Sportpolitik:Dopingopfer gegen Dopingopfer

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Flammende Rede zum Abschied: Ines Geipel, jahrelang Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe, in Berlin. (Foto: Gregor Fischer/dpa)
  • Ines Geipel legt das Amt der Vorsitzenden des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH) nieder.
  • Einstige Mitstreiter im DOH bekämpfen sich seit Wochen heftig.
  • Geipels Nachfolger, der Sportrechtsanwalt Michael Lehner, betont, er wolle mit den Kritikern in den Dialog treten und die Wogen glätten.

Von Johannes Knuth, Berlin

Falls sie müde ist, oder gar bewegt, sieht man es ihr nicht an. Sie blinzelt im Licht, das ihr auf dem Podium grell entgegen scheint, die blonden Haare glänzen noch ein wenig blonder. Sie lächelt. Dann redet Ines Geipel über den Anlass an diesem Tag, "an dem wir ehren, feiern, anfangen, verabschieden". Nur zwei Mal merkt man, wie bewegt sie tatsächlich ist. Einmal, als sie den unerwarteten Tod des Mediziners Harald Freyberger verkündet, der viele Dopingopfer begutachtet hat. Und dann, als es um ihre Rolle an diesem Tag geht: der sich Verabschiedenden. Wobei Geipel lieber von einem "Tag des Umbruchs" spricht und sagt: "Es ist die letzten Wochen ja ein bisschen bunt zugegangen." Das ist ein kleines bisschen untertrieben.

Der Doping-Opfer-Hilfe-Verein (DOH) verleiht jedes Jahr Anfang Dezember in Berlin seinen Anti-Doping-Preis, die teils renommierten Mitglieder sitzen im Publikum, man zeigt, dass man gemeinsam für die Sache kämpft. Dieses Mal? Sind manche Stammgäste abwesend, der Molekularbiologe Werner Franke etwa, eine der dröhnendsten Stimmen im deutschen Anti-Doping-Kampf. Und Geipel erzählt mit jetzt doch brüchiger Stimme von den zähen Anfängen des DOH, von "unwürdigen" Debatten zuletzt, weshalb sie nach langen Jahren im Verein, fünf davon an der Spitze, ihren Posten abgibt. Ihr Nachfolger, der Sportrechtsanwalt Michael Lehner, spricht später von Wogen, die zu glätten seien, als säßen sie auf einem taumelnden Tanker, der durch eine raue See schlingert. Was ja auch irgendwie stimmt, jetzt, da einstige Mitstreiter sich seit Wochen bekämpfen, Dopingopfer gegen Dopingopfer.

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Eigentlich sind es ja auch jetzt noch gute Tage für den DOH, ein wenig Sonnenschein auf stürmischer See. Die Bundesregierung hat die Frist des zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes nun bis Ende 2019 verlängert, 13,6 Millionen Euro vom Staat stehen bereit. Es ist ein großer Erfolg, vor allem für Geipel, die immer wieder betont hatte, dass die bisherigen Zuwendungen nicht ausreichen würden. Viele Schäden der DDR-Chemiezucht seien erst jetzt sichtbar; man könne das auch an den neuen Anträgen ablesen: mehr als 900 bis jetzt, wie Geipel am Donnerstag betont. Dass ist in der Tat unbestritten: dass die DDR längst versunken ist und mit ihr der Staatsplan 14.25, mit dem sie mehr als 10 000 Athleten flächendeckend mit Doping fütterte - dass viele Opfer aber im Jetzt leiden; Traumata kennen nun mal keine Frist.

Kritiker finden: Der DOH schaue nicht so genau hin

Aber über die Marschroute des Vereins, über manch große und viele kleine Fragen, gab es schon länger Differenzen im DOH. Und so bedurfte es zuletzt nicht mehr viel, um diese freizulegen.

Anfang August schilderten der Tagesspiegel und die FAZ den Fall eines minderjährigen Kugelstoßers, der von seinem Trainer Dieter Kollark in der DDR gedopt worden sein soll. Der 73-Jährige hat nie bestritten, dass er tief ins DDR-Doping verstrickt war, aber Minderjährige, die habe er in dem betreffenden Zeitraum weder betreut noch gedopt (der Fall beschäftigt mittlerweile Staatsanwaltschaft und LKA). Im Nordkurier, einer Lokalzeitung in Neubrandenburg, vermutete Kollark, ein Trittbrettfahrer denke sich da wohl eine Geschichte aus, um die Einmalzahlung für Dopingopfer abzustauben, 10 500 Euro. Und weil dieses Thema auch Geipels Kritiker beschäftigt, wagten diese sich nun aus der Deckung. Der DOH schaue nicht so genau hin, hieß es, treibe die Zahlen der DDR-Opfer in die Höhe, übertreibe bei den Spätfolgen.

