Gescheitertes Talent Sebastian Glasner:"Die wissen alle gar nicht, was sie mir angetan haben"

Lesezeit: 3 min

  • Sebastian Glasner spielte mit Mario Gomez und Lukas Podolski in der U-19-Nationalmannschaft.
  • Sein Weg in die Bundesliga scheiterte zweimal aus unterschiedlichen Gründen.
  • Der Fall zeigt, dass nur wenige im Fußballgeschäft den Sprung in die Elite schaffen.

Von Thomas Gröbner

Es ist vielleicht sein schönstes Tor, nie zuvor haben so viele Menschen wegen ihm gejubelt, und auch danach nie wieder. Als Sebastian Glasner einem gewissen Willy Sagnol den Ball abluchst und über den herausstürzenden Michael Rensing ins Tor des FC Bayern München hebt, brüllen 25 000 Menschen in Darmstadt in einem Stadion, in dem nur 20 000 Platz haben. Das Benefizspiel rettet den SV Darmstadt 98 im Jahr 2008 vor der Insolvenz. Heute spielt Darmstadt in der Bundesliga. Sebastian Glasner nicht - was viel mit dem SV 98 zu tun hat.

Es gibt ein Video auf Youtube mit Sebastian Glasners besten Momenten, knapp 900 Menschen haben es angesehen. Das ist wenig in Zeiten, in denen 18 Millionen zuschauen, wie eine übel gelaunte Katze gestreichelt wird. Meist sieht man Glasner in dem Video mit Carsten-Jancker-Gedächtnis-Frisur im Fünfmeterraum hochspringen, die Gegner purzeln herum, der Ball trifft auf seinen kahl rasierten Kopf, dann ins Netz. Eine Endlosschleife. Doch zum Ende hin werden die Tore weniger, dann schafft es auch eine Szene, in der er vom Torwart angeschossen wird, in die Auswahl seiner besten Momente. Der Ball hoppelt neben dem Tor vorbei, knapp.

Flaute nach langer Zeit beendet

Jetzt, seit langer Zeit, hat Glasner wieder das Tor getroffen, in der 92. Minute glich er bei seinem ersten Einsatz für die SpVgg Bayreuth zum 2:2 gegen Schweinfurt aus. Mit dem kahlen Kopf, natürlich. "Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt der 30-Jährige über die vergangenen vier Monate, in der er in der Reha nach einer Bänderverletzung schuftete und einen neuen Verein suchen musste, weil der Drittligist Chemnitzer FC ihn nicht mehr haben wollte.

DFB-Spieler Thomas Müller
:Der die Bälle riecht

Aus null Chancen macht Thomas Müller gegen Schottland zwei Treffer: Seit der FC Bayern ein horrendes Angebot von Manchester United ablehnte, hat der Stürmer seine Quote noch gesteigert.

Von Philipp Selldorf

Die Bayreuther gaben ihm trotz seiner Verletzung eine Anstellung als Profi. Ein ungewöhnlicher Vertrauensvorschuss für jemanden, der in den vergangenen zehn Jahren für zehn Vereine spielte und zuletzt fast alle sechs Monate wechselte.

Dabei gab es eine Zeit, da wollte Thomas Doll Glasner in Hamburg haben und Christoph Daum ihn in Köln. Es war eine Zeit, in der sich fast quadratische Stürmer in der Bundesliga ins Getümmel warfen und die Bälle hoch in den Strafraum gesegelt kamen, Glasner bei der U19-Nationalmannschaft zusammen mit Lukas Podolski und Mario Gomez stürmte und gegen Schottland und Frankreich traf.

Es hätte Glasners Zeit werden können. Hamburg fragte an, doch Glasner wollte beim 1. FC Nürnberg den Durchbruch zu den Profis schaffen. Und wieso sollte sein Heimatverein den Jung-Nationalspieler nicht zu den Profis holen, dachte er sich. Sein Nein zum HSV war ein Fehler, sagt er heute, "eine Scheißzeit" hatte er danach.

Glücklich war er erst wieder in Darmstadt, wo er in der Oberliga 21 Mal traf. Dann öffnete sich ein zweites Mal die Tür in die Bundesliga: Der 1. FC Köln legte 2008 ein Angebot vor. "Eine faire Summe für einen Spieler, der noch nichts erreicht hat", sagt Glasner. Darmstadt aber versuchte, sich mit der Ablösesumme zu sanieren, so vermutete es der Stürmer.

Der Deal scheiterte an der hohen Forderung: "Die wissen alle gar nicht, was sie mir angetan haben." Danach trifft er im Benefizspiel, die Einnahmen bescheren Darmstadt das Überleben, nun kann Glasner doch gehen, zu Aue, dritte Liga. Die Tür in die Bundesliga bleibt für ihn für immer verschlossen.

Glasner wechselt viel

Er spielt für Cottbus, Burghausen, Bielefeld - und trifft plötzlich das Tor nicht mehr. Bei Viktoria Köln, in der Saison 2013/14, übergießen die eigenen Fans ihn mit Hohn und Spott. "Es ist schade, dass auf einen Mann eingetreten wird, der bereits am Boden liegt", sagt Trainer Claus-Dieter Wollitz.

In Chemnitz ist für ihn plötzlich kein Sitz im Flieger fürs Trainingslager in der Türkei mehr frei. Auf Ebay wartet eine Autogrammkarte von Glasner seit eineinhalb Jahren auf einen Käufer, Preis für das signierte Foto: ein Euro.

"Man muss manchmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um in der Bundesliga zu spielen", hat Glasner festgestellt - er war immer ein wenig zu spät. Aber nun scheint es, als habe er zumindest einen passenden Ort für sich selbst gefunden.

"Ich hätte noch ein, zwei Jahre in der zweiten oder dritten Liga rumgurken können", meint Glasner. Doch in Bayreuth spürte er, was er lange vermisste: Vertrauen. Er ist der Wunschspieler von Trainer Christoph Starke. Und der wusste, wo er sich nach dem glücklichen Unentschieden bedanken musste: "beim Herrgott" - und bei Sebastian Glasner.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Qualifikation zur Fußball-EM
:DFB-Elf wörnst nicht mehr

Früher rumpelte sich die Nationalmannschaft zu Siegen, später galt sie als Schönwetter-Team. Doch nun zeigt die DFB-Elf einen historisch bemerkenswerten Stilmix.

Kommentar von Christof Kneer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: