Zum Tod von Gerd Müller:Der Mann mit den goldenen Beinen

Auf dem Feld ahnte Gerd Müller immer, wo das Tor steht, abseits des Rasens wusste er nicht immer genau, wohin mit sich. Bilder eines Menschen, der sich im Strafraum so geborgen fühlte wie kaum einer vor ihm.

Carsten Scheele

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Gerd Müller wird 70

Quelle: dapd

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Ohne Uli Hoeneß nahetreten zu wollen, aber den besten Vertrag in der Geschichte des FC Bayern hat ein anderer ausgehandelt. Gerd Müller bekam zu Beginn seiner Zeit ein sattes Monatsgehalt von 160 Mark - so wenig Geld, dass er sich als Möbelpacker noch etwas dazuverdienen musste. Im Grunde ist das die größte Frechheit der Bundesligageschichte, denn die Verantwortlichen des Klubs hatten damals zumindest eine Ahnung, was dieser Müller zu leisten im Stande war: Für seinen kleinen Heimatverein, den TSV 1861 Nördlingen, hatte er in einer Saison 197 Tore (in Worten: einhundertsiebenundneunzig) geschossen. Den wollten sie haben, beim FC Bayern - und sie bekamen ihn.

Und sie behielten ihn: 15 Jahre stürmte Müller für den FC Bayern und war damit maßgeblich am Aufstieg des Klubs beteiligt. Müller wurde sieben Mal Torschützenkönig, schoss 365 Tore, 40 davon allein in der Saison 1971/72, dazu 78 Tore im DFB-Pokal, 68 in der Nationalmannschaft. Erst 2014 überholte ihn Miroslav Klose in der DFB-Rangliste, brauchte dafür aber mehr als doppelt so viele Spiele.

Er setzte damit über Jahre Superlative. "Ohne ihn wäre der Verein nicht das, was er heute ist", ließ Franz Beckenbauer anlässlich Müllers 65. Geburtstags verbreiten. Paul Breitner sagte dazu ein wenig schnoddriger: "Seien wir doch mal ehrlich: Das damals, das war alles der Gerd!"

Gerd Müller in der Umkleide 1966

Quelle: imago sportfotodienst

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Sein Spitzname "der Bomber" ist der eine; "kleines dickes Müller" der andere. Als er mit 19 beim FC Bayern aufschlug, klagte sein Trainer Tschik Cajkovski fassungslos: "Was soll ich mit diesem Jungen? Diese Figur, unmöglich." Bei soliden 1,76 Metern Körpergröße brachte Müller beachtliche 80 Kilo auf die Waage, an seinen eindeutig zu kurzen Oberkörper schlossen sich so wuchtige Oberschenkel an, dass sich Cajkovski schlicht nicht vorstellen konnte, dass sich dieser Müller (im Bild 1966) gerade auf zwei Beinen hätte bewegen können.

Gerd Müller

Quelle: dpa

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Es ist immer wieder dieser Jubel, der Gerd Müller, damals 29, auf den Schultern seiner Mitspieler und in den Armen von Bundestrainer Helmut Schön zeigt. Es lief die 43. Spielminute des emotionalen WM-Endspiels von 1974 gegen die Niederlande, als Müller zur Tat schritt: Müller kam im Strafraum an den Ball, überall herrschte Getümmel - und er brachte ihn trotzdem im Tor unter. Das 2:1 bescherte Deutschland den WM-Titel und Müller die Ehre, maßgeblich am zweiten WM-Sieg seines Landes beteiligt gewesen zu sein.

Es war ein Treffer, wie er typischer nicht hätte fallen können. Müller war ohnehin kein Mann der schönen Tore, kein Mann des Schnörkels oder der Kunststücke. Er traf im Liegen, im Fallen, im Laufen - und mit beinahe jedem Körperteil, mit dem sich ein Tor erzielen lässt. Seine Maxime: "Nicht einfach draufhauen, man muss den Ball auch mal schieben oder lupfen. Kleine Tore zählen auch." Das riet Müller als Ko-Trainer den Stürmern bei der zweiten Mannschaft der Bayern noch lange Jahre nach der aktiven Karriere.

Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, 1974: Finale - Deutschland gegen Niederlande   2 : 1

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Das 2:1 gegen Oranje in der Entstehung: Rainer Bonhoff brachte den Ball auf der rechten Seite nach vorne - in den Worten des Kommentators klang das so: "Schon ist der Ball im Sechzehnmeterraum gelandet, spitzer Winkel zum Tor. Da kommt der Ball auf Müller, der dreht sich, um die eigene Achse und Toooooor!" Weder Verteidiger Ruud Krol (Nummer 12), noch Torwart Jan Jongbloed können den Schuss von Müller (rechts am Bildrand) verhindern. "Klar ist mir der Ball versprungen", sagte Müller später über die Ballannahme. "Aber hätte ich ihn perfekt gestoppt, wäre am Ende ein Verteidiger noch rangekommen."