Geipel, die in den 1980er-Jahren in der DDR-Sprinterin war und stets beteuert, unwissend gedopt worden zu sein, wehrte sich teils sachlich, teils feurig. Die Kritiker würden weder die akute Arbeit des DOH noch den Stand der Forschung kennen. Der Nordkurier betreibe "Verwahrlosungsjournalismus". Und sie sei nun mal den Hunderten von wahrhaftigen Opfern verpflichtet, rechtfertigte sie ihre harschen Worte, was aber auch dazu führte, dass andere Zwiste im Hintergrund weiter befeuert wurden und es irgendwann um vieles ging, nur nicht mehr oft um die Sache.

Zuletzt legten vier DOH-Kritiker nach, in einem Brief an den Sportausschuss des Bundestags: Franke, die frühere Leichtathletin Claudia Lepping, der Langlauftrainer Henner Misersky und der Sportpädagoge Gerhard Treutlein. Das Opfer-Hilfegesetz? Werde von früheren Athleten wie dem einstigen Zehnkämpfer Christian Schenk missbraucht, der trotz wissentlichen Dopings über einen Antrag sinniere. Außerdem war es "immer schon eine Einladung zum fortwährenden Betrug durch damals dopende Sportler, die heute behaupten, nichts gewusst zu haben". Die Gutachten? Von Ärzten verfasst, die eng mit dem DOH verbandelt seien und "subjektive Psycho-Gefühle" (Franke) diagnostizieren. Staatliche Behörden? Stünden dem DOH auch zu nahe, was man schon daran sehe, dass Anne Drescher, die Landesbeauftragte in Mecklenburg-Vorpommern für die DDR-Aufarbeitung, nun mit dem Anti-Doping-Preis des DOH ausgezeichnet werde. Am Donnerstag legten die Kritiker in einem Papier nach, das sie vor dem Versammlungssaal verteilten: Der Verein müsse endlich "zur Wahrheit zurückkehren".

Geipel wehrt sich vor Ort zunächst betont sachlich. Die Ärzte seien Fachleute, die Prüfung erfolge unabhängig durch das Bundesverwaltungsamt, Teamarbeit sei unerlässlich. Die unmittelbaren psychischen Schäden und steigenden Opferzahlen: ein Fakt. Die Kritiker, darunter Franke, hätten das erste Hilfegesetz auch selbst "ganz maßgeblich" auf den Weg gebracht, mit dem fast gleichen Wortlaut des zweiten. Und auf einmal seien die Betroffenen von einst, darunter Kinder, die sich in autoritären Systemen bewegten, Betrüger? Irgendwann spricht Geipel, sichtlich erregt, von "Sauerei" und "Kriminalisierung schwerster Opfer". Lehner betont später, er wolle mit den Kritikern in den Dialog treten. Wie dieser Dialog aussehen wird, deutet er freilich auch an. Er sagt: "Es gilt, eine klare Position weiter zu vertreten."

Hansjörg Kofink, der als Leichtathletik-Trainer in der BRD nicht beim Pharma-Wettrüsten mitmachen wollte, steht später neben dem Podium, ebenfalls bewegt. "Der DOH war die beste Erfindung, die der deutsche Anti-Doping-Kampf je hatte", sagt der 82-Jährige. Und jetzt, wenige Monate vor seinem 20. Geburtstag, ersticke er an "persönlichen Eitelkeiten".

Das haben die letzten Monate dann schon gezeigt: dass die Praxis, Betroffenen durch Betroffene zu helfen, in professionellere Strukturen überführt werden muss. Der DOH leistet sich ab 2019 eine hauptamtliche Beratungskraft, man könne sich auch eine Kooperation mit "Athleten Deutschland" vorstellen, den unabhängigen Athletenvertretern, hieß es am Donnerstag. Letztlich gehe es um eines: "Wir stehen mit der Evaluierung des Sportschadens in diesem Land noch immer am Anfang", sagte Geipel - in der DDR, seitdem, bis heute. Auch das ist unbestritten.

© SZ vom 07.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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