Süddeutsche Zeitung

Gehen:"Wie in einer gemäßigten Dampfsauna"

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Der deutsche Geher Carl Dohmann über die Verlegung seiner Disziplin bei Olympia 2020, extreme Temperaturen und die nötige Härte im Ausdauersport.

Interview von Raphael Späth

SZ: Herr Dohmann, die Marathon- und Geherwettbewerbe der Olympischen Spiele 2020 wurden vom Internationalen Olympischen Komitee von Tokio ins 900 Kilometer entfernte Sapporo verlegt, wo es sechs Grad kälter sein soll. Einige Athleten beklagen, dass teilweise sogar schon Flüge und Unterkünfte für Freunde und Verwandte gebucht worden waren. Mussten Sie auch umdisponieren?

Carl Dohmann: Nein, wir haben bisher noch nichts gebucht. Wir befinden uns erst einmal in der Planungsphase in Sachen Trainingslager. Jetzt muss man noch abwarten, wann die Wettbewerbe in Sapporo sein werden. Das steht noch nicht ganz fest, weil der Zeitplan quasi hinfällig ist. Ohnehin muss ich mich jetzt erstmal qualifizieren, das Team steht ja noch nicht fest. Es gibt zwar ein paar Tendenzen, aber wirklich planen kann man erst, wenn das Team steht. Von dem her sind wir da schon ein bisschen flexibel.

Haben sich durch die Wettkampfverlegung auch Trainingslagerveränderung ergeben?

Das ist davon ziemlich unabhängig. Wir haben vor Doha auch nicht bei schwül-heißen Temperaturen trainiert. In unserem Trainingslager in Südafrika war es zwar heiß, aber keinesfalls so schwül. Bei solchen Bedingungen zu trainieren ist eben auch nicht ohne. Das hat zwar den Vorteil, dass sich der Körper anpasst, aber den Nachteil, dass man schon vor dem Wettkampf sehr viel Energie verliert. Deshalb werden wir auch vor den Olympischen Spielen keine speziellen Trainingslager absolvieren. Wer dann noch in der Hitzekammer trainieren will, kann das machen.

Wie fühlt man sich denn bei einem Rennen wie in Doha bei 32 Grad Celsius und 73 Prozent Luftfeuchtigkeit?

Es fühlt sich an wie Leistungssport in einer gemäßigten Dampfsauna. Sobald man anfängt, sich leicht zu bewegen, merkt man, wie der Puls richtig steigt, das Atmen schwerfällt und auch der Kopf heiß wird. Und das ist nur der Anfang, das muss man dann vier Stunden durchhalten.

Das IOC argumentiert damit, dass die Verlegung ins kühlere Sapporo eine Entscheidung im Sinne der Athleten sei. Stimmen Sie dem zu oder glauben Sie, dass die Entscheidung nur eine PR-Aktion ist, um Bilder wie in Doha zu vermeiden?

Ich glaube, dass es vor allen Dingen eine PR-Aktion ist. Sicher ist es auch ein bisschen zum Wohle der Athleten, aber ich glaube, dafür hätte es auch andere Lösungen gegeben.

Zum Beispiel?

In Tokio in der Nacht starten. Ich habe geschaut, wie nachts dort das Wetter ist, und es ist zwar auch extrem, aber kein Vergleich zu Doha. In Katar ist es nachts fast so schlimm wie tagsüber. Die Sonne fällt zwar weg, aber es hat immer noch über 30 Grad und die Luftfeuchtigkeit ist abartig hoch. In Tokio wäre es machbarer."

Der kanadische Geher Evan Dunfee, der bei der WM in Doha die Bronzemedaille über die 50 Kilometer gewann, argumentierte auf Twitter, dass selbst solche Bedingungen für alle Athleten, die sich gut darauf vorbereitet hatten, kein Problem darstellten. Die Athleten, die aufgeben mussten, hätten sich einfach nicht gut genug darauf eingestellt. Wie sehen Sie das?

Ich stimme ihm weitestgehend zu. Allerdings war vor dem Wettkampf die Frage, was denn überhaupt die richtige Vorbereitung ist. Und da gab es durchaus verschiedene Meinungen, manches hat funktioniert und manches nicht. Man hat gesehen, dass man keine Erfolgsgarantie hat, nur weil man sich auf die Hitze einstellt.

Sie wurden in Doha Siebter über die 50 Kilometer. Wie ordnen Sie dieses Ergebnis ein? War das ein einmaliger Wettkampf unter historischen Bedingungen oder doch ein Test-Event für die Olympischen Spiele?

Also als Test habe ich es nicht angesehen. Die Weltmeisterschaft ist für sich ein Großereignis, das ich nicht als Test für irgendetwas werten möchte. Aber wenn man ein Rennen unter solchen Bedingungen geschafft hat, geht man die Vorbereitungen auf Tokio, oder jetzt Sapporo, natürlich mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein an. Ich weiß jetzt, dass ich bei den härtesten Bedingungen bestehen kann. Und bei der WM 2017 in London, als die Bedingungen ganz andere waren, bin ich auch unter die ersten Zehn gekommen. Also weiß ich auch, dass ich wetterunabhängig gut gehen kann. Jetzt dreht es sich darum, eine reibungslose Saison zu haben und dann wirklich topfit zu sein.

Was halten Sie persönlich von der Verlegung?

Ich persönlich hätte es besser gefunden, wenn die Wettbewerbe in Tokio geblieben wären und bei Nacht stattgefunden hätten. In Sapporo sind wir jetzt weit weg von den restlichen Olympischen Spielen, ich hoffe, dass es möglich ist, nach dem Wettkampf noch nach Tokio ins Olympische Dorf zu gehen und die Schlussfeier mitzuerleben. Im Bezug auf meine Leistung ist es mir relativ egal, wo und unter welchen Bedingungen ein Wettkampf stattfindet. Mir geht es darum, dass ich gut in Form bin und selbstbewusst antreten kann, dann wird es meistens auch gut.

Trotzdem ist es so, dass alle anderen Ausdauersportarten vorerst in Tokio bleiben. Man kann also auch im kommenden Jahr wieder mit Bildern von Athleten, die in Rollstühlen oder auf Tragen abtransportiert werden, rechnen. Schadet das nicht dem Image des Sports?

Das finde ich nicht. Sportler, die völlig am Ende sind und von der Strecke getragen werden, gibt es bei jedem Wettkampf, selbst bei Kälte. Bei Hitze natürlich noch mehr. Aber ich finde nicht, dass solche Bilder dem Sport schaden. Ich hatte noch nie so viel Medienpräsenz wie nach Doha und man sieht auch, dass einer der populärsten Ausdauerwettkämpfe der Iron Man auf Hawaii ist. Der Ausdauersport lebt von der Härte und von der Härte zu sich selbst, und das ist das, was die Leute begeistert. Wie in Doha sollte es natürlich nicht sein, das war schon zu krass. Man sollte auch die Möglichkeit haben, sich auf die Bedingungen einzustellen. Aber grundsätzlich zeigen solche Bilder gerade, wie hart das Gehen ist. Und das sollte noch mehr gezeigt werden.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2019
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