Skispringer Karl Geiger:Der Punkteschaden fällt überschaubar aus

01.01.2021, 69.Vierschanzentournee 2020/21, Olympiaschanze Garmisch-Partenkirchen, Karl Geiger (GER) ist unzufrieden. *

Panoramaflug: Sieger Dawid Kubacki unterwegs in der Kulisse von Garmisch-Partenkirchen.

(Foto: imago images/MIS)

Beim Sieg des Polen Dawid Kubacki muss Karl Geiger die Tournee-Führung abgeben - trotzdem hat er noch alle Chancen. Die Bergisel-Schanze in Innsbruck könnte zum Ort der Vorentscheidung werden.

Von Volker Kreisl, Garmisch-Partenkirchen

Skispringer zählen wie Lokführer oder Müllmänner zu jenen Menschen, für die der stille Corona-Jahreswechsel von 2020 auf 2021 weniger brutal ausfiel. Sich am Jahresende abends schon früh ausruhen zu müssen statt durchzumachen, weil am nächsten Tag die Arbeit ruft, das sind sie gewohnt. Und wenn man wie die Springer des Deutschen Skiverbandes das neue Jahr regelrecht herbeisehnt, dann sollte man ohnehin zeitig zu Bett gehen und durchschlafen - bald schon strahlt der erste Tag.

Die Sonne schien, der Schnee glitzerte in Garmisch-Partenkirchen, es war mangels Zuschauern still, aber die Fortsetzung der Party im kleinen Kreis, die man sich nach dem erfolgreichen Auftakt der Vierschanzentournee erhoffte, blieb aus. Der Rückschlag bestand darin, dass Karl Geiger die Führung in der Gesamtwertung abgeben musste. Die gute Nachricht aus deutscher Sicht war aber, dass sein Abstand als Zweiter hinter dem Norweger Halvor Egner Granerud überschaubar blieb: Vier Punkte, das sind in etwa 2,3 Meter auf der Schanze. Markus Eisenbichler dagegen hatte seine Aufholjagd vom zweiten Durchgang in Oberstdorf nicht fortsetzen können, er wurde an diesem Freitag am Ende Siebter, für ihn bleibt ein Tournee-Gesamtsieg in weiter Ferne.

Gewonnen hatte aber nicht Granerud, sondern vor ihm jener Springer, dessen größte Stunde bis dahin fast ein Jahr zurück liegt. Der Pole Dawid Kubacki, der die Tournee des endlich zurückgelassenen Jahres 2020 gewonnen hatte, tauchte plötzlich wieder an der Spitze auf. Im ersten Durchgang deutete er schon Großes an, im zweiten dann setzte er die Serie der wilden Überraschungen dieser Tage fort. Ihm gelang ein famoser Satz, trotz Landedrucks auch der Versuch eines Telemarks und obendrein mit 144 Metern Schanzenrekord.

Four Hills Tournament

Dawid Kubacki nach seinem Sprung auf 144 Meter.

(Foto: REUTERS)

In solche Regionen sind die beiden Besten im deutschen Team nicht gekommen. Für Geiger blieben aber noch alle Chancen erhalten. Bundestrainer Stefan Horngacher fand sachliches Lob: "Wir waren mannschaftlich besser, unsere Top-Leute waren vorne dabei." Geiger selbst hatte es richtig gemacht: Die Enttäuschung leistete er sich schon in Durchgang eins, in dem er zu früh die Körperspannung verlor und zunächst aus den Top-Ten-Rängen fiel. Im Finale setzte er eine entscheidende Marke bei 138 Metern, die ihn auf Rang fünf zurückbrachte. Weil zwei der besser Platzierten in der Tournee-Gesamtwertung weiter hinten liegen, fiel der Punkteschaden überschaubar aus. "Unterm Strich bin ich zufrieden", sagte Geiger, "ich hätte nicht geglaubt, dass ich es noch mal aufhole." Eisenbichler, der als Siebter in der Tournee weiterhin auf Platz fünf liegt, bleibt zuversichtlich: "Ich bin schon schlechter g'hupft."

Wieder einmal könnte also die oftmals windumtoste, nebelverhangene und mangels Flutlicht früh zu dunkle Bergisel-Schanze von Innsbruck zum Ort der Vorentscheidung werden. Die Frage ist nun, wer sich nach den weitläufigen ersten beiden Bakken der Tournee am besten auf den engen Innsbrucker Kessel umstellen kann - Granerud oder Geiger? Oder die ähnlich vielseitigen Kubacki, Stoch und Eisenbichler, die allerdings schon größeres Risiko gehen müssten.

Geiger und Eisenbichler nehmen nebenbei eine weitere Rolle ein. Sie überstrahlen und unterstützen damit jene DSV-Springer, die das Jahr '21 herbeisehnen, weil dann vielleicht endlich die Form zurückkommt. Richard Freitag, einst Gesamtweltcupzweiter, will nun einen großen Haken an 2020 machen, "dieses war wirklich mies". Damit sprach er den anderen aus der Seele: den fast guten jungen Springern David Siegel und Constantin Schmid und den ehemals Überragenden Severin Freund (Weltmeister) und Andreas Wellinger (Olympiasieger)

Sie alle sind aus Verletzungspausen zurückgekehrt, erleben aber bittere Zeiten und wiederholen jene Leier, die so oberflächlich klingt, aber doch die ganze Wahrheit birgt. Die Form könne man nicht erzwingen, "ich kann keine Wunder erwarten, ich muss einfach weiterarbeiten", sagt Freitag. Und Wellinger: "Man kann's nicht erzwingen, aber früher oder später geht der Knoten auf."

Wellinger wird bei dieser Tournee nicht mehr antreten, auf der Suche nach der Form macht er im zweitklassigen Continental-Cup weiter, so wie die anderen Springer der nationalen Gruppe, die an den deutschen Tournee-Orten dabei waren. Ihre Enttäuschung ist überschaubar, so leicht steigt man im Skispringen vom Ersatzmann zum Stammsportler eben nicht auf. Überhaupt ist das alles nicht so schlimm, denkt man nur an den Kurzzeit-Favoriten Marius Lindvik.

Der 20-jährige Norweger hatte sich in Oberstdorf als Dritter unter die Tourneesieg-Kandidaten gedrängt. Dann wurde übergesetzt nach Garmisch-Partenkirchen, und Lindvik überfielen grässliche Zahnschmerzen und eine Kiefersperre. Erreger hatten sich im Kiefer festgesetzt, und eine Entzündung verursacht. Lindvik musste operiert werden und fällt mindestens bis zur vierten und letzten Station der diesjährigen Tournee in Bischofshofen aus. Bis dahin muss der Norweger weiter stationär behandelt werden. Auch Marius Lindvik tourt also jetzt weiter, nur nicht von Schanze zu Schanze, sondern von Krankenhaus zu Krankenhaus.

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