Was folgte, war genau so charakteristisch wie seine Tore: Nämlich sein Torjubel. Müller sah den Ball ins Tor rollen, er machte stets ein paar Schritte nach vorne, hüpfte in die Luft, rannte weiter, sprang noch einmal - dann blieb er stehen, um sich breit ginsend den Jubel seiner Mitspieler abzuholen.

Gerd Müller

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Laute Töne - wie im aufgeregten Umfeld des FC Bayern so häufig - vernahm man von Müller selten. "Das Reden überlasse ich lieber anderen", sagte er einmal. Wie gut, denn beim FC Bayern gab es seinerzeit ohnehin genügend Lautsprecher - allen voran Franz Beckenbauer, die Gebrüder Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge oder Paul Breitner.

Müller scheute die Öffentlichkeit, er hasste Mikrofone und scheute Journalisten. Das ist eigentlich sympathisch für einen, den jeder Fußballfan kannte und der Millionen von kleinen Kindern inspirierte, auch ein Bomber werden zu wollen.

Nur einmal, da wurde er überredet - zur Aufnahme einer Schallplatte, wie es damals so üblich war. Auf dem Plattencover trug er eine Krone, in der Hand ein Zepter und sang 1969 die fragwürdigen Zeilen: "Dann macht es bum, ja und dann kracht's, und alles ruft, der Müller macht's." Später verzichtete Müller auf derlei Honorationen.

Gerd Müller

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Seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft hatte Müller bereits in der Nacht nach dem WM-Finale 1974 verkündet - über seine Frau, er selbst hatte dazu keine Lust. Seinen FC Bayern verließ er erst 1979, nach zwei weiteren Landesmeistertiteln und dem Gewinn des Weltpokals. "Servus, Gerd", stand auf der Anzeigetafel des Münchner Olympiastadions geschrieben - Gerd Müller verzog keine Miene.

Das hatte seine Gründe, denn Müllers Abschied aus München war kein harmonischer. Mit dem Kapitän Müller drohte der FC Bayern das Saisonziel zu verpassen, der Klub bot ihm nur noch einen stark leistungsorientierten Vertrag an - und Müller kündigte seinen Rücktritt an. Wie Beckenbauer wechselte Müller noch einmal in die USA, zu den Fort Lauderdale Strikers, wo er 1982 seine Karriere endgültig beendete. Er versuchte anschließend in den USA ein Restaurant zu betreiben - jedoch ohne Erfolg.

Gerd Müller

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Seine schwerste Zeit begann danach, als Müller sich zurück in München "irgendwie verloren" vorkam. Vorbei der große Ruhm, zu viele einsame Tage. Er begann das Trinken, zu viel Alkohol, "keiner sagte was", erinnerte sich Müller einmal. Den Entzug brach er ab, weil er sich selbst helfen wollte. "Ein sturer Hund" sei er damals gewesen, so Müller später. Er schaffte den Absprung, rührte keinen Tropfen mehr an.

Dankbar ist Müller aus dieser Zeit heraus noch immer dem langjährigen Präsidenten Uli Hoeneß (links im Bild) und seinem alten Freund Franz Beckenbauer, die ihm nach seiner schweren Zeit gut dotierte Jobs in der Jugend- und Amateurabteilung des FC Bayern verschafften. Das brachte Müller zweifelsohne wieder auf die Beine.

Müller hat ein Auge für junge Stürmer - er sprach zwar nicht gerne mit Journalisten, wenn er es jedoch tat, dann meist über seine Profession (Tore schießen) und über junge Stürmer. Er erkennt sofort, wie einer sich bewegt, wie er sich dreht, wie er sich im Strafraum verhält.

Vorstellung neuer Spielball der Fussball-Bundesliga

Quelle: ddp

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"In der Bayern-Familie wird Gerd immer seinen festen Platz haben", sagt Karl-Heinz Rummenigge. "Nachdem er seine Profilaufbahn beendet hatte, brachte er seine Erfahrung als Nachwuchs-Trainer ein und prägte so zum Beispiel unsere Weltmeister Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller."

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Quelle: Claus Schunk +49 1716039668

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Am 3. November 2020 wurde Gerd Müller 75 Jahre alt. Öffentliche Feierlichkeiten gab es keine, der erfolgreichste Stürmer der Nation war an Alzheimer erkrankt. Seit sechs Jahren lebte er in einem Pflegeheim, wenige Tage vor seinem Geburtstag berichtete Ehefrau Uschi Müller über seinen Gesundheitszustand: "Der Gerd schläft seinem Ende entgegen." Am frühen Sonntagmorgen ist Gerd Müller nun gestorben.

© SZ.de/mane/and
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