Geschichten aus der Regionalliga:Höhenflug mit Unruhe

Benjamin Baier blau Viktoria Aschaffenburg Marco Holz weiss SV Türk Gücü Ataspor Fussball; Benjamin Baier

Gesicht des Aschaffenburger Aufschwungs: Benjamin Baier, Zugang von Rot-Weiß Essen.

(Foto: Lackovic/Imago)

Viktoria Aschaffenburg ist erfolgreich, streitet aber um die Ausrichtung: Welche Position der Klub künftig einnehmen will, entscheidet sich nicht auf dem Platz.

Von Sebastian Leisgang

Eigentlich könnte man meinen, die Aschaffenburger Welt wäre in Ordnung. Die Viktoria hat die jüngsten fünf Spiele gewonnen, sie hat ihre Fans in diesen fünf Spielen mit außergewöhnlich attraktivem Fußball unterhalten, sie hat 14:2 Tore geschossen, und sie ist im vorletzten dieser fünf Spiele mit einem unerwarteten Sieg gegen den FC Schweinfurt 05 ins Halbfinale des Landespokals eingezogen und könnte sich erstmals seit knapp drei Jahrzehnten für den DFB-Pokal qualifizieren.

Was also ist das Problem? Was ist geschehen, dass die Aschaffenburger Welt dieser Tage eher weniger in Ordnung ist? Dass sie, genau genommen, ziemlich aus den Fugen geraten ist?

Eigentlich sei er ganz entspannt, sagt Holger Stenger. Dann gibt er schließlich doch zu: "Okay, das ist gelogen, ich bin natürlich traurig. Aber ich renne jetzt auch nicht in die Wüste." Stenger, 57, ist der Vorstandssprecher der Viktoria. Oder besser: Er war es. Am Dienstagabend hat Stenger seinen Posten ebenso niedergelegt wie Stefan Sickenberger, das zweite Mitglied des Vorstands. Weil nur Manfred Fleckenstein sein Amt, zumindest vorerst, fortführt, muss der Verein nun ein Interimsgremium zusammenstellen und in den nächsten Wochen jene Mitgliederversammlung abhalten, die eigentlich schon am Dienstagabend hätte stattfinden sollen.

All das geht auf einen Zwist zurück, den Stenger und der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Gerhard Rienecker, als Hauptdarsteller austragen. Stenger möchte den Verein Schritt für Schritt voranbringen - "auch weil ich die Geschichte der Viktoria kenne", wie er sagt. Stenger hat noch im Hinterkopf, dass der Klub vor zehn Jahren Insolvenz angemeldet und 2011 noch in der Landesliga gespielt hat. Er sagt sich deshalb: nichts überstürzen, alles mit der Ruhe. Rienecker hingegen, Geschäftsführer des Hauptsponsors, wolle lieber heute als morgen professionellen Fußball am Schönbusch sehen, also den Aufstieg in die dritte Liga anpeilen. Er finde: Der Vorstand steht mit seiner zurückhaltenden Art einer erfolgreichen Zukunft des Klubs im Weg.

"Wir sind nicht kompatibel", sagt Stenger, "wir haben andere Vorstellungen. So hat sich über Monate ein Verhältnis aufgebaut, das eigentlich keines ist. Die Viktoria war mein Baby, ich habe mein ganzes Leben nach dem Verein ausgerichtet, aber jetzt habe ich keine Lust mehr." Jetzt geht er - just in einer Phase, in der die Mannschaft so erfolgreich ist wie noch nie in der Regionalliga Bayern.

Aschaffenburg steht auf Platz vier und ist damit "über dem Soll", wie Trainer Jochen Seitz sagt. Seit etwas mehr als drei Jahren, seit der frühere Bundesligaspieler am Schönbusch das Sagen hat, geht es bergauf. Erst der Aufstieg in die Regionalliga, dann der Klassenverbleib und nun also dieser Höhenflug, den auch Seitz selbst "überraschend" nennt - allerdings nicht, ohne die Ursachen hervorzuheben: Er habe einen "ausgeglichenen Kader", in dem sich "keiner ausruhen" könne, die Mannschaft arbeite Einheit für Einheit "sehr konzentriert", mittlerweile verdiene selbst "das Spiel mit Ball" das Prädikat "gut".

All das hängt auch mit Benjamin Baier zusammen, dem Rückkehrer aus Essen, der dem Team im zentralen Mittelfeld Halt gibt und gerade in den vergangenen Wochen vorangegangen ist. "Er ist ein Führungsspieler, wie man ihn sich wünscht", sagt Seitz, "er ist derjenige, der das Heft in die Hand nehmen kann und Aggressivität in unser Spiel bringt."

Hatte die Mannschaft in der vergangenen Saison als Regionalliga-Neuling womöglich noch "zu viel Respekt", wie Seitz glaubt, so ist sie nun, mit Baier, selbst in der Position, ihren Gegnern Respekt abzunötigen. An den nächsten beiden Samstagen stehen der Viktoria Duelle mit Teams aus der zweiten Tabellenhälfte bevor: mit der zweiten Mannschaft des FC Augsburg und dem FV Illertissen. Es ist also nicht auszuschließen, dass der Siegeszug der Aschaffenburger anhält.

Seitz aber sagt: "Wir wissen das alles richtig einzuschätzen. Die Position, die wir momentan haben, ist super, wir genießen das auch, aber es können auch wieder andere Phasen kommen." Welche Position die Viktoria in den kommenden Jahren einnehmen will, entscheidet sich ohnehin nicht auf dem Platz.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: