Gerechte Punkteteilung:Noch zu grün

Gerechte Punkteteilung: Aufgesessen zum Zweikampf: Leipzigs Fernandes da Silva setzt auf Leon Baileys Rücken zum Kopfball an.

Aufgesessen zum Zweikampf: Leipzigs Fernandes da Silva setzt auf Leon Baileys Rücken zum Kopfball an.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Beim faszinierenden Duell zwischen Leverkusen und Leipzig spielt der Gastgeber trotz eines Feldverweises so, als sei er in Überzahl - und verdient sich nach zweimaligem Rückstand noch ein 2:2.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Es gibt Unentschieden mit Gewinnern und Punkteteilungen mit Verlierern. Das 2:2 (1:1) zwischen Leverkusen und Leipzig brachte es fertig, dass beide Lager sich freuen konnten - und ärgern mussten. Einen klaren Nutznießer gab es dennoch: das Publikum, das einen fußballerisch anspruchsvollen und dramaturgisch ansprechenden Nachmittag erlebte. "Die Zuschauer haben ein tolles, sehr intensives Spiel gesehen", sagte Leipzigs Coach Ralph Hasenhüttl, bevor er kritisch anmerkte: "Vor dem Spiel wäre ich mit einem Punkt zufrieden gewesen - jetzt tue ich mich etwas schwer damit." Deutlich positiver fiel die Bilanz von Leverkusens Trainer Heiko Herrlich aus, der "eine tolle Leistung und eine tolle Moral" seiner Elf erlebt hatte. Sein Torschütze Kevin Volland haderte allerdings, dass Bayer mehr Chancen gehabt habe und "der Sieg trotz Unterzahl möglich und durchaus verdient" gewesen wäre.

Die Bundesliga ist ein Lager der Tüftler geworden, in der die Trainer versuchen, den Gegenüber auszufuchsen. "All in", hatte Herrlich seine gewagte Poker-Taktik vor dem Spitzenspiel gegen RB Leipzig genannt. Er setzte hinten auf eine Dreierkette und auf fünf offensiv denkende Spieler - mit der Pointe, dass die Außen, Admir Mehmedi (rechts) und Leon Bailey (links), sich bei Ballbesitz der Gäste so weit zurückfallen ließen, dass man es dann doch mit einer eher konventionellen, wenn auch unerwarteten Fünferkette zu tun hatte.

Dieser taktische Kniff entpuppte sich defensiv als gelungen, weil Leipzig in der kompletten Spielzeit aus dem Spiel heraus nur zu einer klaren Chance kam - aber offensiv beraubte sich der Werksklub in der ersten Halbzeit einiger Stärken. Erstens weil Bailey nicht ins Spiel fand. Und zweitens weil Mehmedi mit seiner Rolle von Beginn an überfordert war. Kein Wunder, dass es der Schweizer war, der den ersten Gästeelfmeter verursachte. Nach einem Leipziger Angriff über Timo Werner bediente der omnipräsente Stürmer Marcel Sabitzer, den Mehmedi nicht anders zu fassen bekam als durch einen ungeschickten Griff zum Trikot. Werner nutzte den Strafstoß zur frühen Gästeführung (13. Minute).

Ausgleich fast aus dem Nichts

Fast eine Halbzeit lang ging das Konzept von Hasenhüttl perfekt auf. Leverkusen kam nicht hinter die Linien des Gegners, also überhaupt nicht gefährlich vors Tor. Und auf der linken Seite winkte Bailey, als sei er ein Linienrichter ohne Fahne, weil er auf Bälle wartete und auf sich aufmerksam machen wollte. 38 Minuten lang vergeblich, weil im Bayer-Angriff nichts funktionierte. Dann aber gelang Linksverteidiger Wendell ein erstes dynamisches Dribbling, durch drei Leipziger hindurch, sowie ein wunderbarer Pass genau in den Lauf von Julian Brandt. Der tauchte somit frei vor dem Gästetor auf, guckte auch Torwart Peter Gulacsi aus - schob den Ball aber haarscharf rechts am Tor vorbei.

Als wäre diese Szene kollektiv ins Kleinhirn der Werkskicker übertragen worden, suchten die Gastgeber baldmöglichst wieder den Weg durch die Mitte. Als Leipzigs Keita nach einem (fairen) Zweikampf mit Aránguiz auf dem Boden liegen blieb, spielte Bayer 04 weiter, Dominik Kohr steckte den Ball gekonnt in die Spitze, wohin sich zum Erstaunen der Gäste Bailey geschlichen hatte und mit dem linken Außenrist zum 1:1 einschob.

Volland in stabiler Luftseitenlage

Nach dem Wechsel musste Mehmedi in der Kabine bleiben, doch sein Ersatz durfte nicht einmal zehn Minuten mitwirken: Nach einer Unsicherheit von Keeper Bernd Leno, der einen Schuss nach vorne abprallen ließ, klärte Benjamin Henrichs mit dem Ellbogen auf der Torlinie (52.). Auf den korrekten Elfmeterpfiff des überzeugenden Schiedsrichters Harm Osmers folgte die rote Karte gegen Henrichs und dann das 1:2 durch Emil Forsberg (54.). Hasenhüttl wechselte offensiv (Augustin für Keita, 55.), doch anschließend konnte man sehen, "dass uns noch etwas fehlt", wie der Trainer zugab: "Wir haben zuletzt häufiger in Unterzahl gespielt, aber heute waren wir zu grün in Überzahl. Wir haben dem Gegner nicht genügend Aufgaben gestellt und waren nicht abgeklärt genug."

Man könnte es auch positiv schildern: Leverkusen ging nun wirklich "All In", hängte sich auf beeindruckende Art rein und setzte den Gegner so stark unter Druck, dass man glauben konnte, die Werkself dürfte in Überzahl agieren. Klare Chancen gab es zwar nur wenige (Volland und Havertz, 57.), aber die Intensität der Gastgeber hatte etwas Einschüchterndes. Insofern war es verdient, dass die Drangperiode belohnt wurde. Ein Eckball trudelte nach einem abgefälschten Schussversuch von Lars Bender durch den Fünfmeterraum der Gäste. Dort, ungefähr in einer Höhe von einem Meter, erwischte Kevin Volland die Kugel sehenswert in stabiler Luftseitenlage volley und sorgte mit dem 2:2 für ein Ergebnis, "mit dem wir gut leben können" (Bender), während der ehemalige Leverkusener Kevin Kampl klagte: "Das war bitter. Da war mehr drin." Das stimmt. Aber auch so war es für die meisten Beobachter mehr als genug.

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