer seltsame Schmerzen und die Ungewissheit. Vier Operationen an den Adduktoren hatte er über sich ergehen lassen müssen, lange konnten ihm die Ärzte nicht sagen, woher die Beschwerden kamen. Der jüngste Eingriff war im Juli, danach kam die Reha und die Frage, wie es weitergehen soll, "eine eklige Zeit". Sararer wusste ja selbst nicht, "ob der Körper noch mitmacht". Mit seinen 30 Jahren ist Sercan Sararer immer noch ein junger Mensch, aber für einen Fußballer ist er in einem Alter, in dem die Jahre knapp werden. Und egal wie schnell seine Füße ihn auch tragen, der schwindenden Zeit kann auch Sararer nicht davonlaufen. Aber das Ende, das soll es auch noch nicht gewesen sein.

Sararer galt als eine der Attraktionen beim Aufsteiger Fürth

Als Sararer 2008 im Profifußball auftauchte, bei der SpVgg Greuther Fürth, da fiel er bald auf, mit seinen schnellen Dribblings und seinem wilden Drang zum Tor, selten nahm er dabei Umwege in Kauf. Seine Kreativität und sein Offensivdrang führte Fürth 2012 in die Bundesliga, er schoss neun Tore und bereitete 13 Treffer vor. Seine Kollegen fuhren in den Urlaub und feierten, Sararer debütierte derweil in der türkischen Nationalelf. Zwölfmal spielte der in Nürnberg geborene Sararer für die türkische Auswahl, die Istanbuler Klubs Galatasaray und Fenerbahce buhlten um ihn. Er galt als eine der Attraktionen einer jungen Fürther Mannschaft, er sollte helfen, die SpVgg in der Liga zu halten. Doch es gelang nicht. Fürth sei ein Goldfisch im Haifischbecken gewesen, so packte es Geschäftsführer Holger Schwiewagner in eine Fabel. Und vielleicht ist Sararer einer, der sich im Goldfischbecken wohler fühlt als unter Haien. "Wenn ich eine Vertrauensbasis spüre, dann bin ich locker", sagt er einmal, als Mike Büskens den Angreifer in der Aufstiegssaison hegte und pflegte, "dann mach' ich mein Ding."

In Fürth gaben sie ihm dieses Vertrauen, doch Sararer hörte nicht auf das Werben des Vereinspatriarchen Helmut Hack, der ihn damals halten wollte und später zugab, noch nie so sehr gekämpft zu haben wie um den Spieler Sararer. Dieser verließ den Ort, an dem er zum Bundesligaspieler gereift zu sein schien, und wechselte zum VfB Stuttgart - er wollte im Haifischbecken bleiben. Doch in Stuttgart schien er die Leichtigkeit seiner Jahre in Fürth verloren zu haben, selten bekam er das Vertrauen, 438 recht folgenlose Minuten spielte er und blieb ohne Tor. Er wechselte nach Düsseldorf, spielte ordentlich, aber trotzdem war plötzlich kein Platz mehr für Sararer: "Ich weiß nicht, warum es damals nicht weiterging." Es kam ein neuer Trainer, Sararer musste gehen. "Blöd gelaufen", sagt er heute.

Er kehrte dahin zurück, wo er immer gewollt war - nach Fürth. "Richtig weg habe ich mich nie gefühlt", sagte er bei seiner Ankunft. In Fürth bemühten sie sich damals gerade darum, endlich den Platz eins in der ewigen Tabelle der zweiten Liga zu erklimmen, von einem Aufstieg in die erste Liga war da schon länger nicht mehr die Rede, man richtete sich ein in der Gegenwart, an seine Vergangenheit konnte Sararer hier nicht mehr anknüpfen. Auch, weil er fast eine komplette Saison verpasste in den zwei Jahren nach seiner Rückkehr, die Adduktorenverletzung setzte ihm zu, und nach dem Fast-Abstieg 2018 trennte sich Fürth von vielen Spielern, auch von Sararer. Kurz versuchte es Sararer beim Karlsruher SC in der dritten Liga, doch die Schmerzen begleiteten ihn auch hier. Als er beim lockeren Fußballtennis den Ball nicht mehr hochhalten konnte, da dachte er ans Karriereende. Doch am Ende quälte er sich durch die Reha und drehte einsam seine Runden.

"Du läufst und läufst", sagt Sararer, und das schlimmste: "Du weißt nicht, wohin."

Sararer hatte plötzlich viel Zeit zum Nachdenken, dabei, sagt er, lerne man, die Dinge realistisch zu sehen. Dass die vierte Liga eben auch eine Chance ist, dass es schön ist, wieder "unter Leuten zu sein". Auch wenn er über seinen neuen Verein Türkgücü bis vor Kurzem eigentlich nichts gewusst habe. Sararer sagt aber auch: "Ich will wieder dorthin, wo ich schon einmal war." Mindestens in die zweite Liga also. Das Gute ist, dass dorthin auch Türkgücü will.

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